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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Robert Schumann der Achtundvierziger
Zum hundertsten Geburtstage des Meisters
von Wilhelm Alccfcld

MSK
W^^/^^aduncum Freiheitskäntpfer? Der sentimentale Lyriker Revolutionär?
Jawohl, aber erschrick nicht, mein Leser; nicht mit der Muskete
!in der Hand, hinter den Barrikaden, nein, mit dem Notenstift,
am Schreibpult, setzte sich Schumann mit den revolutionären Ideen
I der Jahre 1848/49 auseinander.

Wäre es nicht merkwürdig, wenn ein Künstler wie Schumann, der sich ja
nicht auf sein musikalisches Gebiet beschränkte, sondern an allen großen Kuust-
und Kulturfragen regen Anteil nahm, an diesem Weltproblem seiner Zeit ganz
achtlos vorübergegangen wäre? Auch Wagner war keineswegs Politiker und
nicht im entferntesten rief ihn der revolutionäre Drang der Gewalt an die
Barrikaden; die Revolution der Kunst, die Einsicht der Notwendigkeit einer
vollen Reorganisation von Grund auf zum speziellen Heil der Kunst war die
Tendenz seiner Äußerungen im Mai-Aufstand, die ihn auf die Anklagebank riefen
und den Flüchtigen aus dein Vaterlande verbannten.

In verwandter Geistesrichtung bewegte sich im Jahre 1848 Robert Schumann.
Gerade in Dresden hatte er tief in die Abgründe mittelmäßiger Kunst hinein¬
geschaut und ein schwerer Pessimismus hatte ihn öfter gepackt. Je mehr er
seine schönsten Hoffnungen erblassen, seine besten Erwartungen schwinden und
versinken sah, um so wilder trieb es ihn -- freilich nur in Gedanken -- ins
Lager der Gegner, der Reformatoren, der Revolutionäre. "Nur in Gedanken"
suchte er neue Ziele durch große Umwälzungen näher zu bringen.

Wie stellte er sich in Person zu der großen Bewegung? Das Jahr
1848 donnerte ja nur aus der Ferne, aus Berlin und Wien nach Dresden
hinüber. Mit allerhand Betrachtungen, mit langwierigen Diskussionen begleiteten
Schumann und seine kluge Frau Klara die blutigen Ereignisse. Aus ihren
Briefen und Tagebüchern erfahren wir, wie sie sich zu den Ereignissen stellten,
wie sie sich schnell -- im Geiste -- auf die Seite der Revolutionäre schlugen.
"Über tausend Menschen sollen gefallen sein -- was hat so ein König auf seinem
Gewissen ---" lautet die Kritik über die Berliner Ereignisse von: 18. März.




Robert Schumann der Achtundvierziger
Zum hundertsten Geburtstage des Meisters
von Wilhelm Alccfcld

MSK
W^^/^^aduncum Freiheitskäntpfer? Der sentimentale Lyriker Revolutionär?
Jawohl, aber erschrick nicht, mein Leser; nicht mit der Muskete
!in der Hand, hinter den Barrikaden, nein, mit dem Notenstift,
am Schreibpult, setzte sich Schumann mit den revolutionären Ideen
I der Jahre 1848/49 auseinander.

Wäre es nicht merkwürdig, wenn ein Künstler wie Schumann, der sich ja
nicht auf sein musikalisches Gebiet beschränkte, sondern an allen großen Kuust-
und Kulturfragen regen Anteil nahm, an diesem Weltproblem seiner Zeit ganz
achtlos vorübergegangen wäre? Auch Wagner war keineswegs Politiker und
nicht im entferntesten rief ihn der revolutionäre Drang der Gewalt an die
Barrikaden; die Revolution der Kunst, die Einsicht der Notwendigkeit einer
vollen Reorganisation von Grund auf zum speziellen Heil der Kunst war die
Tendenz seiner Äußerungen im Mai-Aufstand, die ihn auf die Anklagebank riefen
und den Flüchtigen aus dein Vaterlande verbannten.

