Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vie vereinigte" Staaten, ihre innere und äußere Tagespolitik

willige Kohlcnversorguug; im Kriege dürften die Neutralen ihnen solchen Dienst
nicht erweisen. Es wird daher in den Vereinigten Staaten vielfach angenommen,
daß Japan, wenn es überhaupt an einen Krieg denke, nicht bis zur Eröffnung
des Pauamakanals warten werde. In den Weststaaten herrscht große Besorgnis,
daß eines Tages die Japaner an irgendeinem Punkte der Westküste landen
und sogleich so viel Soldaten ausschiffen könnten, daß sie längst eine gesicherte
Position hätten, ehe die an Zahl bekanntlich gar nicht bedeutenden amerika¬
nischen Truppen herankommen könnten. Inzwischen könnte ihre Flotte nach
Hause fahren und neue Mannschaften heranholen. ES ist daher ein lebhaftes
Verlangen nach Deckung des Westens wahrnehmbar.

Als unbeteiligter Zuschauer wird man darüber wohl kühler urteilen. Anfangs¬
erfolge mögen die Japaner leicht erringen. Wie weit reichen sie? Auf die Dauer
werden sie einer Macht, die mit so ungeheuren wirtschaftlichen Mitteln arbeitet
wie die nordamerikanische Republik, doch uicht widerstehen. Sie müssen den
Boden der Vereinigten Staaten doch wieder räumen und haben schwerlich
Aitssicht, von den Errungenschaften des ersten Augenblicks irgend etwas zu
behaupte". Sie sind klug genug, um das vorher zu erkennen. Sie möchten
gern Zugang für ihre Auswanderer zum amerikanischen Festland" gewinnen,
denn ihrer sind zuviel für das kleine Land. Aber daß ein Krieg erst recht nicht
dahin führen wird, einwandernden Japanern, die jetzt schon wegen ihrer Haut¬
farbe und wegen ihrer Genügsamkeit verhaßt sind, die Ansiedlung zu erwirken,
dürfte auch ihnen selbst kaum zweifelhaft sein. An einen Krieg um das Recht
des Zutritts kann man daher kaum glauben. Nun wohl, wird geantwortet,
es bleibt der Wettstreit um die Philippinen. Und wenn mau selbst davon
absehen will, so hat Nordamerika zu wachen, daß sich die Japaner nicht eine
bevorrechtigte politische oder wirtschaftliche Stellung auf dem ostasiatischen Fest¬
land e erobern.

Das ist nun freilich ein weitschichtiges Thema. Als Tatsache darf man
wohl ansehen, daß die Japaner in der Mandschurei schon eine Stellung errungen
haben, die die aller andern Mächte weit übertrifft. Das Abkommen von?
Sommer 1909 über die Eisenbahnen und Bergmerke bringt nicht nur einen
Teil dieser Unternehmungen direkt in die Hand der so nahegelegenen Großmacht,
sondern indirekt durch die Eisenbahnen auch noch vieles andere. Anfänglich hat
Rußland protestiert, dann scheint es sich gefügt zu haben. Denn -- und das
ist eine sehr bedeutsame Wandlung -- Japan und Rußland haben sich aneinander
geschlossen. Und zwar gegen die Vereinigten Staaten, die ebenfalls die Neigung
haben, sich an der ostasiatischen Politik stark zu beteiligen. Dazu sollen ihnen
ja gerade die Philippinen dienen. Vorläufig sind noch alle Mächte durch den
von allen, auch deu übrigen Großmächten, angenommenen Grundsatz der
"offenen Tür" im ganzen chinesischen Reiche gebunden. Was nützt das, wenn
man sich nicht einig ist über das, was er bedeutet? Die Stellung Japans in
der Mandschurei ist damit kaum zu vereinbaren. Wenn Rußland trotzdem


Vie vereinigte» Staaten, ihre innere und äußere Tagespolitik

willige Kohlcnversorguug; im Kriege dürften die Neutralen ihnen solchen Dienst
nicht erweisen. Es wird daher in den Vereinigten Staaten vielfach angenommen,
daß Japan, wenn es überhaupt an einen Krieg denke, nicht bis zur Eröffnung
des Pauamakanals warten werde. In den Weststaaten herrscht große Besorgnis,
daß eines Tages die Japaner an irgendeinem Punkte der Westküste landen
und sogleich so viel Soldaten ausschiffen könnten, daß sie längst eine gesicherte
Position hätten, ehe die an Zahl bekanntlich gar nicht bedeutenden amerika¬
nischen Truppen herankommen könnten. Inzwischen könnte ihre Flotte nach
Hause fahren und neue Mannschaften heranholen. ES ist daher ein lebhaftes
Verlangen nach Deckung des Westens wahrnehmbar.

