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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und England

Seine unerhörte und unbestrittene Autorität in aller Welt, von der der
englische Botschafter in Berlin, Lord Odo Russell-Ampthill, behauptete, sie ertrage
nicht einmal den Schein, übergangen zu werden, und verzeihe niemals, wenn
man handle oder nur zu handeln scheine, ohne ihn zu fragen, weshalb jedem
europäischen Diplomaten, der auf Erfolg hoffe, anzuraten sei. zu ihm zu pilgern
und "am War des Ortsgenius" andächtig für dessen "Vorliebe für die Rolle
des Hauptakteurs" zu opfern! --, dazu die heute schwer verständliche Tatsache,
daß die deutsche Regierung damals die Fäden der europäischen Politik in der
Hand hatte und mit den Allianzen umspringen konnte, wie es heute die englische
tut: diese Momente machen es einigermaßen begreiflich, daß Bismarck auch
weiterhin Konflikte mit England vermeiden konnte, obwohl er ihm gegenüber
ohne reale Machtmittel und in Wirklichkeit in der Defensive war. Dabei ist
die dauernde Wiederholung seiner weltbekannten Friedensliebe, die er im voll¬
kommenen Einverständnis mit seinem kaiserlichen Herrn seit 1871 auch mancher
anderen, namentlich militärischen Strömung gegenüber aufrecht erhielt -- freilich
mit der gesunden Devise: "Wir fürchten den Krieg nicht, aber wir wünschen
ihn nicht" --, am letzten Ende nur das Eingeständnis dieses wunden Punktes
in seinem System, das wie das Napoleonische England gegenüber mit Schein¬
mitteln operieren mußte. Napoleon der Erste war darin gescheitert. Bismarck
aber begnügte sich zweifellos, indem er, das Steuer Europas in Händen, den
Frieden verkündete -- eine Gesinnung, die den Mächten als Garantie und Gebot
galt --, den Wiederausbruch der englischen Eifersucht auf die Erfolge der
deutschen Wirtschaftspolitik zu verhindern, die seit der Emanzipation von
Englands Zwischenhandel dessen Monopolstellung auf dein Weltmarkt überhaupt
bedrohte. Bald verschwand diese denn auch, kurz nach der friedlichen Beilegung
des diplomatischen Kolonialkrieges, von der Oberfläche. Sie ward aber heimlich
genährt von allen Engländern, die durch Deutschlands industrielles und über¬
seeisches Wachstum verloren. Und seitdem Bismarcks auswärtige Politik nach
Abschluß seiner Kolonialpolitik, die zur Verhütung einer englischen Weltherrschaft
noch rechtzeitig in die Ränder britischer Interessensphären geschnitten hatte, für
das "saturierte" Deutschland nichts mehr suchte, was drüben verstimmen konnte,
-- die Furcht vor einer damals noch undenkbareren deutschen Invasion fehlte
freilich, wie z. B. Russells Phantasien zeigen, auch zu dieser Zeit nicht, --
seitdem gar brauchte er auch von Englands Feindschaft oder Mißgunst keine
ernsten Gefahren mehr für den deutschen und europäischen Frieden zu besorgen.
Zudem wußte er, wie Max Lenz in seiner "Geschichte Bismarcks" treffend
bemerkt, aus den Erfahrungen des dänischen Krieges nur zu gut, daß der
Deutsche nicht bei jeden: Stirnrunzeln seines britischen Nachbarn an die Gefahren
eines Seekrieges zu denken braucht.

Nach alledem ist es daher unrichtig. Bismarck für eine -- an sich gut¬
zuheißende -- Politik in Anspruch zu nehmen, die mit einer respektheischenden
Flotte, Frieden gebietend, das feindliche England heute in Schach halten will.


Bismarck und England

Seine unerhörte und unbestrittene Autorität in aller Welt, von der der
englische Botschafter in Berlin, Lord Odo Russell-Ampthill, behauptete, sie ertrage
nicht einmal den Schein, übergangen zu werden, und verzeihe niemals, wenn
man handle oder nur zu handeln scheine, ohne ihn zu fragen, weshalb jedem
europäischen Diplomaten, der auf Erfolg hoffe, anzuraten sei. zu ihm zu pilgern
und „am War des Ortsgenius" andächtig für dessen „Vorliebe für die Rolle
des Hauptakteurs" zu opfern! —, dazu die heute schwer verständliche Tatsache,
daß die deutsche Regierung damals die Fäden der europäischen Politik in der
Hand hatte und mit den Allianzen umspringen konnte, wie es heute die englische
tut: diese Momente machen es einigermaßen begreiflich, daß Bismarck auch
weiterhin Konflikte mit England vermeiden konnte, obwohl er ihm gegenüber
ohne reale Machtmittel und in Wirklichkeit in der Defensive war. Dabei ist
die dauernde Wiederholung seiner weltbekannten Friedensliebe, die er im voll¬
kommenen Einverständnis mit seinem kaiserlichen Herrn seit 1871 auch mancher
anderen, namentlich militärischen Strömung gegenüber aufrecht erhielt — freilich
mit der gesunden Devise: „Wir fürchten den Krieg nicht, aber wir wünschen
ihn nicht" —, am letzten Ende nur das Eingeständnis dieses wunden Punktes
in seinem System, das wie das Napoleonische England gegenüber mit Schein¬
mitteln operieren mußte. Napoleon der Erste war darin gescheitert. Bismarck
aber begnügte sich zweifellos, indem er, das Steuer Europas in Händen, den
Frieden verkündete — eine Gesinnung, die den Mächten als Garantie und Gebot
galt —, den Wiederausbruch der englischen Eifersucht auf die Erfolge der
deutschen Wirtschaftspolitik zu verhindern, die seit der Emanzipation von
Englands Zwischenhandel dessen Monopolstellung auf dein Weltmarkt überhaupt
bedrohte. Bald verschwand diese denn auch, kurz nach der friedlichen Beilegung
des diplomatischen Kolonialkrieges, von der Oberfläche. Sie ward aber heimlich
genährt von allen Engländern, die durch Deutschlands industrielles und über¬
seeisches Wachstum verloren. Und seitdem Bismarcks auswärtige Politik nach
Abschluß seiner Kolonialpolitik, die zur Verhütung einer englischen Weltherrschaft
noch rechtzeitig in die Ränder britischer Interessensphären geschnitten hatte, für
das „saturierte" Deutschland nichts mehr suchte, was drüben verstimmen konnte,
— die Furcht vor einer damals noch undenkbareren deutschen Invasion fehlte
freilich, wie z. B. Russells Phantasien zeigen, auch zu dieser Zeit nicht, —
seitdem gar brauchte er auch von Englands Feindschaft oder Mißgunst keine
ernsten Gefahren mehr für den deutschen und europäischen Frieden zu besorgen.
Zudem wußte er, wie Max Lenz in seiner „Geschichte Bismarcks" treffend
bemerkt, aus den Erfahrungen des dänischen Krieges nur zu gut, daß der
Deutsche nicht bei jeden: Stirnrunzeln seines britischen Nachbarn an die Gefahren
eines Seekrieges zu denken braucht.

