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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Missonschaft

führen, es sei nur ein einziges Mal ein Irrtum vorgekommen, während
alle übrigen menschlichen Bestimmungen unzählige Irrtümer enthielten. Dieser
eine Irrtum soll der Fall Galilei sein. Daß auch Giordo.no Bruno ver¬
brannt wurde, daß Buffon gezwungen wurde, seine naturwissenschaftlichen
Anschauungen zurückzunehmen, und zwar unter Androhung der sogenannten
Magenfolter, d. h. der Entziehung seiner Stellung, von der Buffon zu leben
gezwungen war, sowie unzähliges andere, verheimlicht Donat, obwohl ihm nach
seinen: ganzen Bildungsgrad diese Fälle sicher bekannt sein müßten. Es ist
nicht schwer, nur von einem Irrtum zu reden, wenn die übrigen, die begangen
wurden, verschwiegen oder geleugnet werden. Nur selten werden Verordnungen
ex eatliecira erlassen. Darin ist die ultramontane Kirche sehr vorsichtig, und
auch diese Verordnungen erfolgen gewöhnlich in so zweifelhafter Form, daß
später sich nicht selten ein Streit darüber erhebt, ob sie ex LatKeäi-a, erlassen
waren oder nicht. Daher ist es immer möglich, sie später abzuleugnen.

Nun ist es interessant zu sehen, wie Donat das ganze Verfahren gegen
Galilei schildert, wie er auf der einen Seite darstellt, daß Galilei durch alle
möglichen Gewaltmittel gezwungen wurde, zu widerrufen, und wie er dennoch
zu dem Schluß kommt, einem solchen Manne geschah ganz recht, da er
feige genug war zu widerrufen! Er sagt Seite 223: "Die Haltung
Galileis vor dem Tribunal der Inquisition zeigt wenig Wahrhaftigkeit und
männlichen Mut. Sie berührt peinlich. Also einen: solchen Manne geschah ja
schon ganz recht." Der moderne Kampf des Ultramontanismus gegen die
Darwinistische Lehre gehört in dasselbe Gebiet. Es wird hier durchaus nicht
mit wissenschaftlichen Mitteln gegen Darwin gekämpft, sondern lediglich mit
dialektischen. Eine große Rolle spielt als Kampfesmittel gegen den Darwinismus
die sogenannte .Gliede - Fälschung/ Häckels, was mit dem Kernpunkt der Sache
natürlich nicht das geringste zu tun hat. Wasmaun verstieg sich so weit,
einen in einem Gigerlanzug steckenden Affen uuter feinen Projektionsbildern
in einem angeblich wissenschaftlichen Vortrage vorzuführen! Daß die Kirche
vollkommene Anerkennung der biblischen Darstellung der Entstehung des Menschen¬
geschlechts verlangt, ergibt sich aus der kirchlichen Maßregelung des staatlichen
Universitätslehrers der philosophischen Fakultät in Florenz, Salvado Minocchi. Die
Kurie verlangte von Minocchi, er solle öffentlich erklären, daß die Schöpfung Adams
aus dem Lehmkloß, Evas aus der Rippe Adams, daß der Apfelbiß und die
Feigenblätter historische Tatsachen seien. Als sich Minocchi dagegen sträubte,
wurde ihm die Ausübung geistlicher Handlungen untersagt.

Nun sollte man wenigstens glauben, daß die medizinische Fakultät vor
Eingriffen sicher wäre, aber auch das ist nicht der Fall. Schon die Erklärungen
von Wunderheiligen beweisen das, und es wird ja, abgesehen von den
großen Wallfahrtsorten und von den sogenannten großen Heiligtümern,
wie dem heiligen Rock von Trier und den Aachener Heiligtümern, auch mit
einer Unmasse von kleinen Reliquien und sonstigen Gegenständen öffentlich in


Die Freiheit der Missonschaft

führen, es sei nur ein einziges Mal ein Irrtum vorgekommen, während
alle übrigen menschlichen Bestimmungen unzählige Irrtümer enthielten. Dieser
eine Irrtum soll der Fall Galilei sein. Daß auch Giordo.no Bruno ver¬
brannt wurde, daß Buffon gezwungen wurde, seine naturwissenschaftlichen
Anschauungen zurückzunehmen, und zwar unter Androhung der sogenannten
Magenfolter, d. h. der Entziehung seiner Stellung, von der Buffon zu leben
gezwungen war, sowie unzähliges andere, verheimlicht Donat, obwohl ihm nach
seinen: ganzen Bildungsgrad diese Fälle sicher bekannt sein müßten. Es ist
nicht schwer, nur von einem Irrtum zu reden, wenn die übrigen, die begangen
wurden, verschwiegen oder geleugnet werden. Nur selten werden Verordnungen
ex eatliecira erlassen. Darin ist die ultramontane Kirche sehr vorsichtig, und
auch diese Verordnungen erfolgen gewöhnlich in so zweifelhafter Form, daß
später sich nicht selten ein Streit darüber erhebt, ob sie ex LatKeäi-a, erlassen
waren oder nicht. Daher ist es immer möglich, sie später abzuleugnen.

