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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der Anstauschxrofessor

ganz stupide Gehirne aber stutzen plötzlich und fragen sich, wieso es möglich sei,
einen so schönen Damm, der nach einer so schönen Gegend, wie es die "Vier¬
dörfer" nun einmal sind, führt, für Kraftfahrzeuge zu verbieten. Auch Doktor Jerum
studierte die hohe behördliche Anordnung einige Male -- das mußte er! --.
Dann hörte er auf. Das viele Lesen konnte er heute morgen nicht vertragen.

Aufsehend bemerkte er einen Mann.

Das war der Herr Polizeisergeant Bunte. Bunte war, wie selbstverständlich
alle Polizeibeamten, sowohl dienstlich als außerdienstlich -- darauf hatte er einen
Eid geschworen -- ein hochanständiger Mensch. Aber er hatte gleichfalls am
gestrigen Sonnabend, und zwar von "Kön und Bier", also nicht ganz so vornehm
wie Herr Doktor Jerum, eine böse Schlagseite gekriegt, und führte nun, wie dieser
seinen "Wein"äffen, seinen "Kümmel"äffen auf dem Kruslaker Damm spazieren.
Er ging etwa in einer Entfernung von hundert Schritten hinter Doktor Jerum
her und tat, was dieser tat, und was alle von Weltschmerz und Katzenjammer
geplagten Menschen seit Anbeginn der Welt getan haben: er grübelte. "Köm-
und Bier"-Affen haben eine besonders bösartige Physiognomie. So hatte auch
das Grübeln Buntes an: heutigen, sonst so wunderschönen Sonntagmorgen einen
besonders grimmigen Charakter und lief, kurz gesagt, darauf hinaus: "Wenn
mir doch jetzt ein Kerl in den Weg käme, der was ausgefressen hätte, so daß
ich ihn verhaften könnte."

Kommende Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Kaum hatte Sergeant
Bunte seinen wenig menschenfreundlichen Gedanken das drittemal zu Ende gedacht,
da ließ sich auf der Bergstädter Chaussee ein gewaltiges Schnaufen hören.
Ungefähr so, wie wenn ein Riese andauernd in einen Sandberg niest. "Aha!"
dachte etwas in Bunte; instinktiv wandte er sich um. Ein Automobil. Ein
wundervolles, gelb lackiertes, von einem braun livrierten Chauffeur geführtes
Automobil. Fast ein solches, wie es der Deutsche Kaiser fährt. Aber was war
das? Das Aut hielt nicht Kurs, sondern bog, frech wie Oskar, in den Kruslaker
Damm hinein und sauste mit Kurierzuggeschwindigkeit genau auf den Punkt los,
wo Bunte stand. In Buntes Geist begann ein gespenstisches Wetterleuchten.
Er dachte: Nummer aufschreiben! -- Vor die Räder werfen! -- Frau und
Kinder! -- Säbel ziehen! -- Laufen lassen! -- und ähnliches. Aber das
Pflichtgefühl siegte. Er riß den Säbel heraus, pflanzte sich als Schlagbaum in
die Mitte der Straße und rief mit gewaltiger Stimme, wie er's beim Kommiß
gelernt hatte:

"Ha--a--a--a--aille!"

Das Aut stand.

spukte das hier auf dem Kruslaker Damm am hellichten Sonntagmorgen?

Der Kerl, der Chauffeur, war ja nicht nur am Leibe braun. Der war
auch im Gesicht braun. Das war ja -- das war -- 'n -- 'n -- Nigger. Das
war was Ausländisches. Das war was -- Bunte rekapitulierte blitzschnell
die von "Verhaftung" handelnden Paragraphen seiner Instruktion -- das war


Der Anstauschxrofessor

ganz stupide Gehirne aber stutzen plötzlich und fragen sich, wieso es möglich sei,
einen so schönen Damm, der nach einer so schönen Gegend, wie es die „Vier¬
dörfer" nun einmal sind, führt, für Kraftfahrzeuge zu verbieten. Auch Doktor Jerum
studierte die hohe behördliche Anordnung einige Male — das mußte er! —.
Dann hörte er auf. Das viele Lesen konnte er heute morgen nicht vertragen.

Aufsehend bemerkte er einen Mann.

Das war der Herr Polizeisergeant Bunte. Bunte war, wie selbstverständlich
alle Polizeibeamten, sowohl dienstlich als außerdienstlich — darauf hatte er einen
Eid geschworen — ein hochanständiger Mensch. Aber er hatte gleichfalls am
gestrigen Sonnabend, und zwar von „Kön und Bier", also nicht ganz so vornehm
wie Herr Doktor Jerum, eine böse Schlagseite gekriegt, und führte nun, wie dieser
seinen „Wein"äffen, seinen „Kümmel"äffen auf dem Kruslaker Damm spazieren.
Er ging etwa in einer Entfernung von hundert Schritten hinter Doktor Jerum
her und tat, was dieser tat, und was alle von Weltschmerz und Katzenjammer
geplagten Menschen seit Anbeginn der Welt getan haben: er grübelte. „Köm-
und Bier"-Affen haben eine besonders bösartige Physiognomie. So hatte auch
das Grübeln Buntes an: heutigen, sonst so wunderschönen Sonntagmorgen einen
besonders grimmigen Charakter und lief, kurz gesagt, darauf hinaus: „Wenn
mir doch jetzt ein Kerl in den Weg käme, der was ausgefressen hätte, so daß
ich ihn verhaften könnte."

