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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Wissenschaft

den ultramontanen Blättern der allergrößte Unfug getrieben. In der Nummer
vom 1. Mai 1909 der "Pfarramtlichen Nachrichten von Deutsch-Gabel und
Ringelsheim" findet sich folgende Ankündigung: "Es ist ein Vorrat von Reliquien
der seligen Zdislama in den Händen des hochwürdigen Bischofs. Es können
Gläubige Reliquien erhalten, wenn sie die Kosten einer Verschlußkapsel tragen
wollen. Es sind solche um 3, 5 und 10 Kronen zu haben." In dem "Send¬
boten des Heiligen Antonius von Padua", der allmonatlich in Paderborn
erscheint und von: Pfarrer W. Cramer in Se. Vit-Wiedenbrück redigiert wird,
wird empfohlen, die Verwendung des Heiligen gegen alle möglichen Leiden
anzurufen, z. B. für Kropf, schlechte Verdauung, Brandwunden, Heilung von
Trunksucht und für viele andere Dinge, die aber das medizinische Gebiet nicht
angehen. In der Gruftkapelle in Eichstedt in Bauern werden die Überreste der
in? elften Jahrhundert gestorbenen und als heilig verehrten ehemaligen Dienst¬
magd Walpurgis aufbewahrt. Infolge der Feuchtigkeit der Gruft sammeln sich
im Herbst und Winter an den Steinen Tropfen, die als wunderwirkendes
Walpurgisöl in kleinen Fläschchen gesammelt und in den Handel gebracht
werden. Eine chemische Untersuchung derselben hat ergeben, daß es sich um
einfaches Niedcrschlagwasser handelt. In dem von dem bekannten klerikalen
Reisebücherverleger Leo Wort in Würzburg und Leipzig herausgegebenen
illustrierten Führer durch Eichstedt und das Alt-Mühltal wird dieses Walpurgisöl
als echtes und wahrhaftiges Wunder angeführt. Der Verfasser schreibt, daß
der Fluß des Oich immer genau am 22. Oktober beginnt, an dem Tage der
Einlegung der Gebeine, und am 25. Februar, dem Sterbetage der Walpurgis.
aufhört -- und er setzt hinzu: "Das Öl hat bis auf unsere Tage in zahllosen
Fällen seine Wunderkraft bewährt." Die Jnquisitionskongregation in Rom
stellte am 29. Juli 1903 fest, daß es nicht die Beendigung eines Aberglaubens
sei, wenn Papierbilder, welche die Madonna darstellen, in Wasser aufgelöst
getrunken oder zu Pillen gedreht verschluckt werden, um Genesung von
den Erkrankungen zu erlangen, (v. Hansemann, "Aberglauben in der Medizin",
Leipzig 1903 bei Teubner.)

Ob die medizinische Fakultät einer katholischen, d. h. ultramontanen Universität
geneigt wäre, diese Dinge in ihr Lehrfach aufzunehmen, möchte manchem zweifelhaft
erscheinen, aber es ist das doch nicht so undenkbar, wenn man sieht, daß an
die katholische, d. h. ultramontane Universität in Freiburg in der Schweiz ein
Schüler Kneips als Professor der inneren Medizin berufen werden sollte.
Bekannt sind die Bücher über Pastoralmedizin, von denen besonders ein bemerkens¬
wertes von dem preußischen Sanitätsrat Dr. Capellmann in zahlreichen Auf¬
lagen erschienen ist (15. Auflage von Dr. W. Bergmann. Aachen 1907).
Hier wird die Medizin nicht vom Standpunkte der Wissenschaft, sondern vom
Standpunkte der klerikalen Moral betrachtet, und der Verfasser geht unter
Zustimmung der ultramontanen Kirche (das Buch ist natürlich vom Erzbischof
approbiert) so weit, gewisse lebenrettende Operationen zu verbieten, weil sie


