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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Lismarck und England

leistungsfähigste Typen wir uns heute die Köpfe zerbrechen, überhaupt nie
ernstlich. In Panzerschiffen sah er Parade- oder "Lügenschiffe", die nichts
leisten und nur Dekorationszwecken dienen. Er wollte lieber zwei kleinere Schiffe
statt eines großen, wegen ihrer größeren Beweglichkeit und schnelleren Verwend¬
barkeit, trat daher allein für Kreuzer und Torpedoboote ein: ihren Wert hatte er für die
Unterstützung seiner auswärtigen Politik in überseeischen Streitfragen oft erprobt;
den Wert von untätigen, schwerfälligen Riesenkricgsschiffen wollte er nicht ein¬
sehen. Admiral von Stosch geriet in diesen Fragen mit dein Kanzler oft in
Konflikt, dieser aber zeigte kein Verständnis dafür, das; das, was er wohl
"paradieren" nannte, eine verläßliche Gefechtsbereitschaft für den Kriegsfall vor¬
bereiten sollte.

Nach alledem ist klar, so unbegreiflich es auch klingt: Fragen, die unsere
Zeit erfüllen mit Furcht und Hoffnung, Probleme der Weltpolitik, des wirtschaft¬
lichen Zukunftskrieges oder des maritimen Kampfes, Gefahren einer drohenden
Universalmacht, komme sie nun von Westen oder Osten: all das fand in Bismarcks
Dichten und Trachten keinen Platz. Daß er schließlich den Gegensatz zu England,
den er unbewußt mit der Schutzzollpolitik heraufbeschwor und den er nach seinem
ersten Ausbruch in der heimischen und kolonialen öffentlichen Meinung bei
Gelegenheit der deutschen Kolonialerwerbungeu durch geniale Diplomatie friedlich
beilegte, als unüberwindlich empfunden hätte, dafür wird auch eine Legion
englandfeindlicher Bismarckzitate, die man aus seinen Privatgesprächen zusammen¬
suchen kann, nicht zeugen: er hätte sonst andere Vorkehrungen treffen müssen,
als seine Nordkanalidee vielleicht eine war, mit der er die Errichtung eines
viel weitergehenden Verbindungskanals der Meere und Flußmündungen längs
der deutschen Küste plante, als sie der Nordostseekanal später erfüllte, über den
er das viel mißbrauchte Schlagwort sprach, daß er unsere Flotte verdoppele! Man
wird diese Idee natürlich berücksichtigen, obwohl sie -- offiziell -- nur gegen
einen Angriff von französischer Seite gedacht war. Denn es ist möglich, daß
er aus politischer Vorsicht die Besprechung einer englischen Invasion vermied,
um das britische Volk nicht von neuen: gegen Deutschland aufzureizen. Sicher
freilich ist nur, daß er offiziell die englische Feindschaft bei einem neuen deutsch¬
französischen Kriege nicht befürchtete und darum 1890 die Neutralität Helgolands
in Englands Händen für günstiger hielt als den deutschen Besitz der Insel, der
uur den Nachteil der Selbstverteidigung mit sich bringe. Freilich gab er in den
"Gedanken und Erinnerungen" die beachtenswerte Gegentatsache nicht an, daß
er die Erwerbung Helgolands, als Schlüssel zum Ganzen seines Kanalprojektes,
einst selbst beabsichtigte. Wie dem auch sei, er erklärte hier den Küstenschutz,
den der Nordostseekanal biete, für nützlicher als die "Verwendung der Kanal¬
kosten auf Mehranschaffung von Schiffen, für deren Bemannung wir nicht über
unbegrenzte Kräfte verfügen", konnte also nie ernstlich daran denken, mit
Deutschlands damaliger Kriegsflotte eine Offensive zu wagen. Er rechnete
darum nur, wenn überhaupt, mit einem Blockadekrieg, für den er Deutschlands


