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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Plato für die Gegenwart

ihr anderen Götter hier an uns, gebt mir, daß ich schön werde in der Seele,
und daß alles, was mir zukommt, zu meiner Seele freundlich strebe! Gebt
mir, daß ich den Weisen für reich halte und vom Golde sei mir stets nur so
viel, als der Mäßige bedarf."

Eine solche Überschau muß jeden lehren, daß in den Dialogen der bildhafte
Vorgang keine Ausschmückung des Gedankenganges ist, sondern vieles schön und
eindringlich sagt, was in der belehrenden Rede nicht gesagt werden kann; es
wäre barbarisch, die abstrakte Lehrschrift den Dialogen vorzuziehen. Kaßners
Vorzug besteht nun darin, daß er uns das Erfassen des Gesamtbildes erleichtert.
Indem er sich in den psychischen Vorgang des Gespräches einfühlt, kann er aus
diesem Gefühl auch dein Sprechenden eine lebendige Gebärde verleihen, während
Schleiermacher, allzu gewissenhaft an das Wort sich bindend, den scherzhaften
Ton nicht trifft und den Vorgang durch schwerfällige und schleppende Sätze hemmt.

Die Kunst, die hier im Phaidros schon stark ist, entfaltet und vollendet
sich im Gastmahl. Da mögen Ästhetiker die Köpfe schütteln, fragen, ob diese
Vermischung von Poesie und Prosa erlaubt sei, ob das nicht die Stillosigkeit des
Verfalles sei. Die geistig-lebendige Form steht da, fortwirkend durch alle Zeiten.
Nur die größten Menschen leben in dieser zauberischen Atmosphäre, die die
scheinbar kleinen und "privaten" Ereignisse ihres Lebenskreises zu großen, ewigen
Vorbildern prägt. Diese Freunde des Sokrates-Plato, treten sie nicht auf mit
der Gebärde, als wüßten sie, daß ihre Scherze, ihre Lust Äonen als Vorbild
dienen sollten? Als sei es ihnen nicht genug, wenn ihre Namen in? Frühling
neuer Kultur gefeiert würden, und nach Jahrtausenden ein glühender Maler im
Bilde ihres Festes ein sehnsüchtiges Bekenntnis sichtbar machte? Als verlangten
sie, daß spät, wenn die entlehnten Güter des Geistes zerfielen, ihre Lebensform
wieder gelebt werden sollte, Freunde sich bekränzen sollten, ihre Feste wieder
feiern und in der Freude des Seins aus dem Ringe, den Freundschaft schließt,
wieder eine neue Idee der Schönheit sich ablösen und erheben sollte?

Auch hier ist anzuerkennen, daß Kaßner das lebendige Bild der Feier gibt.
Er läßt die Töne klingen, die von übermütiger Lust zur weihevollen Sprache
mystischer Liebe führen. Es kann aber nicht verschwiegen werden, daß er zuweilen
zu sehr in seiner eigenen Redeweise schwimmt und das Vorbild vergißt. Es ist
beispielsweise unerlaubte Willkür, claimon mit "Dämon und Heiland" und
entsprechend äaimonion mit "dämonisch und heilend" zu übersetzen (Kap. 23).

Aber es ist noch etwas anderes. Man kann das platonische Griechisch
nicht lesen, ohne zu wünschen, diese den Dingen und dein Denken verwandtere
Sprache unserem'Deutsch nutzbar zu machen. Ja im Grunde muß dies das
Ziel jeder Übersetzung sein, unsere Sprache -- nicht durch Nachahmung, sondern
durch Vergleich -- zu bereichern. Das hat Kaßner kaum versucht. Die anderen
Freunde haben z. B. viel von Eros und seinen Gaben geredet. Zuletzt vor
Sokmtes kommt Agathon an die Reihe, der Dichter, der schöne Jüngling, den
Sokmtes, wie die Freunde scherzen, seiner Schönheit wegen liebt. Er als Erster


Plato für die Gegenwart

ihr anderen Götter hier an uns, gebt mir, daß ich schön werde in der Seele,
und daß alles, was mir zukommt, zu meiner Seele freundlich strebe! Gebt
mir, daß ich den Weisen für reich halte und vom Golde sei mir stets nur so
viel, als der Mäßige bedarf."

