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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und England

zu gefährden. Darum hat er mit den Versuchen einer deutsch-englischen Allianz
überhaupt niemals so ernstlich spielen können, wie Lord Russell-Ampthill Zeit
seines Lebens annahm, wenn auch das andere Bild, das Marcks neuerdings
von seinem Standort aus (a. a. O.) gab, in der einseitigen Betonung der
englischen Freundschaftswerbungen der Tatsache nicht gerecht wird, daß Bismarck
nicht nur der Bündnis-Ablehnende, sondern auch Bündnis-Suchende war. Statt
vieler Beispiele sei nur an sein bekanntes Wort erinnert: er liebe England, es
lasse sich aber nicht lieben. Russells rückschauendem Blick erscheint das Verhältnis
sogar so: "Ich konnte niemals -- anfangs wollte er auch nicht -- das tief-
gewurzelte Mißtrauen überwinden, das sein Wunsch nach einem herzlichen Ein¬
vernehmen mit England in unserer Heimat erregte." Natürlich ist auch das
einseitig und übertrieben. Denn immer, auch nach seinem Sturze, blieb Bismarck
seiner kontinentalen Grundanschauung getreu; darum geißelte er damals vor
allem in der Aufgabe der "doppelten Assekuranz" eine Politik, die die Grund¬
pfeiler seines Koalitionssystems erschütterte, indem sie durch Absage der Freund¬
schaft an Rußland diesen wertvollen neutralen Hintermann des Dreibundes in
die Arme Frankreichs trieb, ohne für den Moment, geschweige denn für die
Dauer ein wertvolles Äquivalent von England zu erhalten. "Hoffentlich wird
Freundschaft für England einbringen wird, von der unseligen Gewohnheit der
deutschen Fürsten abkommen, dem Wolf John Bull gegenüber die undankbare
Rolle des gutmütigen Kranichs zu spielen." Und in seiner Angst, England
möchte Deutschland in dieser neuen Position womöglich als "Sturmbock" gegen
Rußland verwenden, ging er schließlich so weit, den: steifleinenen Engländer
eine gen Himmel schreiende Quetschung zwischen dem welschen Roß und dem
russischen Elephanten zu wünschen, wobei er Deutschland empfahl, ruhig zuzusehen
und nicht mit der Ofengabel dreinzufahren! Ausdrücklich aber sei betont, daß
er es für ruchlos hielt, Zwietracht zwischen den Völkern zu säen, und daß er
wohl auch später vertrat, was er 1878 einmal im Reichstag betont hatte:
"Ich schmeichle mir, daß wir auch zwischen England und Rußland unter Umständen
ebensogut Vertrauensperson sein können, als ich sicher bin, daß wir es zwischen
Österreich und Rußland sind."

Sicher ist ja: Bismarcks lebenslange Vorliebe für englische Bildung und
Gesellschaft, wie sie den: aristokratisch-individualistischen Grundzug seines Wesens
und dem Geschmack des gebildeten Norddeutschen überhaupt entspricht, erstreckte
sich niemals auf die britische Politik, die ihm immerfort Schwierigkeiten bereitet
hatte, wenn er auch objektiv genug war, deren immanente egoistische Macht¬
tendenzen anzuerkennen. Zwar hielt er mit ihren offiziellen Vertretern ein im
ganzen korrektes Verhältnis aufrecht. Dabei kam die konservative Negierung
in seiner Beurteilung und Behandlung günstiger und gerechter weg als das
Gladstonesche Gouvernement, dessen Politik er, weil sie mit den Faktoren des
öffentlichen Lebens unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit und Freiheit,
Humanität und Friedensliebe zu theoretisch rechnete, wegen dieses doktrinären,


Grenzboten II 1910 63
Bismarck und England

zu gefährden. Darum hat er mit den Versuchen einer deutsch-englischen Allianz
überhaupt niemals so ernstlich spielen können, wie Lord Russell-Ampthill Zeit
seines Lebens annahm, wenn auch das andere Bild, das Marcks neuerdings
von seinem Standort aus (a. a. O.) gab, in der einseitigen Betonung der
englischen Freundschaftswerbungen der Tatsache nicht gerecht wird, daß Bismarck
nicht nur der Bündnis-Ablehnende, sondern auch Bündnis-Suchende war. Statt
vieler Beispiele sei nur an sein bekanntes Wort erinnert: er liebe England, es
lasse sich aber nicht lieben. Russells rückschauendem Blick erscheint das Verhältnis
sogar so: „Ich konnte niemals — anfangs wollte er auch nicht — das tief-
gewurzelte Mißtrauen überwinden, das sein Wunsch nach einem herzlichen Ein¬
vernehmen mit England in unserer Heimat erregte." Natürlich ist auch das
einseitig und übertrieben. Denn immer, auch nach seinem Sturze, blieb Bismarck
seiner kontinentalen Grundanschauung getreu; darum geißelte er damals vor
allem in der Aufgabe der „doppelten Assekuranz" eine Politik, die die Grund¬
pfeiler seines Koalitionssystems erschütterte, indem sie durch Absage der Freund¬
schaft an Rußland diesen wertvollen neutralen Hintermann des Dreibundes in
die Arme Frankreichs trieb, ohne für den Moment, geschweige denn für die
Dauer ein wertvolles Äquivalent von England zu erhalten. „Hoffentlich wird
Freundschaft für England einbringen wird, von der unseligen Gewohnheit der
deutschen Fürsten abkommen, dem Wolf John Bull gegenüber die undankbare
Rolle des gutmütigen Kranichs zu spielen." Und in seiner Angst, England
möchte Deutschland in dieser neuen Position womöglich als „Sturmbock" gegen
Rußland verwenden, ging er schließlich so weit, den: steifleinenen Engländer
eine gen Himmel schreiende Quetschung zwischen dem welschen Roß und dem
russischen Elephanten zu wünschen, wobei er Deutschland empfahl, ruhig zuzusehen
und nicht mit der Ofengabel dreinzufahren! Ausdrücklich aber sei betont, daß
er es für ruchlos hielt, Zwietracht zwischen den Völkern zu säen, und daß er
wohl auch später vertrat, was er 1878 einmal im Reichstag betont hatte:
„Ich schmeichle mir, daß wir auch zwischen England und Rußland unter Umständen
ebensogut Vertrauensperson sein können, als ich sicher bin, daß wir es zwischen
Österreich und Rußland sind."

