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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Wissenschaft

mit der Moraltheologie des heiligen Alphons von Liguori nicht übereinstimmen.
In einer politischen Versammlung zu Schöneberg bei Berlin 1908 kam zufällig
die Rede auf diese Angelegenheit, und ein dort ansässiger ultramontan gesinnter
Arzt verteidigte jene Anschauung. Er sei auch gefragt worden: Wie würden Sie,
wenn es sich um eine solche Operation handelt, vom moraltheologischen Standpunkt
aus urteilen? Daß eine solche Frage nur vom moralmedizinischen Standpunkt aus
beurteilt werden darf, war dem Betreffenden nicht klar zu machen. Es handelte sich
in diesem Falle um den bekannten, auch in unserm Gesetz noch strittigen Fall, ob
ein Arzt berechtigt sei, um das Leben der Mutter zu retten, das Leben des Kindes
in Gefahr zu bringen oder zu vernichten. Gewiß wird jeder Arzt zu einer
solchen Maßnahme nur im äußersten Notfalle schreiten, und die Wissenschaft ist
eifrigst bemüht, Operationsmethoden zu erfinden, diese jeden Arzt mit sich selbst
in Konflikt bringende Handlung der Tötung des Kindes zur Rettung der Mutter
zu vermeiden. Aber es gibt schließlich Fälle, wo es sich nicht vermeiden läßt.
Die Pastoralmedizin aber entscheidet, man lasse lieber das Kind und die
Mutter zugrunde gehen, als daß man das Kind zur Rettung der Mutter
opfert. Gerade als ob das kein Mord wäre, wenn man Mutter und Kind
dem sicheren Untergange entgegengehen läßt, obwohl die Möglichkeit vorliegt,
wenigstens das Leben der Mutter zu erhalten. Die Moraltheologie geht
sogar weiter. Die Hauptsache ist, daß das Kind nicht umgetauft stirbt, und
deswegen ist ein findiger katholischer Arzt aus Innsbruck auf die Idee gekommen,
ein Instrument zu erfinden, mit dem man das Kind in: Mutterleibe laufen
kann. Dieses Instrument besteht in einer scharfen Hohlnadel, die durch die
Bauchdecke der Mutter gestoßen wird bis an das Kind heran; durch diese
Hohlnadel wird dann die Taufe vollzogen. Es versteht sich, daß man damit
die Mutter in die größte Lebensgefahr bringt. Es ist wirklich wunderbar, daß
sich die Staatsanwaltschaft mit dieser Erfindung noch nicht beschäftigt hat. Denn
der Arzt schlägt sogar vor, daß diese "leichte und einfache" Methode durch
intelligente Hebammen ausgeführt werde und daß die dazu nötigen Instrumente
der Pfarrer der Diözese bereit halten soll.

Aus allen diesen Beispielen, die sich leicht vermehren ließen, geht deutlich
hervor, welche schnurrige Art von Naturwissenschaften und welche merkwürdige
Wissenschaft überhaupt auf einer der zu Anfang erwähnten sogenannten "freien
Universitäten", wie Donat sagt, gelehrt werden würde. Auch mit der Doktor¬
verleihung würde es an solchen Universitäten sonderbar aussehen. Das beweist der
sogenannte Dr. romanu3, der in dem von Jesuiten geleiteten LollsZium romarmm
verliehen wird. Denn dieser Doktortitel wird jedem mitgegeben, der die nötige
Zahl von Semestern an diesem Kollegium absitzt. Früher hat man sich in
Deutschland wenigstens dieses römischen Doktortitels geschämt, aber heute wird
er von manchen öffentlich getragen. Die Kongregation des Konzils und der
römischen Kurie hat in einem besonderen Falle, der Spanien betrifft, entschieden,
daß der am Lotte^inen romanum erworbene Doktortitel denselben Wert haben


Die Freiheit der Wissenschaft

mit der Moraltheologie des heiligen Alphons von Liguori nicht übereinstimmen.
In einer politischen Versammlung zu Schöneberg bei Berlin 1908 kam zufällig
die Rede auf diese Angelegenheit, und ein dort ansässiger ultramontan gesinnter
Arzt verteidigte jene Anschauung. Er sei auch gefragt worden: Wie würden Sie,
wenn es sich um eine solche Operation handelt, vom moraltheologischen Standpunkt
aus urteilen? Daß eine solche Frage nur vom moralmedizinischen Standpunkt aus
beurteilt werden darf, war dem Betreffenden nicht klar zu machen. Es handelte sich
in diesem Falle um den bekannten, auch in unserm Gesetz noch strittigen Fall, ob
ein Arzt berechtigt sei, um das Leben der Mutter zu retten, das Leben des Kindes
in Gefahr zu bringen oder zu vernichten. Gewiß wird jeder Arzt zu einer
solchen Maßnahme nur im äußersten Notfalle schreiten, und die Wissenschaft ist
eifrigst bemüht, Operationsmethoden zu erfinden, diese jeden Arzt mit sich selbst
in Konflikt bringende Handlung der Tötung des Kindes zur Rettung der Mutter
zu vermeiden. Aber es gibt schließlich Fälle, wo es sich nicht vermeiden läßt.
Die Pastoralmedizin aber entscheidet, man lasse lieber das Kind und die
Mutter zugrunde gehen, als daß man das Kind zur Rettung der Mutter
opfert. Gerade als ob das kein Mord wäre, wenn man Mutter und Kind
dem sicheren Untergange entgegengehen läßt, obwohl die Möglichkeit vorliegt,
wenigstens das Leben der Mutter zu erhalten. Die Moraltheologie geht
sogar weiter. Die Hauptsache ist, daß das Kind nicht umgetauft stirbt, und
deswegen ist ein findiger katholischer Arzt aus Innsbruck auf die Idee gekommen,
ein Instrument zu erfinden, mit dem man das Kind in: Mutterleibe laufen
kann. Dieses Instrument besteht in einer scharfen Hohlnadel, die durch die
Bauchdecke der Mutter gestoßen wird bis an das Kind heran; durch diese
Hohlnadel wird dann die Taufe vollzogen. Es versteht sich, daß man damit
die Mutter in die größte Lebensgefahr bringt. Es ist wirklich wunderbar, daß
sich die Staatsanwaltschaft mit dieser Erfindung noch nicht beschäftigt hat. Denn
der Arzt schlägt sogar vor, daß diese „leichte und einfache" Methode durch
intelligente Hebammen ausgeführt werde und daß die dazu nötigen Instrumente
der Pfarrer der Diözese bereit halten soll.

