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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Plato für die Gegenwart

versucht im poetischen Bilde, in spanischer Begeisterung zu sagen, wie er den
Eros in sich fühlt. Kaßner hat hier offenbar den spanischen Ton überhört,
der Agathous Rede aus dem ganzen Werke heraushebt. Gerade darauf beruht
ja der Spott des Sokrates, dann die Steigerung, daß er sagt: Die Schönheit
der Rede war bewundernswert, das Bild des Eros aber falsch. Darum darf
gerade hier der Übersetzer nicht prosaisch verdeutschen, sondern ums; den Ton halten.

Der Schluß klingt bei Kaßner so: "So nimmt uns denn Eros alles Fremde
und gibt uns alles Eigene wieder; wo wir uns alle finden, dorthin führt Eros
die Wege, er ist der Herold und führt die Festzuge und Chöre und uns, wenn
wir zu den Opfern schreiten. Eros reißt alles Wilde aus und macht uns sanft;
er schenkt uns den guten Willen und raubt den Herzen allen Streit; Eros ist
gnädig, ihn schauen die Weisen und lieben die Götter; er ist der Neid der
Unglücklichen und der Schatz aller, die sich ins Glück geteilt. Eros ist der
Schöpfer aller Zärtlichkeit, Üppigkeit, Anmut und Sehnsucht des Menschen, er
kennt alles Gute und zieht vom Bösen weg. In allen Stücken, in jeder Furcht
und jedem Begehren, im Worte -- da weiß er sicher zu lenken, da ist Eros die
Hilfe und der Retter. Eros ist die Ordnung unter den Göttern und Menschen,
der herrlichste und tapferste Held, und ihm müssen die Menschen folgen, und
alle müssen in den Gesang stimmen, den er, Götter- und Menschensinn bezaubernd,
singt."--Diese salopp aneinander gereihten kurzen Sätze sind im Original ein
einziger Satz von großer Architektur. Der Sinn ist so ungefähr, wenn auch
sehr frei, wiedergegeben, von der Form nichts. Nun besteht ja allerdings der
Aberglaube, daß mau im Deutschen keine langen Sätze bauen dürfe, aber auch
von den schönen Gleichklüngen bringt Kaßner nichts und läßt -- was mir ganz
unbegreiflich ist -- den starken, wirksamen Parallelismus (in der obigen
Übersetzung von der vierten Zeile ab) ganz unbeachtet:


i^it-zi^'r" M^.A>lo>, 8' -^o^^no
s'.l.^ol^ni; ?'^>,-,v-l"-, <K"^v; ouz^Tosi"^ usw.

Was in möglichster Anlehnung an das Original etwa so klingt:


Mittheil verleihend, Wildheit zerstreuend,
Verschwenderisch mit Herzlichkeit, kargend mit Herzlosigkeit,
Huldvoll den Guten, geschaut von Weisen, geliebt von Göttern,
Bereitet von Armen, gesucht von gleichen,
Der Fülle, der Feinheit, der Wonne, der Anmut, des Reizes, der Sehnsucht Vater,
Bekümmert für Gute, unbekümmert um Schlechte,
Im Hangen und Bangen, Im Sehnen und Sinnen der beste
Lenkende und Leitende, Helfende und Heilende usw.

Man sieht, der dithyrambische Schwung wurde bei Kaßuer zum matten Fließen.

Die Tendenz, zu mildern und zu schwächen, läßt sich in der Rede auch
inhaltlich nachweisen. So wird sopliroZyno mit Enthaltsamkeit übersetzt,
was im Zusammenhange offenbar zu asketisch klingt, und aZattm gar in ganz
christlicher und unhellenischer Weise mit "Güte" anstatt "Güter".


Plato für die Gegenwart

versucht im poetischen Bilde, in spanischer Begeisterung zu sagen, wie er den
Eros in sich fühlt. Kaßner hat hier offenbar den spanischen Ton überhört,
der Agathous Rede aus dem ganzen Werke heraushebt. Gerade darauf beruht
ja der Spott des Sokrates, dann die Steigerung, daß er sagt: Die Schönheit
der Rede war bewundernswert, das Bild des Eros aber falsch. Darum darf
gerade hier der Übersetzer nicht prosaisch verdeutschen, sondern ums; den Ton halten.

Der Schluß klingt bei Kaßner so: „So nimmt uns denn Eros alles Fremde
und gibt uns alles Eigene wieder; wo wir uns alle finden, dorthin führt Eros
die Wege, er ist der Herold und führt die Festzuge und Chöre und uns, wenn
wir zu den Opfern schreiten. Eros reißt alles Wilde aus und macht uns sanft;
er schenkt uns den guten Willen und raubt den Herzen allen Streit; Eros ist
gnädig, ihn schauen die Weisen und lieben die Götter; er ist der Neid der
Unglücklichen und der Schatz aller, die sich ins Glück geteilt. Eros ist der
Schöpfer aller Zärtlichkeit, Üppigkeit, Anmut und Sehnsucht des Menschen, er
kennt alles Gute und zieht vom Bösen weg. In allen Stücken, in jeder Furcht
und jedem Begehren, im Worte — da weiß er sicher zu lenken, da ist Eros die
Hilfe und der Retter. Eros ist die Ordnung unter den Göttern und Menschen,
der herrlichste und tapferste Held, und ihm müssen die Menschen folgen, und
alle müssen in den Gesang stimmen, den er, Götter- und Menschensinn bezaubernd,
singt."—Diese salopp aneinander gereihten kurzen Sätze sind im Original ein
einziger Satz von großer Architektur. Der Sinn ist so ungefähr, wenn auch
sehr frei, wiedergegeben, von der Form nichts. Nun besteht ja allerdings der
Aberglaube, daß mau im Deutschen keine langen Sätze bauen dürfe, aber auch
von den schönen Gleichklüngen bringt Kaßner nichts und läßt — was mir ganz
unbegreiflich ist — den starken, wirksamen Parallelismus (in der obigen
Übersetzung von der vierten Zeile ab) ganz unbeachtet:


i^it-zi^'r« M^.A>lo>, 8' -^o^^no
s'.l.^ol^ni; ?'^>,-,v-l«-, <K»^v; ouz^Tosi«^ usw.