Sicher ist ja: Bismarcks lebenslange Vorliebe für englische Bildung und
Gesellschaft, wie sie den: aristokratisch-individualistischen Grundzug seines Wesens
und dem Geschmack des gebildeten Norddeutschen überhaupt entspricht, erstreckte
sich niemals auf die britische Politik, die ihm immerfort Schwierigkeiten bereitet
hatte, wenn er auch objektiv genug war, deren immanente egoistische Macht¬
tendenzen anzuerkennen. Zwar hielt er mit ihren offiziellen Vertretern ein im
ganzen korrektes Verhältnis aufrecht. Dabei kam die konservative Negierung
in seiner Beurteilung und Behandlung günstiger und gerechter weg als das
Gladstonesche Gouvernement, dessen Politik er, weil sie mit den Faktoren des
öffentlichen Lebens unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit und Freiheit,
Humanität und Friedensliebe zu theoretisch rechnete, wegen dieses doktrinären,


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[0509] Bismarck und England zu gefährden. Darum hat er mit den Versuchen einer deutsch-englischen Allianz überhaupt niemals so ernstlich spielen können, wie Lord Russell-Ampthill Zeit seines Lebens annahm, wenn auch das andere Bild, das Marcks neuerdings von seinem Standort aus (a. a. O.) gab, in der einseitigen Betonung der englischen Freundschaftswerbungen der Tatsache nicht gerecht wird, daß Bismarck nicht nur der Bündnis-Ablehnende, sondern auch Bündnis-Suchende war. Statt vieler Beispiele sei nur an sein bekanntes Wort erinnert: er liebe England, es lasse sich aber nicht lieben. Russells rückschauendem Blick erscheint das Verhältnis sogar so: „Ich konnte niemals — anfangs wollte er auch nicht — das tief- gewurzelte Mißtrauen überwinden, das sein Wunsch nach einem herzlichen Ein¬ vernehmen mit England in unserer Heimat erregte." Natürlich ist auch das einseitig und übertrieben. Denn immer, auch nach seinem Sturze, blieb Bismarck seiner kontinentalen Grundanschauung getreu; darum geißelte er damals vor allem in der Aufgabe der „doppelten Assekuranz" eine Politik, die die Grund¬ pfeiler seines Koalitionssystems erschütterte, indem sie durch Absage der Freund¬ schaft an Rußland diesen wertvollen neutralen Hintermann des Dreibundes in die Arme Frankreichs trieb, ohne für den Moment, geschweige denn für die Dauer ein wertvolles Äquivalent von England zu erhalten. „Hoffentlich wird Freundschaft für England einbringen wird, von der unseligen Gewohnheit der deutschen Fürsten abkommen, dem Wolf John Bull gegenüber die undankbare Rolle des gutmütigen Kranichs zu spielen." Und in seiner Angst, England möchte Deutschland in dieser neuen Position womöglich als „Sturmbock" gegen Rußland verwenden, ging er schließlich so weit, den: steifleinenen Engländer eine gen Himmel schreiende Quetschung zwischen dem welschen Roß und dem russischen Elephanten zu wünschen, wobei er Deutschland empfahl, ruhig zuzusehen und nicht mit der Ofengabel dreinzufahren! Ausdrücklich aber sei betont, daß er es für ruchlos hielt, Zwietracht zwischen den Völkern zu säen, und daß er wohl auch später vertrat, was er 1878 einmal im Reichstag betont hatte: „Ich schmeichle mir, daß wir auch zwischen England und Rußland unter Umständen ebensogut Vertrauensperson sein können, als ich sicher bin, daß wir es zwischen Österreich und Rußland sind." Sicher ist ja: Bismarcks lebenslange Vorliebe für englische Bildung und Gesellschaft, wie sie den: aristokratisch-individualistischen Grundzug seines Wesens und dem Geschmack des gebildeten Norddeutschen überhaupt entspricht, erstreckte sich niemals auf die britische Politik, die ihm immerfort Schwierigkeiten bereitet hatte, wenn er auch objektiv genug war, deren immanente egoistische Macht¬ tendenzen anzuerkennen. Zwar hielt er mit ihren offiziellen Vertretern ein im ganzen korrektes Verhältnis aufrecht. Dabei kam die konservative Negierung in seiner Beurteilung und Behandlung günstiger und gerechter weg als das Gladstonesche Gouvernement, dessen Politik er, weil sie mit den Faktoren des öffentlichen Lebens unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit und Freiheit, Humanität und Friedensliebe zu theoretisch rechnete, wegen dieses doktrinären, Grenzboten II 1910 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/509>, abgerufen am 01.07.2024.