Nach alledem ist es daher unrichtig. Bismarck für eine — an sich gut¬
zuheißende — Politik in Anspruch zu nehmen, die mit einer respektheischenden
Flotte, Frieden gebietend, das feindliche England heute in Schach halten will.


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[0507] Bismarck und England Seine unerhörte und unbestrittene Autorität in aller Welt, von der der englische Botschafter in Berlin, Lord Odo Russell-Ampthill, behauptete, sie ertrage nicht einmal den Schein, übergangen zu werden, und verzeihe niemals, wenn man handle oder nur zu handeln scheine, ohne ihn zu fragen, weshalb jedem europäischen Diplomaten, der auf Erfolg hoffe, anzuraten sei. zu ihm zu pilgern und „am War des Ortsgenius" andächtig für dessen „Vorliebe für die Rolle des Hauptakteurs" zu opfern! —, dazu die heute schwer verständliche Tatsache, daß die deutsche Regierung damals die Fäden der europäischen Politik in der Hand hatte und mit den Allianzen umspringen konnte, wie es heute die englische tut: diese Momente machen es einigermaßen begreiflich, daß Bismarck auch weiterhin Konflikte mit England vermeiden konnte, obwohl er ihm gegenüber ohne reale Machtmittel und in Wirklichkeit in der Defensive war. Dabei ist die dauernde Wiederholung seiner weltbekannten Friedensliebe, die er im voll¬ kommenen Einverständnis mit seinem kaiserlichen Herrn seit 1871 auch mancher anderen, namentlich militärischen Strömung gegenüber aufrecht erhielt — freilich mit der gesunden Devise: „Wir fürchten den Krieg nicht, aber wir wünschen ihn nicht" —, am letzten Ende nur das Eingeständnis dieses wunden Punktes in seinem System, das wie das Napoleonische England gegenüber mit Schein¬ mitteln operieren mußte. Napoleon der Erste war darin gescheitert. Bismarck aber begnügte sich zweifellos, indem er, das Steuer Europas in Händen, den Frieden verkündete — eine Gesinnung, die den Mächten als Garantie und Gebot galt —, den Wiederausbruch der englischen Eifersucht auf die Erfolge der deutschen Wirtschaftspolitik zu verhindern, die seit der Emanzipation von Englands Zwischenhandel dessen Monopolstellung auf dein Weltmarkt überhaupt bedrohte. Bald verschwand diese denn auch, kurz nach der friedlichen Beilegung des diplomatischen Kolonialkrieges, von der Oberfläche. Sie ward aber heimlich genährt von allen Engländern, die durch Deutschlands industrielles und über¬ seeisches Wachstum verloren. Und seitdem Bismarcks auswärtige Politik nach Abschluß seiner Kolonialpolitik, die zur Verhütung einer englischen Weltherrschaft noch rechtzeitig in die Ränder britischer Interessensphären geschnitten hatte, für das „saturierte" Deutschland nichts mehr suchte, was drüben verstimmen konnte, — die Furcht vor einer damals noch undenkbareren deutschen Invasion fehlte freilich, wie z. B. Russells Phantasien zeigen, auch zu dieser Zeit nicht, — seitdem gar brauchte er auch von Englands Feindschaft oder Mißgunst keine ernsten Gefahren mehr für den deutschen und europäischen Frieden zu besorgen. Zudem wußte er, wie Max Lenz in seiner „Geschichte Bismarcks" treffend bemerkt, aus den Erfahrungen des dänischen Krieges nur zu gut, daß der Deutsche nicht bei jeden: Stirnrunzeln seines britischen Nachbarn an die Gefahren eines Seekrieges zu denken braucht. Nach alledem ist es daher unrichtig. Bismarck für eine — an sich gut¬ zuheißende — Politik in Anspruch zu nehmen, die mit einer respektheischenden Flotte, Frieden gebietend, das feindliche England heute in Schach halten will.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/507>, abgerufen am 01.07.2024.