In verwandter Geistesrichtung bewegte sich im Jahre 1848 Robert Schumann.
Gerade in Dresden hatte er tief in die Abgründe mittelmäßiger Kunst hinein¬
geschaut und ein schwerer Pessimismus hatte ihn öfter gepackt. Je mehr er
seine schönsten Hoffnungen erblassen, seine besten Erwartungen schwinden und
versinken sah, um so wilder trieb es ihn — freilich nur in Gedanken — ins
Lager der Gegner, der Reformatoren, der Revolutionäre. „Nur in Gedanken"
suchte er neue Ziele durch große Umwälzungen näher zu bringen.

Wie stellte er sich in Person zu der großen Bewegung? Das Jahr
1848 donnerte ja nur aus der Ferne, aus Berlin und Wien nach Dresden
hinüber. Mit allerhand Betrachtungen, mit langwierigen Diskussionen begleiteten
Schumann und seine kluge Frau Klara die blutigen Ereignisse. Aus ihren
Briefen und Tagebüchern erfahren wir, wie sie sich zu den Ereignissen stellten,
wie sie sich schnell — im Geiste — auf die Seite der Revolutionäre schlugen.
„Über tausend Menschen sollen gefallen sein — was hat so ein König auf seinem
Gewissen -—" lautet die Kritik über die Berliner Ereignisse von: 18. März.


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[0475] [Abbildung] Robert Schumann der Achtundvierziger Zum hundertsten Geburtstage des Meisters von Wilhelm Alccfcld MSK W^^/^^aduncum Freiheitskäntpfer? Der sentimentale Lyriker Revolutionär? Jawohl, aber erschrick nicht, mein Leser; nicht mit der Muskete !in der Hand, hinter den Barrikaden, nein, mit dem Notenstift, am Schreibpult, setzte sich Schumann mit den revolutionären Ideen I der Jahre 1848/49 auseinander. Wäre es nicht merkwürdig, wenn ein Künstler wie Schumann, der sich ja nicht auf sein musikalisches Gebiet beschränkte, sondern an allen großen Kuust- und Kulturfragen regen Anteil nahm, an diesem Weltproblem seiner Zeit ganz achtlos vorübergegangen wäre? Auch Wagner war keineswegs Politiker und nicht im entferntesten rief ihn der revolutionäre Drang der Gewalt an die Barrikaden; die Revolution der Kunst, die Einsicht der Notwendigkeit einer vollen Reorganisation von Grund auf zum speziellen Heil der Kunst war die Tendenz seiner Äußerungen im Mai-Aufstand, die ihn auf die Anklagebank riefen und den Flüchtigen aus dein Vaterlande verbannten. In verwandter Geistesrichtung bewegte sich im Jahre 1848 Robert Schumann. Gerade in Dresden hatte er tief in die Abgründe mittelmäßiger Kunst hinein¬ geschaut und ein schwerer Pessimismus hatte ihn öfter gepackt. Je mehr er seine schönsten Hoffnungen erblassen, seine besten Erwartungen schwinden und versinken sah, um so wilder trieb es ihn — freilich nur in Gedanken — ins Lager der Gegner, der Reformatoren, der Revolutionäre. „Nur in Gedanken" suchte er neue Ziele durch große Umwälzungen näher zu bringen. Wie stellte er sich in Person zu der großen Bewegung? Das Jahr 1848 donnerte ja nur aus der Ferne, aus Berlin und Wien nach Dresden hinüber. Mit allerhand Betrachtungen, mit langwierigen Diskussionen begleiteten Schumann und seine kluge Frau Klara die blutigen Ereignisse. Aus ihren Briefen und Tagebüchern erfahren wir, wie sie sich zu den Ereignissen stellten, wie sie sich schnell — im Geiste — auf die Seite der Revolutionäre schlugen. „Über tausend Menschen sollen gefallen sein — was hat so ein König auf seinem Gewissen -—" lautet die Kritik über die Berliner Ereignisse von: 18. März.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/475>, abgerufen am 29.06.2024.