Als unbeteiligter Zuschauer wird man darüber wohl kühler urteilen. Anfangs¬
erfolge mögen die Japaner leicht erringen. Wie weit reichen sie? Auf die Dauer
werden sie einer Macht, die mit so ungeheuren wirtschaftlichen Mitteln arbeitet
wie die nordamerikanische Republik, doch uicht widerstehen. Sie müssen den
Boden der Vereinigten Staaten doch wieder räumen und haben schwerlich
Aitssicht, von den Errungenschaften des ersten Augenblicks irgend etwas zu
behaupte». Sie sind klug genug, um das vorher zu erkennen. Sie möchten
gern Zugang für ihre Auswanderer zum amerikanischen Festland« gewinnen,
denn ihrer sind zuviel für das kleine Land. Aber daß ein Krieg erst recht nicht
dahin führen wird, einwandernden Japanern, die jetzt schon wegen ihrer Haut¬
farbe und wegen ihrer Genügsamkeit verhaßt sind, die Ansiedlung zu erwirken,
dürfte auch ihnen selbst kaum zweifelhaft sein. An einen Krieg um das Recht
des Zutritts kann man daher kaum glauben. Nun wohl, wird geantwortet,
es bleibt der Wettstreit um die Philippinen. Und wenn mau selbst davon
absehen will, so hat Nordamerika zu wachen, daß sich die Japaner nicht eine
bevorrechtigte politische oder wirtschaftliche Stellung auf dem ostasiatischen Fest¬
land e erobern.

