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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Lismarck und England

Küste notdürftig zu decken suchte, nicht mit einem Seegefecht, das nach unseren
modernen Begriffen erst darüber entscheiden wird, ob Deutschland sich die
Blockierung und die Feinde im Besitz seiner Reichtümer gefallen lassen muß
oder nicht. Auf der Höhe der Sicherung, die der Dreibund mit dein neutralen
Nückendecker Rußland im Hintergrund bot, konnte das Reich einer britischen
Besetzung der deutschen Küste und damit einer Trennung von der See mit
Ruhe entgegensehen. Wie sich Bismarck freilich die Beschützung deutscher
Interessen in der Welt im Falle eines Krieges mit England ohne ausreichende
Flotte vorstellte, ist nicht ersichtlich: es war offenbar eine Perikleische Politik,
die in der Not nur die Kernmacht verteidigt und die Außenposten preisgibt;
der Napoleonische Stoß ins Herz des Feindes, wie ihn Moltke in der kontinentalen
Kriegführung genial nachgeschaffen hatte, konnte für die Marine der Bismarckschen
Zeit im etwaigen Ernstfalle keine Anwendung finden. Und so wären damals
in der Tat unsere Häfen, Kriegs- und Handelsschiffe, auch der norddeutsche
Lloyd und die Hamburg-Amerika Linie, dazu die Kolonien sowohl wie unsere
Handelshäuser und Interessen in den britischen Kolonien, ja der ganze deutsche
Welthandel gefährdet, wenn auch vielleicht nicht vernichtet worden von der
britischen Übermacht: ein Schicksal, das uns Deutschen noch 1897 ein von
Reventlow abgedruckter, für die deutschfeindliche Presse Englands typisch blut¬
rünstiger Hetzartikel prophezeite, wenn wir einen Kampf wagen würden!

Konnte Bismarck ein solches Fallissement riskieren? Sicherlich sah er einen
Krieg mit England nicht in drohender Nähe, sonst hätte er sich besser dafür
gerüstet. Vermutlich hielt er ihn durch Herstellung guter diplomatischer Beziehungen
1886 für absehbare Zeit aus der Welt geschafft, und hat ihn wohl auch in der
Zeit der ernsten Aufregung wegen der Kolonien 1884/85, die er selbst schürte,
(um aus der schonungsloser Ausbeutung der schwierigen Lage Englands in
Ägypten, Afghanistan und Irland für Deutschland möglichst viel Gewinn zu
ziehen) -- trotz energischen Säbelrasselns; oder sagen wir lieber: gerade darum? --,
kaum ernst nehmen wollen.

Hielt er es auch für notwendig, 1885 vor aller Welt tendenziös und gegen
seine Überzeugung zu erklären, daß es in England nicht wie in Frankreich
unberechenbare Ministerien gebe, von denen Krieg zu erwarten sei, und appellierte
er darum mit feiner Ironie an die erbliche Weisheit der englischen Nation (zu
Gladstones Zeiten!), die Deutschland nicht überfallen werde, so wußte er im
Grunde doch, daß nur Englands schwierigeLage bei völliger, keineswegs "glänzender"
Isolierung, die seiner diplomatischen Kunst auf kurze Zeit gelang, damals einer
Explosion der britischen Leidenschaft gegen Deutschlands Arroganz, in den
kolonialen Wettbewerb mit einzutreten, entgegenstand. Und nachdem er seine
Absicht erreicht, tat er im Interesse des Friedens mehr, als ein Durchschnitts¬
gewissen verantworten würde: er verleugnete die antienglische Stimmung in der Presse
jener Tage mit der an sich ehrenrühriger, aber durch den politischen Zweck vielleicht
gerechtfertigten Erklärung: sie sei durch Rubel und Francs erkauft gewesen! . . .


Lismarck und England

Küste notdürftig zu decken suchte, nicht mit einem Seegefecht, das nach unseren
modernen Begriffen erst darüber entscheiden wird, ob Deutschland sich die
Blockierung und die Feinde im Besitz seiner Reichtümer gefallen lassen muß
oder nicht. Auf der Höhe der Sicherung, die der Dreibund mit dein neutralen
Nückendecker Rußland im Hintergrund bot, konnte das Reich einer britischen
Besetzung der deutschen Küste und damit einer Trennung von der See mit
Ruhe entgegensehen. Wie sich Bismarck freilich die Beschützung deutscher
Interessen in der Welt im Falle eines Krieges mit England ohne ausreichende
Flotte vorstellte, ist nicht ersichtlich: es war offenbar eine Perikleische Politik,
die in der Not nur die Kernmacht verteidigt und die Außenposten preisgibt;
der Napoleonische Stoß ins Herz des Feindes, wie ihn Moltke in der kontinentalen
Kriegführung genial nachgeschaffen hatte, konnte für die Marine der Bismarckschen
Zeit im etwaigen Ernstfalle keine Anwendung finden. Und so wären damals
in der Tat unsere Häfen, Kriegs- und Handelsschiffe, auch der norddeutsche
Lloyd und die Hamburg-Amerika Linie, dazu die Kolonien sowohl wie unsere
Handelshäuser und Interessen in den britischen Kolonien, ja der ganze deutsche
Welthandel gefährdet, wenn auch vielleicht nicht vernichtet worden von der
britischen Übermacht: ein Schicksal, das uns Deutschen noch 1897 ein von
Reventlow abgedruckter, für die deutschfeindliche Presse Englands typisch blut¬
rünstiger Hetzartikel prophezeite, wenn wir einen Kampf wagen würden!

