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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die vereinigten Staaten, ihre innere und äußere Tagespolitik

schweigt, so tut es das anscheinend, well es mit Japan übereingekommen ist,
daß beide ihren Vorteil finden müssen. Im einzelnen dürfte indes noch alles
unbestimmt gehalten sein.

Den Amerikanern ist es gelungen, sich zu Mandataren chinesischer Protest¬
politik zu machen. In der Tat dürfte China am meisten Aussicht auf die
Rolle des leidenden Teils haben. Japan von der See her, Rußland auf
seinen Eisenbahnen zu Lande kommend, da mag wohl manches bezopfte Haupt
seine Bedenken hegen. Zuvor haben die Vereinigten Staaten noch einen Mi߬
erfolg hinnehmen müssen. Der Staatssekretär des Auswärtigen, Mr. Knox,
ehedem Rechtsanwalt in Chicago und Vertreter der Trusts vor den Gerichte",
hat den charakteristischen Gedanken gehabt, die Erbauung und Bewirtschaftung
der sämtlichen Eisenbahnen einem internationalen Kapitaltrust zu übertragen,
bestehend hauptsächlich aus Amerikanern, Engländern, Deutschen und Franzosen.
Dell Amerikanern dürfte dabei die leitende Rolle zugedacht sein. Sie hätten sicher
in der amerikanischen Eigenart des Bahnbetriebs, in geheimen Frachtrabatteu,
Separatverträgen, Bevorzugungen und Benachteiligungen im Beförderungsmesen,
in Bauausführungen usw. die größte Virtuosität entfaltet. Dem aber wider¬
setzten sich Japan und Rußland in sachlich großer Einmütigkeit und mit auf¬
fallender Eile. Aus dem Gedanken wurde nichts. Die Stimmung gegen Japan
ist seitdem eher noch gereizter.

Gute Beobachter melden aus den Vereinigten Staaten, daß die verhältnis¬
mäßige Ruhe der dortigen Presse hinsichtlich Japans nicht darüber täuschen
dürfe, daß das politisch urteilsfähige Publikum sich mit der Frage eines etwaigen
Krieges mit Japan mehr als mit irgendeinem andern Gegenstände beschäftige.
Das Gespenst wolle gar nicht weichen und man fühle sich in einer ganz
ungenügenden Sicherheit. Die berufsmäßigen Vorkämpfer einer Flottenverstärkung
bilden dabei wohl eine unablässig tätige Schar; und das Heer der Interessenten
ist groß und mannigfaltig. Man erörtert auch eifrig, welche Stellung England
dazu einnehmen werde. Es ist mit Japan verbündet, sucht nichtsdestoweniger
erfolgreich die Freundschaft der Vereinigten Staaten, deren Feindschaft es auch
schon mit Rücksicht auf das wehrlose Kanada ernstlich zu fürchten hätte. Beides
ist schwer, ja gar nicht miteinander zu verbinden. Vor einigen Monaten machte
der englische Admiral Lord Beresford Rundreisen durch die Vereinigten Staaten,
um ein Bündnis aller englisch sprechenden Nationen populär zu machen, dessen
Ziel natürlich nicht Japan, sondern Deutschland war. Er hat damit in den
Vereinigten Staaten gar keinen und selbst in Kanada so gut wie gar keinen
Anklang gefunden. Mit dem japanischen Bündnis wäre es unvereinbar gewesen.
Dieses Bündnis lockert sich allmählich. In Britisch Columbia und Australien ist
Japan das bestgehaßte Land. Selbst England hat es für nötig gehalten, Singapore
zu befestigen, damit nicht die japanische Flotte ohne seinen Willen in Indien erscheine.

Es tun sich da viele Fragen auf; nur wenige finden eine vorläufige Beant¬
wortung. Ob mit der Rückkehr des ehemaligen Präsidenten Roosevelt in seine


Die vereinigten Staaten, ihre innere und äußere Tagespolitik

schweigt, so tut es das anscheinend, well es mit Japan übereingekommen ist,
daß beide ihren Vorteil finden müssen. Im einzelnen dürfte indes noch alles
unbestimmt gehalten sein.

Den Amerikanern ist es gelungen, sich zu Mandataren chinesischer Protest¬
politik zu machen. In der Tat dürfte China am meisten Aussicht auf die
Rolle des leidenden Teils haben. Japan von der See her, Rußland auf
seinen Eisenbahnen zu Lande kommend, da mag wohl manches bezopfte Haupt
seine Bedenken hegen. Zuvor haben die Vereinigten Staaten noch einen Mi߬
erfolg hinnehmen müssen. Der Staatssekretär des Auswärtigen, Mr. Knox,
ehedem Rechtsanwalt in Chicago und Vertreter der Trusts vor den Gerichte»,
hat den charakteristischen Gedanken gehabt, die Erbauung und Bewirtschaftung
der sämtlichen Eisenbahnen einem internationalen Kapitaltrust zu übertragen,
bestehend hauptsächlich aus Amerikanern, Engländern, Deutschen und Franzosen.
Dell Amerikanern dürfte dabei die leitende Rolle zugedacht sein. Sie hätten sicher
in der amerikanischen Eigenart des Bahnbetriebs, in geheimen Frachtrabatteu,
Separatverträgen, Bevorzugungen und Benachteiligungen im Beförderungsmesen,
in Bauausführungen usw. die größte Virtuosität entfaltet. Dem aber wider¬
setzten sich Japan und Rußland in sachlich großer Einmütigkeit und mit auf¬
fallender Eile. Aus dem Gedanken wurde nichts. Die Stimmung gegen Japan
ist seitdem eher noch gereizter.