Was in möglichster Anlehnung an das Original etwa so klingt:


Mittheil verleihend, Wildheit zerstreuend,
Verschwenderisch mit Herzlichkeit, kargend mit Herzlosigkeit,
Huldvoll den Guten, geschaut von Weisen, geliebt von Göttern,
Bereitet von Armen, gesucht von gleichen,
Der Fülle, der Feinheit, der Wonne, der Anmut, des Reizes, der Sehnsucht Vater,
Bekümmert für Gute, unbekümmert um Schlechte,
Im Hangen und Bangen, Im Sehnen und Sinnen der beste
Lenkende und Leitende, Helfende und Heilende usw.

Man sieht, der dithyrambische Schwung wurde bei Kaßuer zum matten Fließen.

Die Tendenz, zu mildern und zu schwächen, läßt sich in der Rede auch
inhaltlich nachweisen. So wird sopliroZyno mit Enthaltsamkeit übersetzt,
was im Zusammenhange offenbar zu asketisch klingt, und aZattm gar in ganz
christlicher und unhellenischer Weise mit „Güte" anstatt „Güter".


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[0466] Plato für die Gegenwart versucht im poetischen Bilde, in spanischer Begeisterung zu sagen, wie er den Eros in sich fühlt. Kaßner hat hier offenbar den spanischen Ton überhört, der Agathous Rede aus dem ganzen Werke heraushebt. Gerade darauf beruht ja der Spott des Sokrates, dann die Steigerung, daß er sagt: Die Schönheit der Rede war bewundernswert, das Bild des Eros aber falsch. Darum darf gerade hier der Übersetzer nicht prosaisch verdeutschen, sondern ums; den Ton halten. Der Schluß klingt bei Kaßner so: „So nimmt uns denn Eros alles Fremde und gibt uns alles Eigene wieder; wo wir uns alle finden, dorthin führt Eros die Wege, er ist der Herold und führt die Festzuge und Chöre und uns, wenn wir zu den Opfern schreiten. Eros reißt alles Wilde aus und macht uns sanft; er schenkt uns den guten Willen und raubt den Herzen allen Streit; Eros ist gnädig, ihn schauen die Weisen und lieben die Götter; er ist der Neid der Unglücklichen und der Schatz aller, die sich ins Glück geteilt. Eros ist der Schöpfer aller Zärtlichkeit, Üppigkeit, Anmut und Sehnsucht des Menschen, er kennt alles Gute und zieht vom Bösen weg. In allen Stücken, in jeder Furcht und jedem Begehren, im Worte — da weiß er sicher zu lenken, da ist Eros die Hilfe und der Retter. Eros ist die Ordnung unter den Göttern und Menschen, der herrlichste und tapferste Held, und ihm müssen die Menschen folgen, und alle müssen in den Gesang stimmen, den er, Götter- und Menschensinn bezaubernd, singt."—Diese salopp aneinander gereihten kurzen Sätze sind im Original ein einziger Satz von großer Architektur. Der Sinn ist so ungefähr, wenn auch sehr frei, wiedergegeben, von der Form nichts. Nun besteht ja allerdings der Aberglaube, daß mau im Deutschen keine langen Sätze bauen dürfe, aber auch von den schönen Gleichklüngen bringt Kaßner nichts und läßt — was mir ganz unbegreiflich ist — den starken, wirksamen Parallelismus (in der obigen Übersetzung von der vierten Zeile ab) ganz unbeachtet: i^it-zi^'r« M^.A>lo>, 8' -^o^^no s'.l.^ol^ni; ?'^>,-,v-l«-, <K»^v; ouz^Tosi«^ usw. Was in möglichster Anlehnung an das Original etwa so klingt: Mittheil verleihend, Wildheit zerstreuend, Verschwenderisch mit Herzlichkeit, kargend mit Herzlosigkeit, Huldvoll den Guten, geschaut von Weisen, geliebt von Göttern, Bereitet von Armen, gesucht von gleichen, Der Fülle, der Feinheit, der Wonne, der Anmut, des Reizes, der Sehnsucht Vater, Bekümmert für Gute, unbekümmert um Schlechte, Im Hangen und Bangen, Im Sehnen und Sinnen der beste Lenkende und Leitende, Helfende und Heilende usw. Man sieht, der dithyrambische Schwung wurde bei Kaßuer zum matten Fließen. Die Tendenz, zu mildern und zu schwächen, läßt sich in der Rede auch inhaltlich nachweisen. So wird sopliroZyno mit Enthaltsamkeit übersetzt, was im Zusammenhange offenbar zu asketisch klingt, und aZattm gar in ganz christlicher und unhellenischer Weise mit „Güte" anstatt „Güter".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/466>, abgerufen am 26.06.2024.