Grenzboten II 1910 61
Die Freiheit der Wissenschaft

den ultramontanen Blättern der allergrößte Unfug getrieben. In der Nummer
vom 1. Mai 1909 der „Pfarramtlichen Nachrichten von Deutsch-Gabel und
Ringelsheim" findet sich folgende Ankündigung: „Es ist ein Vorrat von Reliquien
der seligen Zdislama in den Händen des hochwürdigen Bischofs. Es können
Gläubige Reliquien erhalten, wenn sie die Kosten einer Verschlußkapsel tragen
wollen. Es sind solche um 3, 5 und 10 Kronen zu haben." In dem „Send¬
boten des Heiligen Antonius von Padua", der allmonatlich in Paderborn
erscheint und von: Pfarrer W. Cramer in Se. Vit-Wiedenbrück redigiert wird,
wird empfohlen, die Verwendung des Heiligen gegen alle möglichen Leiden
anzurufen, z. B. für Kropf, schlechte Verdauung, Brandwunden, Heilung von
Trunksucht und für viele andere Dinge, die aber das medizinische Gebiet nicht
angehen. In der Gruftkapelle in Eichstedt in Bauern werden die Überreste der
in? elften Jahrhundert gestorbenen und als heilig verehrten ehemaligen Dienst¬
magd Walpurgis aufbewahrt. Infolge der Feuchtigkeit der Gruft sammeln sich
im Herbst und Winter an den Steinen Tropfen, die als wunderwirkendes
Walpurgisöl in kleinen Fläschchen gesammelt und in den Handel gebracht
werden. Eine chemische Untersuchung derselben hat ergeben, daß es sich um
einfaches Niedcrschlagwasser handelt. In dem von dem bekannten klerikalen
Reisebücherverleger Leo Wort in Würzburg und Leipzig herausgegebenen
illustrierten Führer durch Eichstedt und das Alt-Mühltal wird dieses Walpurgisöl
als echtes und wahrhaftiges Wunder angeführt. Der Verfasser schreibt, daß
der Fluß des Oich immer genau am 22. Oktober beginnt, an dem Tage der
Einlegung der Gebeine, und am 25. Februar, dem Sterbetage der Walpurgis.
aufhört — und er setzt hinzu: „Das Öl hat bis auf unsere Tage in zahllosen
Fällen seine Wunderkraft bewährt." Die Jnquisitionskongregation in Rom
stellte am 29. Juli 1903 fest, daß es nicht die Beendigung eines Aberglaubens
sei, wenn Papierbilder, welche die Madonna darstellen, in Wasser aufgelöst
getrunken oder zu Pillen gedreht verschluckt werden, um Genesung von
den Erkrankungen zu erlangen, (v. Hansemann, „Aberglauben in der Medizin",
Leipzig 1903 bei Teubner.)

Ob die medizinische Fakultät einer katholischen, d. h. ultramontanen Universität
geneigt wäre, diese Dinge in ihr Lehrfach aufzunehmen, möchte manchem zweifelhaft
erscheinen, aber es ist das doch nicht so undenkbar, wenn man sieht, daß an
die katholische, d. h. ultramontane Universität in Freiburg in der Schweiz ein
Schüler Kneips als Professor der inneren Medizin berufen werden sollte.
Bekannt sind die Bücher über Pastoralmedizin, von denen besonders ein bemerkens¬
wertes von dem preußischen Sanitätsrat Dr. Capellmann in zahlreichen Auf¬
lagen erschienen ist (15. Auflage von Dr. W. Bergmann. Aachen 1907).
Hier wird die Medizin nicht vom Standpunkte der Wissenschaft, sondern vom
Standpunkte der klerikalen Moral betrachtet, und der Verfasser geht unter
Zustimmung der ultramontanen Kirche (das Buch ist natürlich vom Erzbischof
approbiert) so weit, gewisse lebenrettende Operationen zu verbieten, weil sie


Grenzboten II 1910 61
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/413>, abgerufen am 23.07.2024.