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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gespräch
von Gottfried Ben"

In einem Erker, der zu einem Restnumntzimmer gehört Durch
die weiten Fenster sieht nur einen See und Wälder um seine Ufer.
An einem Tisch, dicht ein den Scheiben, sitzen Gerk und Thom.

D ert: a setzen sich wirklich schon welche draußen hin.

Ja, wirklich. Ein bissel gewagt, nicht?


Thom:

Gerk: Das schon; aber nun werden sie nach Hause gehn
und werden sagen: nun ist es aber wirklich Frühling; wir haben
l schon draußen gesessen.

Thom: Und das ist dann, als ob sie sagten: es ist uns allen etwas sehr
Freundliches geschehen. Da hast du recht. Und schließlich ist es das doch auch.
Wenn ich eine Novelle schreiben würde, die heute begönne, würde ich auch so
anfangen: An einem Nachmittag mitten im hellen Frühling.

Gerk: Eigentlich ist es ja mehr Balladenwetter, weißt du. Alles kühl und
straff und blau und gold; aber wie würdest du weiter schreiben?

Thon:: Das ist eben die Frage. Sieh mal, was jetzt da draußen
geschieht, das ist doch einfach das, daß es Abend wird, nicht wahr? Wenn
du das sagst, weiß jeder, was gemeint ist. Wie würdest du das nun aber aus¬
drücken, wenn du es gewissermaßen künstlerisch sagen wolltest? Neu? Eigentümlich?

Gerk: Du meinst das in dem Sinne, wie Flaubert Maupassant lehrte?
Aber ich kann dir da wirklich jetzt keine Antwort geben.

Ü Thom: berlege es dir doch, bitte, mal. Siehst du es denn nicht
auf irgendeine besondere Weise?

Gerk: Ich glaube nicht. Aber vielleicht -- warte mal -- so: Es
ward Abend; große graue Vögel kamen aus den Wäldern und flogen über den
See und über das Land; und auf allem, das sie überflogen hatten, blieb ein
Schatten zurück. Weißt du, ich würde es vielleicht so malen können: große
Vögel, reiherähnlich, rauchgrau an Brust und Hals, brechen aus einem Gehölz;
auf ihren Flügeln müßte etwas liegen von dem Schatten der Wälder, die sie
durchflogen haben, und das gleitet nun gewissermaßen herab; das müßte man
eben darstellen, so das Sinkende, Niederrieselnde von ihren Flügeln, daß man
es glaubte, wenn hinter ihnen alles Land in Schatten läge. Nun, und du?




Gespräch
von Gottfried Ben»

In einem Erker, der zu einem Restnumntzimmer gehört Durch
die weiten Fenster sieht nur einen See und Wälder um seine Ufer.
An einem Tisch, dicht ein den Scheiben, sitzen Gerk und Thom.

D ert: a setzen sich wirklich schon welche draußen hin.

Ja, wirklich. Ein bissel gewagt, nicht?


Thom:

Gerk: Das schon; aber nun werden sie nach Hause gehn
und werden sagen: nun ist es aber wirklich Frühling; wir haben
l schon draußen gesessen.

Thom: Und das ist dann, als ob sie sagten: es ist uns allen etwas sehr
Freundliches geschehen. Da hast du recht. Und schließlich ist es das doch auch.
Wenn ich eine Novelle schreiben würde, die heute begönne, würde ich auch so
anfangen: An einem Nachmittag mitten im hellen Frühling.

Gerk: Eigentlich ist es ja mehr Balladenwetter, weißt du. Alles kühl und
straff und blau und gold; aber wie würdest du weiter schreiben?

Thon:: Das ist eben die Frage. Sieh mal, was jetzt da draußen
geschieht, das ist doch einfach das, daß es Abend wird, nicht wahr? Wenn
du das sagst, weiß jeder, was gemeint ist. Wie würdest du das nun aber aus¬
drücken, wenn du es gewissermaßen künstlerisch sagen wolltest? Neu? Eigentümlich?

Gerk: Du meinst das in dem Sinne, wie Flaubert Maupassant lehrte?
Aber ich kann dir da wirklich jetzt keine Antwort geben.

Ü Thom: berlege es dir doch, bitte, mal. Siehst du es denn nicht
auf irgendeine besondere Weise?

Gerk: Ich glaube nicht. Aber vielleicht — warte mal — so: Es
ward Abend; große graue Vögel kamen aus den Wäldern und flogen über den
See und über das Land; und auf allem, das sie überflogen hatten, blieb ein
Schatten zurück. Weißt du, ich würde es vielleicht so malen können: große
Vögel, reiherähnlich, rauchgrau an Brust und Hals, brechen aus einem Gehölz;
auf ihren Flügeln müßte etwas liegen von dem Schatten der Wälder, die sie
durchflogen haben, und das gleitet nun gewissermaßen herab; das müßte man
eben darstellen, so das Sinkende, Niederrieselnde von ihren Flügeln, daß man
es glaubte, wenn hinter ihnen alles Land in Schatten läge. Nun, und du?


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[0416] [Abbildung] Gespräch von Gottfried Ben» In einem Erker, der zu einem Restnumntzimmer gehört Durch die weiten Fenster sieht nur einen See und Wälder um seine Ufer. An einem Tisch, dicht ein den Scheiben, sitzen Gerk und Thom. D ert: a setzen sich wirklich schon welche draußen hin. Ja, wirklich. Ein bissel gewagt, nicht? Thom: Gerk: Das schon; aber nun werden sie nach Hause gehn und werden sagen: nun ist es aber wirklich Frühling; wir haben l schon draußen gesessen. Thom: Und das ist dann, als ob sie sagten: es ist uns allen etwas sehr Freundliches geschehen. Da hast du recht. Und schließlich ist es das doch auch. Wenn ich eine Novelle schreiben würde, die heute begönne, würde ich auch so anfangen: An einem Nachmittag mitten im hellen Frühling. Gerk: Eigentlich ist es ja mehr Balladenwetter, weißt du. Alles kühl und straff und blau und gold; aber wie würdest du weiter schreiben? Thon:: Das ist eben die Frage. Sieh mal, was jetzt da draußen geschieht, das ist doch einfach das, daß es Abend wird, nicht wahr? Wenn du das sagst, weiß jeder, was gemeint ist. Wie würdest du das nun aber aus¬ drücken, wenn du es gewissermaßen künstlerisch sagen wolltest? Neu? Eigentümlich? Gerk: Du meinst das in dem Sinne, wie Flaubert Maupassant lehrte? Aber ich kann dir da wirklich jetzt keine Antwort geben. Ü Thom: berlege es dir doch, bitte, mal. Siehst du es denn nicht auf irgendeine besondere Weise? Gerk: Ich glaube nicht. Aber vielleicht — warte mal — so: Es ward Abend; große graue Vögel kamen aus den Wäldern und flogen über den See und über das Land; und auf allem, das sie überflogen hatten, blieb ein Schatten zurück. Weißt du, ich würde es vielleicht so malen können: große Vögel, reiherähnlich, rauchgrau an Brust und Hals, brechen aus einem Gehölz; auf ihren Flügeln müßte etwas liegen von dem Schatten der Wälder, die sie durchflogen haben, und das gleitet nun gewissermaßen herab; das müßte man eben darstellen, so das Sinkende, Niederrieselnde von ihren Flügeln, daß man es glaubte, wenn hinter ihnen alles Land in Schatten läge. Nun, und du?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/416>, abgerufen am 23.07.2024.