Aus allen diesen Beispielen, die sich leicht vermehren ließen, geht deutlich
hervor, welche schnurrige Art von Naturwissenschaften und welche merkwürdige
Wissenschaft überhaupt auf einer der zu Anfang erwähnten sogenannten „freien
Universitäten", wie Donat sagt, gelehrt werden würde. Auch mit der Doktor¬
verleihung würde es an solchen Universitäten sonderbar aussehen. Das beweist der
sogenannte Dr. romanu3, der in dem von Jesuiten geleiteten LollsZium romarmm
verliehen wird. Denn dieser Doktortitel wird jedem mitgegeben, der die nötige
Zahl von Semestern an diesem Kollegium absitzt. Früher hat man sich in
Deutschland wenigstens dieses römischen Doktortitels geschämt, aber heute wird
er von manchen öffentlich getragen. Die Kongregation des Konzils und der
römischen Kurie hat in einem besonderen Falle, der Spanien betrifft, entschieden,
daß der am Lotte^inen romanum erworbene Doktortitel denselben Wert haben


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[0414] Die Freiheit der Wissenschaft mit der Moraltheologie des heiligen Alphons von Liguori nicht übereinstimmen. In einer politischen Versammlung zu Schöneberg bei Berlin 1908 kam zufällig die Rede auf diese Angelegenheit, und ein dort ansässiger ultramontan gesinnter Arzt verteidigte jene Anschauung. Er sei auch gefragt worden: Wie würden Sie, wenn es sich um eine solche Operation handelt, vom moraltheologischen Standpunkt aus urteilen? Daß eine solche Frage nur vom moralmedizinischen Standpunkt aus beurteilt werden darf, war dem Betreffenden nicht klar zu machen. Es handelte sich in diesem Falle um den bekannten, auch in unserm Gesetz noch strittigen Fall, ob ein Arzt berechtigt sei, um das Leben der Mutter zu retten, das Leben des Kindes in Gefahr zu bringen oder zu vernichten. Gewiß wird jeder Arzt zu einer solchen Maßnahme nur im äußersten Notfalle schreiten, und die Wissenschaft ist eifrigst bemüht, Operationsmethoden zu erfinden, diese jeden Arzt mit sich selbst in Konflikt bringende Handlung der Tötung des Kindes zur Rettung der Mutter zu vermeiden. Aber es gibt schließlich Fälle, wo es sich nicht vermeiden läßt. Die Pastoralmedizin aber entscheidet, man lasse lieber das Kind und die Mutter zugrunde gehen, als daß man das Kind zur Rettung der Mutter opfert. Gerade als ob das kein Mord wäre, wenn man Mutter und Kind dem sicheren Untergange entgegengehen läßt, obwohl die Möglichkeit vorliegt, wenigstens das Leben der Mutter zu erhalten. Die Moraltheologie geht sogar weiter. Die Hauptsache ist, daß das Kind nicht umgetauft stirbt, und deswegen ist ein findiger katholischer Arzt aus Innsbruck auf die Idee gekommen, ein Instrument zu erfinden, mit dem man das Kind in: Mutterleibe laufen kann. Dieses Instrument besteht in einer scharfen Hohlnadel, die durch die Bauchdecke der Mutter gestoßen wird bis an das Kind heran; durch diese Hohlnadel wird dann die Taufe vollzogen. Es versteht sich, daß man damit die Mutter in die größte Lebensgefahr bringt. Es ist wirklich wunderbar, daß sich die Staatsanwaltschaft mit dieser Erfindung noch nicht beschäftigt hat. Denn der Arzt schlägt sogar vor, daß diese „leichte und einfache" Methode durch intelligente Hebammen ausgeführt werde und daß die dazu nötigen Instrumente der Pfarrer der Diözese bereit halten soll. Aus allen diesen Beispielen, die sich leicht vermehren ließen, geht deutlich hervor, welche schnurrige Art von Naturwissenschaften und welche merkwürdige Wissenschaft überhaupt auf einer der zu Anfang erwähnten sogenannten „freien Universitäten", wie Donat sagt, gelehrt werden würde. Auch mit der Doktor¬ verleihung würde es an solchen Universitäten sonderbar aussehen. Das beweist der sogenannte Dr. romanu3, der in dem von Jesuiten geleiteten LollsZium romarmm verliehen wird. Denn dieser Doktortitel wird jedem mitgegeben, der die nötige Zahl von Semestern an diesem Kollegium absitzt. Früher hat man sich in Deutschland wenigstens dieses römischen Doktortitels geschämt, aber heute wird er von manchen öffentlich getragen. Die Kongregation des Konzils und der römischen Kurie hat in einem besonderen Falle, der Spanien betrifft, entschieden, daß der am Lotte^inen romanum erworbene Doktortitel denselben Wert haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/414>, abgerufen am 23.07.2024.