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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und England

idealistisch-liberalen Charakters als schwächliche und phrasenhafte Professoren¬
romantik verachtete. Dieser individualistisch - sozialistische, humanitäre Zug
der britischen Politik, der durch die Geschichte aus der puritanischen und
der liberalen Ära ethisch und religiös unleugbar wohl fundiert ist,
war es ganz besonders, der dem offen lutherisch-konservativen Realpolitiker
den Eindruck bigotter Heuchelei machte, als feige Bemäntelung kalter
Interessen erschien. Diese ihn unehrlich und verschlagen dünkende Politik,
neben der eine wachsende, aus wirtschaftlichen Unterströmungen hervor¬
gehende, an kleinliche Eifersucht grenzende Antipathie des nicht offiziellen
England einherging, wurde ihm daher oft zum Anlaß, daheim und
später, als er nicht mehr in amtlicher Stellung war, seinen: Ärger Luft zu
machen. Buschs Tagebuchblätter sind voll davon und auch die "Gedanken und
Erinnerungen" zeigen, mit welchen Schwierigkeiten er England gegenüber zu
kämpfen hatte und wie er sie alle rechtzeitig durchschaute und vereitelte. Hier
erst deckte er all die Versuche der englischen Politik auf (deren Zusammenfassung
zu einer historisch-diplomatischen Studie er einmal Moritz Busch anempfahl!),
nach altbewährter Methode den "festländischen Degen des großen und starken
dummen Kerls" zu gewinnen, damit der sich für England schlage und ihm die
Kastanien aus dem Feuer hole: Versuche, Deutschland zu Unternehmungen zu
engagieren, bei denen es nichts zu gewinnen, aber viel zu Englands Vorteil zu
verlieren hatte. Mit Ingrimm schmähte er dann eine Politik, die
stets auf zwei Seiten Geschäfte zu machen suche und den römischen Grundsatz
Vuobu8 litiZÄntibus tertius Muäöt zum Prinzip habe. Ihm huldigte aber
auch er mit großem Geschick, wie er denn überhaupt alle die Grundsätze und
Tendenzen der britischen Politik bewunderte und, wo er konnte, selbst befolgte.
Schon darum werden wir ihm in seiner Gesinnung gegen England nicht zu
folgen brauchen, mag er auch im intimen Kreise noch so oft die offiziell betonte
"alte und traditionelle Freundschaft" mit England, mit dem Deutschland im
besten Einvernehmen lebe usw., sowie die "Gemeinsamkeit mannigfacher Interessen
und Meinungen", die ihm 1878 "auch für die Zukunft der Bürge des Ein¬
verständnisses" war -- als Legende hingestellt haben. Mag er auch immer wieder
EnglandsTückeenthüllt haben: wie es stets zu intervenierengesucht, wenn Preußen oder
Deutschland im Vorteil gewesen und wie es beide immer in seine Unternehmungen
zu verstricken gestrebt, um sie mit ihren Freunden zu brouillieren, nicht zu ver¬
gessen der oft nur in seiner Einbildung existierenden englischen Einflüsse, die er,
infolge der englischen Verwandtschaft der Hohenzollerndrmastie, der deutschen
Politik überall drohen sah!

Allein, die Sorge, die uns heute drückt, England möchte sein altes Kampf¬
mittel: seine Feinde, nach Gewinnung von deren Gegnern zu Bundesgenossen,
einzukreisen und sie schließlich durch diese oder gar mit ihnen zusammen anzugreifen
-- auch auf Deutschland anwenden, diese Sorge mußte Bismarck fernliegen. Denn
selbst die Ansätze zu diesen Voraussetzungen, die Eduards des Siebenten Regierung


Bismarck und England

idealistisch-liberalen Charakters als schwächliche und phrasenhafte Professoren¬
romantik verachtete. Dieser individualistisch - sozialistische, humanitäre Zug
der britischen Politik, der durch die Geschichte aus der puritanischen und
der liberalen Ära ethisch und religiös unleugbar wohl fundiert ist,
war es ganz besonders, der dem offen lutherisch-konservativen Realpolitiker
den Eindruck bigotter Heuchelei machte, als feige Bemäntelung kalter
Interessen erschien. Diese ihn unehrlich und verschlagen dünkende Politik,
neben der eine wachsende, aus wirtschaftlichen Unterströmungen hervor¬
gehende, an kleinliche Eifersucht grenzende Antipathie des nicht offiziellen
England einherging, wurde ihm daher oft zum Anlaß, daheim und
später, als er nicht mehr in amtlicher Stellung war, seinen: Ärger Luft zu
machen. Buschs Tagebuchblätter sind voll davon und auch die „Gedanken und
Erinnerungen" zeigen, mit welchen Schwierigkeiten er England gegenüber zu
kämpfen hatte und wie er sie alle rechtzeitig durchschaute und vereitelte. Hier
erst deckte er all die Versuche der englischen Politik auf (deren Zusammenfassung
zu einer historisch-diplomatischen Studie er einmal Moritz Busch anempfahl!),
nach altbewährter Methode den „festländischen Degen des großen und starken
dummen Kerls" zu gewinnen, damit der sich für England schlage und ihm die
Kastanien aus dem Feuer hole: Versuche, Deutschland zu Unternehmungen zu
engagieren, bei denen es nichts zu gewinnen, aber viel zu Englands Vorteil zu
verlieren hatte. Mit Ingrimm schmähte er dann eine Politik, die
stets auf zwei Seiten Geschäfte zu machen suche und den römischen Grundsatz
Vuobu8 litiZÄntibus tertius Muäöt zum Prinzip habe. Ihm huldigte aber
auch er mit großem Geschick, wie er denn überhaupt alle die Grundsätze und
Tendenzen der britischen Politik bewunderte und, wo er konnte, selbst befolgte.
Schon darum werden wir ihm in seiner Gesinnung gegen England nicht zu
folgen brauchen, mag er auch im intimen Kreise noch so oft die offiziell betonte
„alte und traditionelle Freundschaft" mit England, mit dem Deutschland im
besten Einvernehmen lebe usw., sowie die „Gemeinsamkeit mannigfacher Interessen
und Meinungen", die ihm 1878 „auch für die Zukunft der Bürge des Ein¬
verständnisses" war — als Legende hingestellt haben. Mag er auch immer wieder
EnglandsTückeenthüllt haben: wie es stets zu intervenierengesucht, wenn Preußen oder
Deutschland im Vorteil gewesen und wie es beide immer in seine Unternehmungen
zu verstricken gestrebt, um sie mit ihren Freunden zu brouillieren, nicht zu ver¬
gessen der oft nur in seiner Einbildung existierenden englischen Einflüsse, die er,
infolge der englischen Verwandtschaft der Hohenzollerndrmastie, der deutschen
Politik überall drohen sah!

