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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gespräch

Thom: Ich würde wohl einfach sagen müssen, was geschieht: Die Wälder
wurden uns ferner; von Nebeln eine dünne Haut legte sich über den See;
das Licht wurde zarter und durchsichtiger und nahm an Fülle ab.


Gerk:

Das ist allerdings auch schöner.


Thom:

Gar nicht schöner. Nur eine Zuflucht.


Gerk:

Vor wem?

Thom: Vor der Lächerlichkeit. Sieh mal, wenn man heutzutage von
jemandem sagt: der macht Gedichte oder schreibt Novellen, so ist das beinahe
so, als ob man sagte, er habe einen unreinen Teint. Das kompromittiert seinen
Geschmack und stellt seine Lebensart in Frage. Wenn man es aber doch
nicht lassen kann, bleibt nur die Zuflucht, die Dinge und Geschehnisse auf ihren
rein tatsächlichen Bestand zurückzuführen, sie auf eine wissenschaftliche Basis
zu stellen.

Gerk: So wie du es eben getan hast? Das hieße also, ehe man einen
Roman oder ein Gedicht schreiben wollte, müßte man Chemie, Physik, experi-
mentelle Psychologie, Atomistik, Embryologie studieren?


Thom:

Du drückst es etwas verwegen aus; aber ich sage: ja.

Gerk: Dann könntest du die ganze bisherige Literaturgeschichte auf einem
Briefbogen abhandeln!


Thom:

Sage mal, kennst du Jacobsen?

Jens Peter? Den Dänen? Gewiß kenne ich ihn.


Gerk:
Thom:

Ist dir nie etwas aufgefallen, wenn du dir dessen Leben anfasst?


Gerk:

Was meinst du denn?

Thom: Er war nämlich ein großer Naturwissenschaftler, weißt du das?
Aber gibst du überhaupt zu, daß seine Kunst etwas ganz Außerordentliches
für jeden von uns Heutigen geworden ist? Nein? Also für viele! Und
denke mal, dieser Mensch hat sich auf eine ganz seltsame und eindringliche Art
mit den Naturwissenschaften befaßt. Gar nicht so als Dilettant sich rasch an
einem kosmischen Problemchen aufgeregt. Nein. Er schrieb z. B. eine Arbeit
über die Desmediazeen Dänemarks. Weißt du, was Desmediazeen sind?

Gerk: Wahrscheinlich ein Fremdwort für Hyazinthen oder Heliotrop oder
eine Rosenart.

Eb Thom: en nicht. Desmediazeen haben mit Gräsern, Kräutern oder
gar Blumen nichts zu tun. So weit versteigen sie sich nämlich nicht. Höre:
Desmediazeen sind Zellen, meist einzeln lebend, in der Mitte eingeschnürt oder
mit symmetrisch verteiltem Protoplasma, deren Vermehrung durch Teilung vor
sich geht. Du wirst also nicht sagen, daß sie an sich irgendeinen Stimmungs--
wert enthielten.


Gerk:

Und darüber hat Jacobsen geschrieben?

Thom: Eine lange, preisgekrönte Arbeit. O, eine ganze Botanik von
Dänemark wollte er schreiben!


Gespräch

Thom: Ich würde wohl einfach sagen müssen, was geschieht: Die Wälder
wurden uns ferner; von Nebeln eine dünne Haut legte sich über den See;
das Licht wurde zarter und durchsichtiger und nahm an Fülle ab.


Gerk:

Das ist allerdings auch schöner.


Thom:

Gar nicht schöner. Nur eine Zuflucht.


Gerk:

Vor wem?

Thom: Vor der Lächerlichkeit. Sieh mal, wenn man heutzutage von
jemandem sagt: der macht Gedichte oder schreibt Novellen, so ist das beinahe
so, als ob man sagte, er habe einen unreinen Teint. Das kompromittiert seinen
Geschmack und stellt seine Lebensart in Frage. Wenn man es aber doch
nicht lassen kann, bleibt nur die Zuflucht, die Dinge und Geschehnisse auf ihren
rein tatsächlichen Bestand zurückzuführen, sie auf eine wissenschaftliche Basis
zu stellen.

Gerk: So wie du es eben getan hast? Das hieße also, ehe man einen
Roman oder ein Gedicht schreiben wollte, müßte man Chemie, Physik, experi-
mentelle Psychologie, Atomistik, Embryologie studieren?


Thom:

Du drückst es etwas verwegen aus; aber ich sage: ja.

Gerk: Dann könntest du die ganze bisherige Literaturgeschichte auf einem
Briefbogen abhandeln!


Thom:

Sage mal, kennst du Jacobsen?

Jens Peter? Den Dänen? Gewiß kenne ich ihn.


