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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Robert Schumann der Achtundvierziger

In dem Tagebuch datieren die Aufzeichnungen von Klaras Hand -- wie
überhaupt die weit überwiegende Zahl der Blätter in dem nach ursprünglicher
Vereinbarung eigentlich gemeinsam zu führende" Tagebuch des Ehepaares
Schumann von ihr geschrieben sind. Er war mit seinen Arbeiten, Kompositionen
und Musikvereinsleitung, zu sehr überlastet. Und so dürfen wir uns nicht
wundern, auch hier die Urteile über die politischen Vorgänge in ihrer Handschrift zu
lesen; sie ist im Grunde nur der Dolmetsch der Anschauung, die der Gatte hegt.

Alles wurde von den Schumanns nach den Zeichen der Zeit gedeutet.
Wie waren sie ergriffen in diesen Tagen von der Egmont-Aufführung, "deren
Handlung so recht in unserer Zeit spielt". Da es ein Konzert zugunsten der
wieder für ihre Unabhängigkeit eintretenden Polen galt, waren Klara und Robert
schnell bei der Hand. "Polen und Rußland sollen in Aufstand sein. Wie sollte
es mich freuen, machte Polen sich wieder frei!"

Die Politik verdirbt in diesen Tagen alle Stimmung, sie bringt sie mit
den besten Freunden auseinander. Selbst der Maler Bendemann, der Schumann
ganz besonders zugetan war, muß einen "Zank" über sich ergehen lassen. Auch
Hübeners, der anderen Malerfamilie, erging es nicht besser. "Diese Leute sind
alle nicht im geringsten freisinnig. Traurig ist es zu sehen, wie wenig wahrhaft
freisinnige Menschen es unter dem gebildeten Stande gibt." -- Diese und ähnliche
Äußerungen zeigen uns -- freilich nur andeutend --, daß Schumann mit den
Demokraten sympathisierte und von einer Veränderung der Zustände mich für
seine Kunst Besserung erhoffte.

Freilich da der erste Sturm vorüber ist, schreibt er seinem Bruder: "Wie
hat sich die Welt verändert -- und was steht uns noch bevor? In die Zukunft
kann man nicht ohne Sorge schauen. Trifft die allgemeine Anarchie doch auch
den Künstler!" Er hatte wohl gefühlt, daß die Veränderung der Lage vorerst
absolut keinen Nutzen bot. Im Gegenteil, er sah seine Einnahmen verringert
und klagt dein Bruder sein Leid, geht ihn sogar mit der Bitte an, ihn in der
Zahlung seines fälligen Hanszinses von 36 Talern zu unterstützen.

Die eigentliche Revolution stand den Dresdenern noch bevor. Im Mai 1849
ging dort der Kampf erst richtig los. Schumann flüchtet mit den Seinen aus
der Stadt nach Bad Kreischa und lebt "von der Revolution vertrieben -- hier
in traulicher Stille". Er arbeitet und arbeitet sich den Sturm der Gefühle von
der Seele. Aber die Art der Arbeiten bietet ein Echo zu dem lauten Schlachtenruf
da draußen: Direkt uach den: Mai-Aufstand entstehen die "Fünf Jagdlieder für
Männerchor". Man denkt da an Webers Vorbilder von 1813, "Lützows wilde
Jagd" u. ä. Und die Motette "Verzweifle nicht im Schmerzenstal" -- klingt
sie nicht wie ein Mahnruf an das eigene Gewissen?

Den reinsten Ausfluß der wilden, drängenden Revolutionsstimmung aber
bilden vier Märsche, "Volksinärsche, von pompöser Wirkung." Die Märsche
wurden vom 12. bis 16. Juni 1849 in Dresden komponiert. Die von Schumann
demonstrativ dem Titel beigefügte Jahreszahl 1849 soll zweifellos angeben, daß


Robert Schumann der Achtundvierziger

In dem Tagebuch datieren die Aufzeichnungen von Klaras Hand — wie
überhaupt die weit überwiegende Zahl der Blätter in dem nach ursprünglicher
Vereinbarung eigentlich gemeinsam zu führende» Tagebuch des Ehepaares
Schumann von ihr geschrieben sind. Er war mit seinen Arbeiten, Kompositionen
und Musikvereinsleitung, zu sehr überlastet. Und so dürfen wir uns nicht
wundern, auch hier die Urteile über die politischen Vorgänge in ihrer Handschrift zu
lesen; sie ist im Grunde nur der Dolmetsch der Anschauung, die der Gatte hegt.

Alles wurde von den Schumanns nach den Zeichen der Zeit gedeutet.
Wie waren sie ergriffen in diesen Tagen von der Egmont-Aufführung, „deren
Handlung so recht in unserer Zeit spielt". Da es ein Konzert zugunsten der
wieder für ihre Unabhängigkeit eintretenden Polen galt, waren Klara und Robert
schnell bei der Hand. „Polen und Rußland sollen in Aufstand sein. Wie sollte
es mich freuen, machte Polen sich wieder frei!"

Die Politik verdirbt in diesen Tagen alle Stimmung, sie bringt sie mit
den besten Freunden auseinander. Selbst der Maler Bendemann, der Schumann
ganz besonders zugetan war, muß einen „Zank" über sich ergehen lassen. Auch
Hübeners, der anderen Malerfamilie, erging es nicht besser. „Diese Leute sind
alle nicht im geringsten freisinnig. Traurig ist es zu sehen, wie wenig wahrhaft
freisinnige Menschen es unter dem gebildeten Stande gibt." — Diese und ähnliche
Äußerungen zeigen uns — freilich nur andeutend —, daß Schumann mit den
Demokraten sympathisierte und von einer Veränderung der Zustände mich für
seine Kunst Besserung erhoffte.