Eine solche Überschau muß jeden lehren, daß in den Dialogen der bildhafte
Vorgang keine Ausschmückung des Gedankenganges ist, sondern vieles schön und
eindringlich sagt, was in der belehrenden Rede nicht gesagt werden kann; es
wäre barbarisch, die abstrakte Lehrschrift den Dialogen vorzuziehen. Kaßners
Vorzug besteht nun darin, daß er uns das Erfassen des Gesamtbildes erleichtert.
Indem er sich in den psychischen Vorgang des Gespräches einfühlt, kann er aus
diesem Gefühl auch dein Sprechenden eine lebendige Gebärde verleihen, während
Schleiermacher, allzu gewissenhaft an das Wort sich bindend, den scherzhaften
Ton nicht trifft und den Vorgang durch schwerfällige und schleppende Sätze hemmt.

Die Kunst, die hier im Phaidros schon stark ist, entfaltet und vollendet
sich im Gastmahl. Da mögen Ästhetiker die Köpfe schütteln, fragen, ob diese
Vermischung von Poesie und Prosa erlaubt sei, ob das nicht die Stillosigkeit des
Verfalles sei. Die geistig-lebendige Form steht da, fortwirkend durch alle Zeiten.
Nur die größten Menschen leben in dieser zauberischen Atmosphäre, die die
scheinbar kleinen und „privaten" Ereignisse ihres Lebenskreises zu großen, ewigen
Vorbildern prägt. Diese Freunde des Sokrates-Plato, treten sie nicht auf mit
der Gebärde, als wüßten sie, daß ihre Scherze, ihre Lust Äonen als Vorbild
dienen sollten? Als sei es ihnen nicht genug, wenn ihre Namen in? Frühling
neuer Kultur gefeiert würden, und nach Jahrtausenden ein glühender Maler im
Bilde ihres Festes ein sehnsüchtiges Bekenntnis sichtbar machte? Als verlangten
sie, daß spät, wenn die entlehnten Güter des Geistes zerfielen, ihre Lebensform
wieder gelebt werden sollte, Freunde sich bekränzen sollten, ihre Feste wieder
feiern und in der Freude des Seins aus dem Ringe, den Freundschaft schließt,
wieder eine neue Idee der Schönheit sich ablösen und erheben sollte?

Auch hier ist anzuerkennen, daß Kaßner das lebendige Bild der Feier gibt.
Er läßt die Töne klingen, die von übermütiger Lust zur weihevollen Sprache
mystischer Liebe führen. Es kann aber nicht verschwiegen werden, daß er zuweilen
zu sehr in seiner eigenen Redeweise schwimmt und das Vorbild vergißt. Es ist
beispielsweise unerlaubte Willkür, claimon mit „Dämon und Heiland" und
entsprechend äaimonion mit „dämonisch und heilend" zu übersetzen (Kap. 23).

Aber es ist noch etwas anderes. Man kann das platonische Griechisch
nicht lesen, ohne zu wünschen, diese den Dingen und dein Denken verwandtere
Sprache unserem'Deutsch nutzbar zu machen. Ja im Grunde muß dies das
Ziel jeder Übersetzung sein, unsere Sprache — nicht durch Nachahmung, sondern
durch Vergleich — zu bereichern. Das hat Kaßner kaum versucht. Die anderen
Freunde haben z. B. viel von Eros und seinen Gaben geredet. Zuletzt vor
Sokmtes kommt Agathon an die Reihe, der Dichter, der schöne Jüngling, den
Sokmtes, wie die Freunde scherzen, seiner Schönheit wegen liebt. Er als Erster