Gerk:
Thom:

Ist dir nie etwas aufgefallen, wenn du dir dessen Leben anfasst?


Gerk:

Was meinst du denn?

Thom: Er war nämlich ein großer Naturwissenschaftler, weißt du das?
Aber gibst du überhaupt zu, daß seine Kunst etwas ganz Außerordentliches
für jeden von uns Heutigen geworden ist? Nein? Also für viele! Und
denke mal, dieser Mensch hat sich auf eine ganz seltsame und eindringliche Art
mit den Naturwissenschaften befaßt. Gar nicht so als Dilettant sich rasch an
einem kosmischen Problemchen aufgeregt. Nein. Er schrieb z. B. eine Arbeit
über die Desmediazeen Dänemarks. Weißt du, was Desmediazeen sind?

Gerk: Wahrscheinlich ein Fremdwort für Hyazinthen oder Heliotrop oder
eine Rosenart.

Eb Thom: en nicht. Desmediazeen haben mit Gräsern, Kräutern oder
gar Blumen nichts zu tun. So weit versteigen sie sich nämlich nicht. Höre:
Desmediazeen sind Zellen, meist einzeln lebend, in der Mitte eingeschnürt oder
mit symmetrisch verteiltem Protoplasma, deren Vermehrung durch Teilung vor
sich geht. Du wirst also nicht sagen, daß sie an sich irgendeinen Stimmungs--
wert enthielten.


Gerk:

Und darüber hat Jacobsen geschrieben?

Thom: Eine lange, preisgekrönte Arbeit. O, eine ganze Botanik von
Dänemark wollte er schreiben!


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[0417] Gespräch Thom: Ich würde wohl einfach sagen müssen, was geschieht: Die Wälder wurden uns ferner; von Nebeln eine dünne Haut legte sich über den See; das Licht wurde zarter und durchsichtiger und nahm an Fülle ab. Gerk: Das ist allerdings auch schöner. Thom: Gar nicht schöner. Nur eine Zuflucht. Gerk: Vor wem? Thom: Vor der Lächerlichkeit. Sieh mal, wenn man heutzutage von jemandem sagt: der macht Gedichte oder schreibt Novellen, so ist das beinahe so, als ob man sagte, er habe einen unreinen Teint. Das kompromittiert seinen Geschmack und stellt seine Lebensart in Frage. Wenn man es aber doch nicht lassen kann, bleibt nur die Zuflucht, die Dinge und Geschehnisse auf ihren rein tatsächlichen Bestand zurückzuführen, sie auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen. Gerk: So wie du es eben getan hast? Das hieße also, ehe man einen Roman oder ein Gedicht schreiben wollte, müßte man Chemie, Physik, experi- mentelle Psychologie, Atomistik, Embryologie studieren? Thom: Du drückst es etwas verwegen aus; aber ich sage: ja. Gerk: Dann könntest du die ganze bisherige Literaturgeschichte auf einem Briefbogen abhandeln! Thom: Sage mal, kennst du Jacobsen? Jens Peter? Den Dänen? Gewiß kenne ich ihn. Gerk: Thom: Ist dir nie etwas aufgefallen, wenn du dir dessen Leben anfasst? Gerk: Was meinst du denn? Thom: Er war nämlich ein großer Naturwissenschaftler, weißt du das? Aber gibst du überhaupt zu, daß seine Kunst etwas ganz Außerordentliches für jeden von uns Heutigen geworden ist? Nein? Also für viele! Und denke mal, dieser Mensch hat sich auf eine ganz seltsame und eindringliche Art mit den Naturwissenschaften befaßt. Gar nicht so als Dilettant sich rasch an einem kosmischen Problemchen aufgeregt. Nein. Er schrieb z. B. eine Arbeit über die Desmediazeen Dänemarks. Weißt du, was Desmediazeen sind? Gerk: Wahrscheinlich ein Fremdwort für Hyazinthen oder Heliotrop oder eine Rosenart. Eb Thom: en nicht. Desmediazeen haben mit Gräsern, Kräutern oder gar Blumen nichts zu tun. So weit versteigen sie sich nämlich nicht. Höre: Desmediazeen sind Zellen, meist einzeln lebend, in der Mitte eingeschnürt oder mit symmetrisch verteiltem Protoplasma, deren Vermehrung durch Teilung vor sich geht. Du wirst also nicht sagen, daß sie an sich irgendeinen Stimmungs-- wert enthielten. Gerk: Und darüber hat Jacobsen geschrieben? Thom: Eine lange, preisgekrönte Arbeit. O, eine ganze Botanik von Dänemark wollte er schreiben!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/417>, abgerufen am 23.07.2024.