Konnte Bismarck ein solches Fallissement riskieren? Sicherlich sah er einen
Krieg mit England nicht in drohender Nähe, sonst hätte er sich besser dafür
gerüstet. Vermutlich hielt er ihn durch Herstellung guter diplomatischer Beziehungen
1886 für absehbare Zeit aus der Welt geschafft, und hat ihn wohl auch in der
Zeit der ernsten Aufregung wegen der Kolonien 1884/85, die er selbst schürte,
(um aus der schonungsloser Ausbeutung der schwierigen Lage Englands in
Ägypten, Afghanistan und Irland für Deutschland möglichst viel Gewinn zu
ziehen) — trotz energischen Säbelrasselns; oder sagen wir lieber: gerade darum? —,
kaum ernst nehmen wollen.

Hielt er es auch für notwendig, 1885 vor aller Welt tendenziös und gegen
seine Überzeugung zu erklären, daß es in England nicht wie in Frankreich
unberechenbare Ministerien gebe, von denen Krieg zu erwarten sei, und appellierte
er darum mit feiner Ironie an die erbliche Weisheit der englischen Nation (zu
Gladstones Zeiten!), die Deutschland nicht überfallen werde, so wußte er im
Grunde doch, daß nur Englands schwierigeLage bei völliger, keineswegs „glänzender"
Isolierung, die seiner diplomatischen Kunst auf kurze Zeit gelang, damals einer
Explosion der britischen Leidenschaft gegen Deutschlands Arroganz, in den
kolonialen Wettbewerb mit einzutreten, entgegenstand. Und nachdem er seine
Absicht erreicht, tat er im Interesse des Friedens mehr, als ein Durchschnitts¬
gewissen verantworten würde: er verleugnete die antienglische Stimmung in der Presse
jener Tage mit der an sich ehrenrühriger, aber durch den politischen Zweck vielleicht
gerechtfertigten Erklärung: sie sei durch Rubel und Francs erkauft gewesen! . . .


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[0506] Lismarck und England Küste notdürftig zu decken suchte, nicht mit einem Seegefecht, das nach unseren modernen Begriffen erst darüber entscheiden wird, ob Deutschland sich die Blockierung und die Feinde im Besitz seiner Reichtümer gefallen lassen muß oder nicht. Auf der Höhe der Sicherung, die der Dreibund mit dein neutralen Nückendecker Rußland im Hintergrund bot, konnte das Reich einer britischen Besetzung der deutschen Küste und damit einer Trennung von der See mit Ruhe entgegensehen. Wie sich Bismarck freilich die Beschützung deutscher Interessen in der Welt im Falle eines Krieges mit England ohne ausreichende Flotte vorstellte, ist nicht ersichtlich: es war offenbar eine Perikleische Politik, die in der Not nur die Kernmacht verteidigt und die Außenposten preisgibt; der Napoleonische Stoß ins Herz des Feindes, wie ihn Moltke in der kontinentalen Kriegführung genial nachgeschaffen hatte, konnte für die Marine der Bismarckschen Zeit im etwaigen Ernstfalle keine Anwendung finden. Und so wären damals in der Tat unsere Häfen, Kriegs- und Handelsschiffe, auch der norddeutsche Lloyd und die Hamburg-Amerika Linie, dazu die Kolonien sowohl wie unsere Handelshäuser und Interessen in den britischen Kolonien, ja der ganze deutsche Welthandel gefährdet, wenn auch vielleicht nicht vernichtet worden von der britischen Übermacht: ein Schicksal, das uns Deutschen noch 1897 ein von Reventlow abgedruckter, für die deutschfeindliche Presse Englands typisch blut¬ rünstiger Hetzartikel prophezeite, wenn wir einen Kampf wagen würden! Konnte Bismarck ein solches Fallissement riskieren? Sicherlich sah er einen Krieg mit England nicht in drohender Nähe, sonst hätte er sich besser dafür gerüstet. Vermutlich hielt er ihn durch Herstellung guter diplomatischer Beziehungen 1886 für absehbare Zeit aus der Welt geschafft, und hat ihn wohl auch in der Zeit der ernsten Aufregung wegen der Kolonien 1884/85, die er selbst schürte, (um aus der schonungsloser Ausbeutung der schwierigen Lage Englands in Ägypten, Afghanistan und Irland für Deutschland möglichst viel Gewinn zu ziehen) — trotz energischen Säbelrasselns; oder sagen wir lieber: gerade darum? —, kaum ernst nehmen wollen. Hielt er es auch für notwendig, 1885 vor aller Welt tendenziös und gegen seine Überzeugung zu erklären, daß es in England nicht wie in Frankreich unberechenbare Ministerien gebe, von denen Krieg zu erwarten sei, und appellierte er darum mit feiner Ironie an die erbliche Weisheit der englischen Nation (zu Gladstones Zeiten!), die Deutschland nicht überfallen werde, so wußte er im Grunde doch, daß nur Englands schwierigeLage bei völliger, keineswegs „glänzender" Isolierung, die seiner diplomatischen Kunst auf kurze Zeit gelang, damals einer Explosion der britischen Leidenschaft gegen Deutschlands Arroganz, in den kolonialen Wettbewerb mit einzutreten, entgegenstand. Und nachdem er seine Absicht erreicht, tat er im Interesse des Friedens mehr, als ein Durchschnitts¬ gewissen verantworten würde: er verleugnete die antienglische Stimmung in der Presse jener Tage mit der an sich ehrenrühriger, aber durch den politischen Zweck vielleicht gerechtfertigten Erklärung: sie sei durch Rubel und Francs erkauft gewesen! . . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/506>, abgerufen am 01.07.2024.