Freilich da der erste Sturm vorüber ist, schreibt er seinem Bruder: „Wie
hat sich die Welt verändert — und was steht uns noch bevor? In die Zukunft
kann man nicht ohne Sorge schauen. Trifft die allgemeine Anarchie doch auch
den Künstler!" Er hatte wohl gefühlt, daß die Veränderung der Lage vorerst
absolut keinen Nutzen bot. Im Gegenteil, er sah seine Einnahmen verringert
und klagt dein Bruder sein Leid, geht ihn sogar mit der Bitte an, ihn in der
Zahlung seines fälligen Hanszinses von 36 Talern zu unterstützen.

Die eigentliche Revolution stand den Dresdenern noch bevor. Im Mai 1849
ging dort der Kampf erst richtig los. Schumann flüchtet mit den Seinen aus
der Stadt nach Bad Kreischa und lebt „von der Revolution vertrieben — hier
in traulicher Stille". Er arbeitet und arbeitet sich den Sturm der Gefühle von
der Seele. Aber die Art der Arbeiten bietet ein Echo zu dem lauten Schlachtenruf
da draußen: Direkt uach den: Mai-Aufstand entstehen die „Fünf Jagdlieder für
Männerchor". Man denkt da an Webers Vorbilder von 1813, „Lützows wilde
Jagd" u. ä. Und die Motette „Verzweifle nicht im Schmerzenstal" — klingt
sie nicht wie ein Mahnruf an das eigene Gewissen?

Den reinsten Ausfluß der wilden, drängenden Revolutionsstimmung aber
bilden vier Märsche, „Volksinärsche, von pompöser Wirkung." Die Märsche
wurden vom 12. bis 16. Juni 1849 in Dresden komponiert. Die von Schumann
demonstrativ dem Titel beigefügte Jahreszahl 1849 soll zweifellos angeben, daß


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[0476] Robert Schumann der Achtundvierziger In dem Tagebuch datieren die Aufzeichnungen von Klaras Hand — wie überhaupt die weit überwiegende Zahl der Blätter in dem nach ursprünglicher Vereinbarung eigentlich gemeinsam zu führende» Tagebuch des Ehepaares Schumann von ihr geschrieben sind. Er war mit seinen Arbeiten, Kompositionen und Musikvereinsleitung, zu sehr überlastet. Und so dürfen wir uns nicht wundern, auch hier die Urteile über die politischen Vorgänge in ihrer Handschrift zu lesen; sie ist im Grunde nur der Dolmetsch der Anschauung, die der Gatte hegt. Alles wurde von den Schumanns nach den Zeichen der Zeit gedeutet. Wie waren sie ergriffen in diesen Tagen von der Egmont-Aufführung, „deren Handlung so recht in unserer Zeit spielt". Da es ein Konzert zugunsten der wieder für ihre Unabhängigkeit eintretenden Polen galt, waren Klara und Robert schnell bei der Hand. „Polen und Rußland sollen in Aufstand sein. Wie sollte es mich freuen, machte Polen sich wieder frei!" Die Politik verdirbt in diesen Tagen alle Stimmung, sie bringt sie mit den besten Freunden auseinander. Selbst der Maler Bendemann, der Schumann ganz besonders zugetan war, muß einen „Zank" über sich ergehen lassen. Auch Hübeners, der anderen Malerfamilie, erging es nicht besser. „Diese Leute sind alle nicht im geringsten freisinnig. Traurig ist es zu sehen, wie wenig wahrhaft freisinnige Menschen es unter dem gebildeten Stande gibt." — Diese und ähnliche Äußerungen zeigen uns — freilich nur andeutend —, daß Schumann mit den Demokraten sympathisierte und von einer Veränderung der Zustände mich für seine Kunst Besserung erhoffte. Freilich da der erste Sturm vorüber ist, schreibt er seinem Bruder: „Wie hat sich die Welt verändert — und was steht uns noch bevor? In die Zukunft kann man nicht ohne Sorge schauen. Trifft die allgemeine Anarchie doch auch den Künstler!" Er hatte wohl gefühlt, daß die Veränderung der Lage vorerst absolut keinen Nutzen bot. Im Gegenteil, er sah seine Einnahmen verringert und klagt dein Bruder sein Leid, geht ihn sogar mit der Bitte an, ihn in der Zahlung seines fälligen Hanszinses von 36 Talern zu unterstützen. Die eigentliche Revolution stand den Dresdenern noch bevor. Im Mai 1849 ging dort der Kampf erst richtig los. Schumann flüchtet mit den Seinen aus der Stadt nach Bad Kreischa und lebt „von der Revolution vertrieben — hier in traulicher Stille". Er arbeitet und arbeitet sich den Sturm der Gefühle von der Seele. Aber die Art der Arbeiten bietet ein Echo zu dem lauten Schlachtenruf da draußen: Direkt uach den: Mai-Aufstand entstehen die „Fünf Jagdlieder für Männerchor". Man denkt da an Webers Vorbilder von 1813, „Lützows wilde Jagd" u. ä. Und die Motette „Verzweifle nicht im Schmerzenstal" — klingt sie nicht wie ein Mahnruf an das eigene Gewissen? Den reinsten Ausfluß der wilden, drängenden Revolutionsstimmung aber bilden vier Märsche, „Volksinärsche, von pompöser Wirkung." Die Märsche wurden vom 12. bis 16. Juni 1849 in Dresden komponiert. Die von Schumann demonstrativ dem Titel beigefügte Jahreszahl 1849 soll zweifellos angeben, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/476>, abgerufen am 29.06.2024.