Nun ist es interessant zu sehen, wie Donat das ganze Verfahren gegen
Galilei schildert, wie er auf der einen Seite darstellt, daß Galilei durch alle
möglichen Gewaltmittel gezwungen wurde, zu widerrufen, und wie er dennoch
zu dem Schluß kommt, einem solchen Manne geschah ganz recht, da er
feige genug war zu widerrufen! Er sagt Seite 223: „Die Haltung
Galileis vor dem Tribunal der Inquisition zeigt wenig Wahrhaftigkeit und
männlichen Mut. Sie berührt peinlich. Also einen: solchen Manne geschah ja
schon ganz recht." Der moderne Kampf des Ultramontanismus gegen die
Darwinistische Lehre gehört in dasselbe Gebiet. Es wird hier durchaus nicht
mit wissenschaftlichen Mitteln gegen Darwin gekämpft, sondern lediglich mit
dialektischen. Eine große Rolle spielt als Kampfesmittel gegen den Darwinismus
die sogenannte .Gliede - Fälschung/ Häckels, was mit dem Kernpunkt der Sache
natürlich nicht das geringste zu tun hat. Wasmaun verstieg sich so weit,
einen in einem Gigerlanzug steckenden Affen uuter feinen Projektionsbildern
in einem angeblich wissenschaftlichen Vortrage vorzuführen! Daß die Kirche
vollkommene Anerkennung der biblischen Darstellung der Entstehung des Menschen¬
geschlechts verlangt, ergibt sich aus der kirchlichen Maßregelung des staatlichen
Universitätslehrers der philosophischen Fakultät in Florenz, Salvado Minocchi. Die
Kurie verlangte von Minocchi, er solle öffentlich erklären, daß die Schöpfung Adams
aus dem Lehmkloß, Evas aus der Rippe Adams, daß der Apfelbiß und die
Feigenblätter historische Tatsachen seien. Als sich Minocchi dagegen sträubte,
wurde ihm die Ausübung geistlicher Handlungen untersagt.

Nun sollte man wenigstens glauben, daß die medizinische Fakultät vor
Eingriffen sicher wäre, aber auch das ist nicht der Fall. Schon die Erklärungen
von Wunderheiligen beweisen das, und es wird ja, abgesehen von den
großen Wallfahrtsorten und von den sogenannten großen Heiligtümern,
wie dem heiligen Rock von Trier und den Aachener Heiligtümern, auch mit
einer Unmasse von kleinen Reliquien und sonstigen Gegenständen öffentlich in


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[0412] Die Freiheit der Missonschaft führen, es sei nur ein einziges Mal ein Irrtum vorgekommen, während alle übrigen menschlichen Bestimmungen unzählige Irrtümer enthielten. Dieser eine Irrtum soll der Fall Galilei sein. Daß auch Giordo.no Bruno ver¬ brannt wurde, daß Buffon gezwungen wurde, seine naturwissenschaftlichen Anschauungen zurückzunehmen, und zwar unter Androhung der sogenannten Magenfolter, d. h. der Entziehung seiner Stellung, von der Buffon zu leben gezwungen war, sowie unzähliges andere, verheimlicht Donat, obwohl ihm nach seinen: ganzen Bildungsgrad diese Fälle sicher bekannt sein müßten. Es ist nicht schwer, nur von einem Irrtum zu reden, wenn die übrigen, die begangen wurden, verschwiegen oder geleugnet werden. Nur selten werden Verordnungen ex eatliecira erlassen. Darin ist die ultramontane Kirche sehr vorsichtig, und auch diese Verordnungen erfolgen gewöhnlich in so zweifelhafter Form, daß später sich nicht selten ein Streit darüber erhebt, ob sie ex LatKeäi-a, erlassen waren oder nicht. Daher ist es immer möglich, sie später abzuleugnen. Nun ist es interessant zu sehen, wie Donat das ganze Verfahren gegen Galilei schildert, wie er auf der einen Seite darstellt, daß Galilei durch alle möglichen Gewaltmittel gezwungen wurde, zu widerrufen, und wie er dennoch zu dem Schluß kommt, einem solchen Manne geschah ganz recht, da er feige genug war zu widerrufen! Er sagt Seite 223: „Die Haltung Galileis vor dem Tribunal der Inquisition zeigt wenig Wahrhaftigkeit und männlichen Mut. Sie berührt peinlich. Also einen: solchen Manne geschah ja schon ganz recht." Der moderne Kampf des Ultramontanismus gegen die Darwinistische Lehre gehört in dasselbe Gebiet. Es wird hier durchaus nicht mit wissenschaftlichen Mitteln gegen Darwin gekämpft, sondern lediglich mit dialektischen. Eine große Rolle spielt als Kampfesmittel gegen den Darwinismus die sogenannte .Gliede - Fälschung/ Häckels, was mit dem Kernpunkt der Sache natürlich nicht das geringste zu tun hat. Wasmaun verstieg sich so weit, einen in einem Gigerlanzug steckenden Affen uuter feinen Projektionsbildern in einem angeblich wissenschaftlichen Vortrage vorzuführen! Daß die Kirche vollkommene Anerkennung der biblischen Darstellung der Entstehung des Menschen¬ geschlechts verlangt, ergibt sich aus der kirchlichen Maßregelung des staatlichen Universitätslehrers der philosophischen Fakultät in Florenz, Salvado Minocchi. Die Kurie verlangte von Minocchi, er solle öffentlich erklären, daß die Schöpfung Adams aus dem Lehmkloß, Evas aus der Rippe Adams, daß der Apfelbiß und die Feigenblätter historische Tatsachen seien. Als sich Minocchi dagegen sträubte, wurde ihm die Ausübung geistlicher Handlungen untersagt. Nun sollte man wenigstens glauben, daß die medizinische Fakultät vor Eingriffen sicher wäre, aber auch das ist nicht der Fall. Schon die Erklärungen von Wunderheiligen beweisen das, und es wird ja, abgesehen von den großen Wallfahrtsorten und von den sogenannten großen Heiligtümern, wie dem heiligen Rock von Trier und den Aachener Heiligtümern, auch mit einer Unmasse von kleinen Reliquien und sonstigen Gegenständen öffentlich in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/412>, abgerufen am 23.07.2024.