Allein, die Sorge, die uns heute drückt, England möchte sein altes Kampf¬
mittel: seine Feinde, nach Gewinnung von deren Gegnern zu Bundesgenossen,
einzukreisen und sie schließlich durch diese oder gar mit ihnen zusammen anzugreifen
— auch auf Deutschland anwenden, diese Sorge mußte Bismarck fernliegen. Denn
selbst die Ansätze zu diesen Voraussetzungen, die Eduards des Siebenten Regierung


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[0510] Bismarck und England idealistisch-liberalen Charakters als schwächliche und phrasenhafte Professoren¬ romantik verachtete. Dieser individualistisch - sozialistische, humanitäre Zug der britischen Politik, der durch die Geschichte aus der puritanischen und der liberalen Ära ethisch und religiös unleugbar wohl fundiert ist, war es ganz besonders, der dem offen lutherisch-konservativen Realpolitiker den Eindruck bigotter Heuchelei machte, als feige Bemäntelung kalter Interessen erschien. Diese ihn unehrlich und verschlagen dünkende Politik, neben der eine wachsende, aus wirtschaftlichen Unterströmungen hervor¬ gehende, an kleinliche Eifersucht grenzende Antipathie des nicht offiziellen England einherging, wurde ihm daher oft zum Anlaß, daheim und später, als er nicht mehr in amtlicher Stellung war, seinen: Ärger Luft zu machen. Buschs Tagebuchblätter sind voll davon und auch die „Gedanken und Erinnerungen" zeigen, mit welchen Schwierigkeiten er England gegenüber zu kämpfen hatte und wie er sie alle rechtzeitig durchschaute und vereitelte. Hier erst deckte er all die Versuche der englischen Politik auf (deren Zusammenfassung zu einer historisch-diplomatischen Studie er einmal Moritz Busch anempfahl!), nach altbewährter Methode den „festländischen Degen des großen und starken dummen Kerls" zu gewinnen, damit der sich für England schlage und ihm die Kastanien aus dem Feuer hole: Versuche, Deutschland zu Unternehmungen zu engagieren, bei denen es nichts zu gewinnen, aber viel zu Englands Vorteil zu verlieren hatte. Mit Ingrimm schmähte er dann eine Politik, die stets auf zwei Seiten Geschäfte zu machen suche und den römischen Grundsatz Vuobu8 litiZÄntibus tertius Muäöt zum Prinzip habe. Ihm huldigte aber auch er mit großem Geschick, wie er denn überhaupt alle die Grundsätze und Tendenzen der britischen Politik bewunderte und, wo er konnte, selbst befolgte. Schon darum werden wir ihm in seiner Gesinnung gegen England nicht zu folgen brauchen, mag er auch im intimen Kreise noch so oft die offiziell betonte „alte und traditionelle Freundschaft" mit England, mit dem Deutschland im besten Einvernehmen lebe usw., sowie die „Gemeinsamkeit mannigfacher Interessen und Meinungen", die ihm 1878 „auch für die Zukunft der Bürge des Ein¬ verständnisses" war — als Legende hingestellt haben. Mag er auch immer wieder EnglandsTückeenthüllt haben: wie es stets zu intervenierengesucht, wenn Preußen oder Deutschland im Vorteil gewesen und wie es beide immer in seine Unternehmungen zu verstricken gestrebt, um sie mit ihren Freunden zu brouillieren, nicht zu ver¬ gessen der oft nur in seiner Einbildung existierenden englischen Einflüsse, die er, infolge der englischen Verwandtschaft der Hohenzollerndrmastie, der deutschen Politik überall drohen sah! Allein, die Sorge, die uns heute drückt, England möchte sein altes Kampf¬ mittel: seine Feinde, nach Gewinnung von deren Gegnern zu Bundesgenossen, einzukreisen und sie schließlich durch diese oder gar mit ihnen zusammen anzugreifen — auch auf Deutschland anwenden, diese Sorge mußte Bismarck fernliegen. Denn selbst die Ansätze zu diesen Voraussetzungen, die Eduards des Siebenten Regierung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/510>, abgerufen am 01.07.2024.