Lismarck und England

leistungsfähigste Typen wir uns heute die Köpfe zerbrechen, überhaupt nie
ernstlich. In Panzerschiffen sah er Parade- oder „Lügenschiffe", die nichts
leisten und nur Dekorationszwecken dienen. Er wollte lieber zwei kleinere Schiffe
statt eines großen, wegen ihrer größeren Beweglichkeit und schnelleren Verwend¬
barkeit, trat daher allein für Kreuzer und Torpedoboote ein: ihren Wert hatte er für die
Unterstützung seiner auswärtigen Politik in überseeischen Streitfragen oft erprobt;
den Wert von untätigen, schwerfälligen Riesenkricgsschiffen wollte er nicht ein¬
sehen. Admiral von Stosch geriet in diesen Fragen mit dein Kanzler oft in
Konflikt, dieser aber zeigte kein Verständnis dafür, das; das, was er wohl
„paradieren" nannte, eine verläßliche Gefechtsbereitschaft für den Kriegsfall vor¬
bereiten sollte.

Nach alledem ist klar, so unbegreiflich es auch klingt: Fragen, die unsere
Zeit erfüllen mit Furcht und Hoffnung, Probleme der Weltpolitik, des wirtschaft¬
lichen Zukunftskrieges oder des maritimen Kampfes, Gefahren einer drohenden
Universalmacht, komme sie nun von Westen oder Osten: all das fand in Bismarcks
Dichten und Trachten keinen Platz. Daß er schließlich den Gegensatz zu England,
den er unbewußt mit der Schutzzollpolitik heraufbeschwor und den er nach seinem
ersten Ausbruch in der heimischen und kolonialen öffentlichen Meinung bei
Gelegenheit der deutschen Kolonialerwerbungeu durch geniale Diplomatie friedlich
beilegte, als unüberwindlich empfunden hätte, dafür wird auch eine Legion
englandfeindlicher Bismarckzitate, die man aus seinen Privatgesprächen zusammen¬
suchen kann, nicht zeugen: er hätte sonst andere Vorkehrungen treffen müssen,
als seine Nordkanalidee vielleicht eine war, mit der er die Errichtung eines
viel weitergehenden Verbindungskanals der Meere und Flußmündungen längs
der deutschen Küste plante, als sie der Nordostseekanal später erfüllte, über den
er das viel mißbrauchte Schlagwort sprach, daß er unsere Flotte verdoppele! Man
wird diese Idee natürlich berücksichtigen, obwohl sie — offiziell — nur gegen
einen Angriff von französischer Seite gedacht war. Denn es ist möglich, daß
er aus politischer Vorsicht die Besprechung einer englischen Invasion vermied,
um das britische Volk nicht von neuen: gegen Deutschland aufzureizen. Sicher
freilich ist nur, daß er offiziell die englische Feindschaft bei einem neuen deutsch¬
französischen Kriege nicht befürchtete und darum 1890 die Neutralität Helgolands
in Englands Händen für günstiger hielt als den deutschen Besitz der Insel, der
uur den Nachteil der Selbstverteidigung mit sich bringe. Freilich gab er in den
»Gedanken und Erinnerungen" die beachtenswerte Gegentatsache nicht an, daß
er die Erwerbung Helgolands, als Schlüssel zum Ganzen seines Kanalprojektes,
einst selbst beabsichtigte. Wie dem auch sei, er erklärte hier den Küstenschutz,
den der Nordostseekanal biete, für nützlicher als die „Verwendung der Kanal¬
kosten auf Mehranschaffung von Schiffen, für deren Bemannung wir nicht über
unbegrenzte Kräfte verfügen", konnte also nie ernstlich daran denken, mit
Deutschlands damaliger Kriegsflotte eine Offensive zu wagen. Er rechnete
darum nur, wenn überhaupt, mit einem Blockadekrieg, für den er Deutschlands


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/505>, abgerufen am 01.07.2024.