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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Vismarck und England

erst geschaffen hat, fehlten damals völlig. Im Gegenteil: in kolonialpolitischen
Fragen war seit 1886, also lange vor Bismarcks Sturz, eine Einigkeit in der
Politik beider Länder erzielt, die eher eine Entente, wie sie auch Kaiser Wilhelm
der Zweite seit 1889 erstrebte, als eine jahrelange Spannung in der Zukunft
erwarten ließ. Bismarck konnte daher von der politischen Buhne mit dem
Bewußtsein abtreten, daß der Sicherheit des Reiches von England keine
unmittelbaren Gefahren drohten.

Dabei hatte er den auf Handclsrivalität beruhenden, in der Tiefe
ständig wachsenden Gegensatz Englands zu dein wirtschaftlich aufstrebende,:
Deutschland keineswegs außer acht gelassen. Allein, was er schon 1876 und
1878 im Reichstage verkündigte, -- daß Deutschland keinen wesentlichen Jnteressen-
streit mit England habe, "es seien denn Handelsrivalitcitcn und vorübergehende
Verstimmungen, die zwei arbeitsame, friedliebende Nationen" nicht zum Kriege
treiben könnten, wenn auch ein Preßkampf "gelegentlich, vorübergehend" statt¬
finde,-- dies Bekenntnis hielt er auch aufrecht, als Deutschland nicht mehr "in
der glücklichen Lage" war, der Reibungsflächen mit England entbehren zu
können. Denn er konnte es "doch nur für einen Irrtum in der Schätzung
halten, wenn England uns unsere bescheidenen Kolonialversuche mißgönnt"; auch
hielt er diese Kolonial- wie die Industrie- und Haudelseifersucht für ungerecht,
da nach seiner treffenden Beobachtung England nur durch Deutschlands Fort¬
schritte gewonnen habe, indem es dadurch "rauh, aber heilsam" aus dem Zustande
einer gefährlichen Erstarrung erweckt worden sei.

Nach seiner Entlassung wurden seine Urteile über die englische Eifersucht
schärfer, so sehr er auch friedliche Beziehungen mit dem offiziellen England zu
konservieren immer bestrebt war. Wahrscheinlich war es die Sorge vor einen:
allzu engen Anschluß unseres Kaisers an die britische Politik, die ihn auch in
der Frage des wirtschaftlichen Gegensatzes mehr auf die Seite der Englandgegner
trieb. Wenigstens sprach er in solcher Stimmung zu Sidney Whitman, der
ihn über die deutsch-englische Verstimmung zu interviewen pflegte, 1896 die
berühmten Worte: Blut sei zwar dicker als Wasser, aber er erinnere sich nicht,
daß Blutsverwandtschaft einer Fehde je das Tödliche genommen habe; und wenige
Monate vor seinem Tode ließ er ihm sagen: er bedaure, daß die Beziehungen
nicht zu bessern seien, da das einzige ihn: dafür bekannte Mittel, das darin
bestehe, daß wir uuserer Industrie einen Zaum anlegen, nicht gut anwendbar
sei! Niemand wird aus diesen Worten beweisen können oder wollen, daß
Bismarck, wie er bei diplomatisch nicht lösbaren Fragen pflegte, in einer Blut-
und Eisenpolitik die einzig mögliche Lösung erblickt hätte. Denn in der
Politik läßt, auch wenn die Reihe der Entwicklung zu einer logischen Konsequenz
drängt, das unbegrenzte Reich der Möglichkeiten, Glück und Zufall einen Spiel¬
raum ohne Ende zu -- wenigstens für den rückschauendeu Historiker, der vor einer
noch nicht abgelaufenen Kette von Ereignissen steht. Biographisches Erfordernis
ist es für ihn, aus vereinzelten Aussprüchen seines Helden nicht Zusammen-


Vismarck und England

erst geschaffen hat, fehlten damals völlig. Im Gegenteil: in kolonialpolitischen
Fragen war seit 1886, also lange vor Bismarcks Sturz, eine Einigkeit in der
Politik beider Länder erzielt, die eher eine Entente, wie sie auch Kaiser Wilhelm
der Zweite seit 1889 erstrebte, als eine jahrelange Spannung in der Zukunft
erwarten ließ. Bismarck konnte daher von der politischen Buhne mit dem
Bewußtsein abtreten, daß der Sicherheit des Reiches von England keine
unmittelbaren Gefahren drohten.

Dabei hatte er den auf Handclsrivalität beruhenden, in der Tiefe
ständig wachsenden Gegensatz Englands zu dein wirtschaftlich aufstrebende,:
Deutschland keineswegs außer acht gelassen. Allein, was er schon 1876 und
1878 im Reichstage verkündigte, — daß Deutschland keinen wesentlichen Jnteressen-
streit mit England habe, „es seien denn Handelsrivalitcitcn und vorübergehende
Verstimmungen, die zwei arbeitsame, friedliebende Nationen" nicht zum Kriege
treiben könnten, wenn auch ein Preßkampf „gelegentlich, vorübergehend" statt¬
finde,— dies Bekenntnis hielt er auch aufrecht, als Deutschland nicht mehr „in
der glücklichen Lage" war, der Reibungsflächen mit England entbehren zu
können. Denn er konnte es „doch nur für einen Irrtum in der Schätzung
halten, wenn England uns unsere bescheidenen Kolonialversuche mißgönnt"; auch
hielt er diese Kolonial- wie die Industrie- und Haudelseifersucht für ungerecht,
da nach seiner treffenden Beobachtung England nur durch Deutschlands Fort¬
schritte gewonnen habe, indem es dadurch „rauh, aber heilsam" aus dem Zustande
einer gefährlichen Erstarrung erweckt worden sei.

Nach seiner Entlassung wurden seine Urteile über die englische Eifersucht
schärfer, so sehr er auch friedliche Beziehungen mit dem offiziellen England zu
konservieren immer bestrebt war. Wahrscheinlich war es die Sorge vor einen:
allzu engen Anschluß unseres Kaisers an die britische Politik, die ihn auch in
der Frage des wirtschaftlichen Gegensatzes mehr auf die Seite der Englandgegner
trieb. Wenigstens sprach er in solcher Stimmung zu Sidney Whitman, der
ihn über die deutsch-englische Verstimmung zu interviewen pflegte, 1896 die
berühmten Worte: Blut sei zwar dicker als Wasser, aber er erinnere sich nicht,
daß Blutsverwandtschaft einer Fehde je das Tödliche genommen habe; und wenige
Monate vor seinem Tode ließ er ihm sagen: er bedaure, daß die Beziehungen
nicht zu bessern seien, da das einzige ihn: dafür bekannte Mittel, das darin
bestehe, daß wir uuserer Industrie einen Zaum anlegen, nicht gut anwendbar
sei! Niemand wird aus diesen Worten beweisen können oder wollen, daß
Bismarck, wie er bei diplomatisch nicht lösbaren Fragen pflegte, in einer Blut-
und Eisenpolitik die einzig mögliche Lösung erblickt hätte. Denn in der
Politik läßt, auch wenn die Reihe der Entwicklung zu einer logischen Konsequenz
drängt, das unbegrenzte Reich der Möglichkeiten, Glück und Zufall einen Spiel¬
raum ohne Ende zu — wenigstens für den rückschauendeu Historiker, der vor einer
noch nicht abgelaufenen Kette von Ereignissen steht. Biographisches Erfordernis
ist es für ihn, aus vereinzelten Aussprüchen seines Helden nicht Zusammen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/511>, abgerufen am 01.07.2024.