Kommende Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Kaum hatte Sergeant
Bunte seinen wenig menschenfreundlichen Gedanken das drittemal zu Ende gedacht,
da ließ sich auf der Bergstädter Chaussee ein gewaltiges Schnaufen hören.
Ungefähr so, wie wenn ein Riese andauernd in einen Sandberg niest. „Aha!"
dachte etwas in Bunte; instinktiv wandte er sich um. Ein Automobil. Ein
wundervolles, gelb lackiertes, von einem braun livrierten Chauffeur geführtes
Automobil. Fast ein solches, wie es der Deutsche Kaiser fährt. Aber was war
das? Das Aut hielt nicht Kurs, sondern bog, frech wie Oskar, in den Kruslaker
Damm hinein und sauste mit Kurierzuggeschwindigkeit genau auf den Punkt los,
wo Bunte stand. In Buntes Geist begann ein gespenstisches Wetterleuchten.
Er dachte: Nummer aufschreiben! — Vor die Räder werfen! — Frau und
Kinder! — Säbel ziehen! — Laufen lassen! — und ähnliches. Aber das
Pflichtgefühl siegte. Er riß den Säbel heraus, pflanzte sich als Schlagbaum in
die Mitte der Straße und rief mit gewaltiger Stimme, wie er's beim Kommiß
gelernt hatte:

„Ha—a—a—a—aille!"

Das Aut stand.

spukte das hier auf dem Kruslaker Damm am hellichten Sonntagmorgen?

Der Kerl, der Chauffeur, war ja nicht nur am Leibe braun. Der war
auch im Gesicht braun. Das war ja — das war — 'n — 'n — Nigger. Das
war was Ausländisches. Das war was — Bunte rekapitulierte blitzschnell
die von „Verhaftung" handelnden Paragraphen seiner Instruktion — das war


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[0481] Der Anstauschxrofessor ganz stupide Gehirne aber stutzen plötzlich und fragen sich, wieso es möglich sei, einen so schönen Damm, der nach einer so schönen Gegend, wie es die „Vier¬ dörfer" nun einmal sind, führt, für Kraftfahrzeuge zu verbieten. Auch Doktor Jerum studierte die hohe behördliche Anordnung einige Male — das mußte er! —. Dann hörte er auf. Das viele Lesen konnte er heute morgen nicht vertragen. Aufsehend bemerkte er einen Mann. Das war der Herr Polizeisergeant Bunte. Bunte war, wie selbstverständlich alle Polizeibeamten, sowohl dienstlich als außerdienstlich — darauf hatte er einen Eid geschworen — ein hochanständiger Mensch. Aber er hatte gleichfalls am gestrigen Sonnabend, und zwar von „Kön und Bier", also nicht ganz so vornehm wie Herr Doktor Jerum, eine böse Schlagseite gekriegt, und führte nun, wie dieser seinen „Wein"äffen, seinen „Kümmel"äffen auf dem Kruslaker Damm spazieren. Er ging etwa in einer Entfernung von hundert Schritten hinter Doktor Jerum her und tat, was dieser tat, und was alle von Weltschmerz und Katzenjammer geplagten Menschen seit Anbeginn der Welt getan haben: er grübelte. „Köm- und Bier"-Affen haben eine besonders bösartige Physiognomie. So hatte auch das Grübeln Buntes an: heutigen, sonst so wunderschönen Sonntagmorgen einen besonders grimmigen Charakter und lief, kurz gesagt, darauf hinaus: „Wenn mir doch jetzt ein Kerl in den Weg käme, der was ausgefressen hätte, so daß ich ihn verhaften könnte." Kommende Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Kaum hatte Sergeant Bunte seinen wenig menschenfreundlichen Gedanken das drittemal zu Ende gedacht, da ließ sich auf der Bergstädter Chaussee ein gewaltiges Schnaufen hören. Ungefähr so, wie wenn ein Riese andauernd in einen Sandberg niest. „Aha!" dachte etwas in Bunte; instinktiv wandte er sich um. Ein Automobil. Ein wundervolles, gelb lackiertes, von einem braun livrierten Chauffeur geführtes Automobil. Fast ein solches, wie es der Deutsche Kaiser fährt. Aber was war das? Das Aut hielt nicht Kurs, sondern bog, frech wie Oskar, in den Kruslaker Damm hinein und sauste mit Kurierzuggeschwindigkeit genau auf den Punkt los, wo Bunte stand. In Buntes Geist begann ein gespenstisches Wetterleuchten. Er dachte: Nummer aufschreiben! — Vor die Räder werfen! — Frau und Kinder! — Säbel ziehen! — Laufen lassen! — und ähnliches. Aber das Pflichtgefühl siegte. Er riß den Säbel heraus, pflanzte sich als Schlagbaum in die Mitte der Straße und rief mit gewaltiger Stimme, wie er's beim Kommiß gelernt hatte: „Ha—a—a—a—aille!" Das Aut stand. spukte das hier auf dem Kruslaker Damm am hellichten Sonntagmorgen? Der Kerl, der Chauffeur, war ja nicht nur am Leibe braun. Der war auch im Gesicht braun. Das war ja — das war — 'n — 'n — Nigger. Das war was Ausländisches. Das war was — Bunte rekapitulierte blitzschnell die von „Verhaftung" handelnden Paragraphen seiner Instruktion — das war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/481>, abgerufen am 28.09.2024.