Gute Beobachter melden aus den Vereinigten Staaten, daß die verhältnis¬
mäßige Ruhe der dortigen Presse hinsichtlich Japans nicht darüber täuschen
dürfe, daß das politisch urteilsfähige Publikum sich mit der Frage eines etwaigen
Krieges mit Japan mehr als mit irgendeinem andern Gegenstände beschäftige.
Das Gespenst wolle gar nicht weichen und man fühle sich in einer ganz
ungenügenden Sicherheit. Die berufsmäßigen Vorkämpfer einer Flottenverstärkung
bilden dabei wohl eine unablässig tätige Schar; und das Heer der Interessenten
ist groß und mannigfaltig. Man erörtert auch eifrig, welche Stellung England
dazu einnehmen werde. Es ist mit Japan verbündet, sucht nichtsdestoweniger
erfolgreich die Freundschaft der Vereinigten Staaten, deren Feindschaft es auch
schon mit Rücksicht auf das wehrlose Kanada ernstlich zu fürchten hätte. Beides
ist schwer, ja gar nicht miteinander zu verbinden. Vor einigen Monaten machte
der englische Admiral Lord Beresford Rundreisen durch die Vereinigten Staaten,
um ein Bündnis aller englisch sprechenden Nationen populär zu machen, dessen
Ziel natürlich nicht Japan, sondern Deutschland war. Er hat damit in den
Vereinigten Staaten gar keinen und selbst in Kanada so gut wie gar keinen
Anklang gefunden. Mit dem japanischen Bündnis wäre es unvereinbar gewesen.
Dieses Bündnis lockert sich allmählich. In Britisch Columbia und Australien ist
Japan das bestgehaßte Land. Selbst England hat es für nötig gehalten, Singapore
zu befestigen, damit nicht die japanische Flotte ohne seinen Willen in Indien erscheine.

Es tun sich da viele Fragen auf; nur wenige finden eine vorläufige Beant¬
wortung. Ob mit der Rückkehr des ehemaligen Präsidenten Roosevelt in seine


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[0384] Die vereinigten Staaten, ihre innere und äußere Tagespolitik schweigt, so tut es das anscheinend, well es mit Japan übereingekommen ist, daß beide ihren Vorteil finden müssen. Im einzelnen dürfte indes noch alles unbestimmt gehalten sein. Den Amerikanern ist es gelungen, sich zu Mandataren chinesischer Protest¬ politik zu machen. In der Tat dürfte China am meisten Aussicht auf die Rolle des leidenden Teils haben. Japan von der See her, Rußland auf seinen Eisenbahnen zu Lande kommend, da mag wohl manches bezopfte Haupt seine Bedenken hegen. Zuvor haben die Vereinigten Staaten noch einen Mi߬ erfolg hinnehmen müssen. Der Staatssekretär des Auswärtigen, Mr. Knox, ehedem Rechtsanwalt in Chicago und Vertreter der Trusts vor den Gerichte», hat den charakteristischen Gedanken gehabt, die Erbauung und Bewirtschaftung der sämtlichen Eisenbahnen einem internationalen Kapitaltrust zu übertragen, bestehend hauptsächlich aus Amerikanern, Engländern, Deutschen und Franzosen. Dell Amerikanern dürfte dabei die leitende Rolle zugedacht sein. Sie hätten sicher in der amerikanischen Eigenart des Bahnbetriebs, in geheimen Frachtrabatteu, Separatverträgen, Bevorzugungen und Benachteiligungen im Beförderungsmesen, in Bauausführungen usw. die größte Virtuosität entfaltet. Dem aber wider¬ setzten sich Japan und Rußland in sachlich großer Einmütigkeit und mit auf¬ fallender Eile. Aus dem Gedanken wurde nichts. Die Stimmung gegen Japan ist seitdem eher noch gereizter. Gute Beobachter melden aus den Vereinigten Staaten, daß die verhältnis¬ mäßige Ruhe der dortigen Presse hinsichtlich Japans nicht darüber täuschen dürfe, daß das politisch urteilsfähige Publikum sich mit der Frage eines etwaigen Krieges mit Japan mehr als mit irgendeinem andern Gegenstände beschäftige. Das Gespenst wolle gar nicht weichen und man fühle sich in einer ganz ungenügenden Sicherheit. Die berufsmäßigen Vorkämpfer einer Flottenverstärkung bilden dabei wohl eine unablässig tätige Schar; und das Heer der Interessenten ist groß und mannigfaltig. Man erörtert auch eifrig, welche Stellung England dazu einnehmen werde. Es ist mit Japan verbündet, sucht nichtsdestoweniger erfolgreich die Freundschaft der Vereinigten Staaten, deren Feindschaft es auch schon mit Rücksicht auf das wehrlose Kanada ernstlich zu fürchten hätte. Beides ist schwer, ja gar nicht miteinander zu verbinden. Vor einigen Monaten machte der englische Admiral Lord Beresford Rundreisen durch die Vereinigten Staaten, um ein Bündnis aller englisch sprechenden Nationen populär zu machen, dessen Ziel natürlich nicht Japan, sondern Deutschland war. Er hat damit in den Vereinigten Staaten gar keinen und selbst in Kanada so gut wie gar keinen Anklang gefunden. Mit dem japanischen Bündnis wäre es unvereinbar gewesen. Dieses Bündnis lockert sich allmählich. In Britisch Columbia und Australien ist Japan das bestgehaßte Land. Selbst England hat es für nötig gehalten, Singapore zu befestigen, damit nicht die japanische Flotte ohne seinen Willen in Indien erscheine. Es tun sich da viele Fragen auf; nur wenige finden eine vorläufige Beant¬ wortung. Ob mit der Rückkehr des ehemaligen Präsidenten Roosevelt in seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/384>, abgerufen am 28.09.2024.