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[0465] Plato für die Gegenwart ihr anderen Götter hier an uns, gebt mir, daß ich schön werde in der Seele, und daß alles, was mir zukommt, zu meiner Seele freundlich strebe! Gebt mir, daß ich den Weisen für reich halte und vom Golde sei mir stets nur so viel, als der Mäßige bedarf." Eine solche Überschau muß jeden lehren, daß in den Dialogen der bildhafte Vorgang keine Ausschmückung des Gedankenganges ist, sondern vieles schön und eindringlich sagt, was in der belehrenden Rede nicht gesagt werden kann; es wäre barbarisch, die abstrakte Lehrschrift den Dialogen vorzuziehen. Kaßners Vorzug besteht nun darin, daß er uns das Erfassen des Gesamtbildes erleichtert. Indem er sich in den psychischen Vorgang des Gespräches einfühlt, kann er aus diesem Gefühl auch dein Sprechenden eine lebendige Gebärde verleihen, während Schleiermacher, allzu gewissenhaft an das Wort sich bindend, den scherzhaften Ton nicht trifft und den Vorgang durch schwerfällige und schleppende Sätze hemmt. Die Kunst, die hier im Phaidros schon stark ist, entfaltet und vollendet sich im Gastmahl. Da mögen Ästhetiker die Köpfe schütteln, fragen, ob diese Vermischung von Poesie und Prosa erlaubt sei, ob das nicht die Stillosigkeit des Verfalles sei. Die geistig-lebendige Form steht da, fortwirkend durch alle Zeiten. Nur die größten Menschen leben in dieser zauberischen Atmosphäre, die die scheinbar kleinen und „privaten" Ereignisse ihres Lebenskreises zu großen, ewigen Vorbildern prägt. Diese Freunde des Sokrates-Plato, treten sie nicht auf mit der Gebärde, als wüßten sie, daß ihre Scherze, ihre Lust Äonen als Vorbild dienen sollten? Als sei es ihnen nicht genug, wenn ihre Namen in? Frühling neuer Kultur gefeiert würden, und nach Jahrtausenden ein glühender Maler im Bilde ihres Festes ein sehnsüchtiges Bekenntnis sichtbar machte? Als verlangten sie, daß spät, wenn die entlehnten Güter des Geistes zerfielen, ihre Lebensform wieder gelebt werden sollte, Freunde sich bekränzen sollten, ihre Feste wieder feiern und in der Freude des Seins aus dem Ringe, den Freundschaft schließt, wieder eine neue Idee der Schönheit sich ablösen und erheben sollte? Auch hier ist anzuerkennen, daß Kaßner das lebendige Bild der Feier gibt. Er läßt die Töne klingen, die von übermütiger Lust zur weihevollen Sprache mystischer Liebe führen. Es kann aber nicht verschwiegen werden, daß er zuweilen zu sehr in seiner eigenen Redeweise schwimmt und das Vorbild vergißt. Es ist beispielsweise unerlaubte Willkür, claimon mit „Dämon und Heiland" und entsprechend äaimonion mit „dämonisch und heilend" zu übersetzen (Kap. 23). Aber es ist noch etwas anderes. Man kann das platonische Griechisch nicht lesen, ohne zu wünschen, diese den Dingen und dein Denken verwandtere Sprache unserem'Deutsch nutzbar zu machen. Ja im Grunde muß dies das Ziel jeder Übersetzung sein, unsere Sprache — nicht durch Nachahmung, sondern durch Vergleich — zu bereichern. Das hat Kaßner kaum versucht. Die anderen Freunde haben z. B. viel von Eros und seinen Gaben geredet. Zuletzt vor Sokmtes kommt Agathon an die Reihe, der Dichter, der schöne Jüngling, den Sokmtes, wie die Freunde scherzen, seiner Schönheit wegen liebt. Er als Erster

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/465>, abgerufen am 29.06.2024.