Das ist nun freilich ein weitschichtiges Thema. Als Tatsache darf man
wohl ansehen, daß die Japaner in der Mandschurei schon eine Stellung errungen
haben, die die aller andern Mächte weit übertrifft. Das Abkommen von?
Sommer 1909 über die Eisenbahnen und Bergmerke bringt nicht nur einen
Teil dieser Unternehmungen direkt in die Hand der so nahegelegenen Großmacht,
sondern indirekt durch die Eisenbahnen auch noch vieles andere. Anfänglich hat
Rußland protestiert, dann scheint es sich gefügt zu haben. Denn — und das
ist eine sehr bedeutsame Wandlung — Japan und Rußland haben sich aneinander
geschlossen. Und zwar gegen die Vereinigten Staaten, die ebenfalls die Neigung
haben, sich an der ostasiatischen Politik stark zu beteiligen. Dazu sollen ihnen
ja gerade die Philippinen dienen. Vorläufig sind noch alle Mächte durch den
von allen, auch deu übrigen Großmächten, angenommenen Grundsatz der
„offenen Tür" im ganzen chinesischen Reiche gebunden. Was nützt das, wenn
man sich nicht einig ist über das, was er bedeutet? Die Stellung Japans in
der Mandschurei ist damit kaum zu vereinbaren. Wenn Rußland trotzdem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316022"/>
          <fw type="header" place="top"> Vie vereinigte» Staaten, ihre innere und äußere Tagespolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2091" prev="#ID_2090"> willige Kohlcnversorguug; im Kriege dürften die Neutralen ihnen solchen Dienst<lb/>
nicht erweisen. Es wird daher in den Vereinigten Staaten vielfach angenommen,<lb/>
daß Japan, wenn es überhaupt an einen Krieg denke, nicht bis zur Eröffnung<lb/>
des Pauamakanals warten werde. In den Weststaaten herrscht große Besorgnis,<lb/>
daß eines Tages die Japaner an irgendeinem Punkte der Westküste landen<lb/>
und sogleich so viel Soldaten ausschiffen könnten, daß sie längst eine gesicherte<lb/>
Position hätten, ehe die an Zahl bekanntlich gar nicht bedeutenden amerika¬<lb/>
nischen Truppen herankommen könnten. Inzwischen könnte ihre Flotte nach<lb/>
Hause fahren und neue Mannschaften heranholen. ES ist daher ein lebhaftes<lb/>
Verlangen nach Deckung des Westens wahrnehmbar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2092"> Als unbeteiligter Zuschauer wird man darüber wohl kühler urteilen. Anfangs¬<lb/>
erfolge mögen die Japaner leicht erringen. Wie weit reichen sie? Auf die Dauer<lb/>
werden sie einer Macht, die mit so ungeheuren wirtschaftlichen Mitteln arbeitet<lb/>
wie die nordamerikanische Republik, doch uicht widerstehen. Sie müssen den<lb/>
Boden der Vereinigten Staaten doch wieder räumen und haben schwerlich<lb/>
Aitssicht, von den Errungenschaften des ersten Augenblicks irgend etwas zu<lb/>
behaupte». Sie sind klug genug, um das vorher zu erkennen. Sie möchten<lb/>
gern Zugang für ihre Auswanderer zum amerikanischen Festland« gewinnen,<lb/>
denn ihrer sind zuviel für das kleine Land. Aber daß ein Krieg erst recht nicht<lb/>
dahin führen wird, einwandernden Japanern, die jetzt schon wegen ihrer Haut¬<lb/>
farbe und wegen ihrer Genügsamkeit verhaßt sind, die Ansiedlung zu erwirken,<lb/>
dürfte auch ihnen selbst kaum zweifelhaft sein. An einen Krieg um das Recht<lb/>
des Zutritts kann man daher kaum glauben. Nun wohl, wird geantwortet,<lb/>
es bleibt der Wettstreit um die Philippinen. Und wenn mau selbst davon<lb/>
absehen will, so hat Nordamerika zu wachen, daß sich die Japaner nicht eine<lb/>
bevorrechtigte politische oder wirtschaftliche Stellung auf dem ostasiatischen Fest¬<lb/>
land e erobern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2093" next="#ID_2094"> Das ist nun freilich ein weitschichtiges Thema. Als Tatsache darf man<lb/>
wohl ansehen, daß die Japaner in der Mandschurei schon eine Stellung errungen<lb/>
haben, die die aller andern Mächte weit übertrifft. Das Abkommen von?<lb/>
Sommer 1909 über die Eisenbahnen und Bergmerke bringt nicht nur einen<lb/>
Teil dieser Unternehmungen direkt in die Hand der so nahegelegenen Großmacht,<lb/>
sondern indirekt durch die Eisenbahnen auch noch vieles andere. Anfänglich hat<lb/>
Rußland protestiert, dann scheint es sich gefügt zu haben. Denn &#x2014; und das<lb/>
ist eine sehr bedeutsame Wandlung &#x2014; Japan und Rußland haben sich aneinander<lb/>
geschlossen. Und zwar gegen die Vereinigten Staaten, die ebenfalls die Neigung<lb/>
haben, sich an der ostasiatischen Politik stark zu beteiligen. Dazu sollen ihnen<lb/>
ja gerade die Philippinen dienen. Vorläufig sind noch alle Mächte durch den<lb/>
von allen, auch deu übrigen Großmächten, angenommenen Grundsatz der<lb/>
&#x201E;offenen Tür" im ganzen chinesischen Reiche gebunden. Was nützt das, wenn<lb/>
man sich nicht einig ist über das, was er bedeutet? Die Stellung Japans in<lb/>
der Mandschurei ist damit kaum zu vereinbaren.  Wenn Rußland trotzdem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0383] Vie vereinigte» Staaten, ihre innere und äußere Tagespolitik willige Kohlcnversorguug; im Kriege dürften die Neutralen ihnen solchen Dienst nicht erweisen. Es wird daher in den Vereinigten Staaten vielfach angenommen, daß Japan, wenn es überhaupt an einen Krieg denke, nicht bis zur Eröffnung des Pauamakanals warten werde. In den Weststaaten herrscht große Besorgnis, daß eines Tages die Japaner an irgendeinem Punkte der Westküste landen und sogleich so viel Soldaten ausschiffen könnten, daß sie längst eine gesicherte Position hätten, ehe die an Zahl bekanntlich gar nicht bedeutenden amerika¬ nischen Truppen herankommen könnten. Inzwischen könnte ihre Flotte nach Hause fahren und neue Mannschaften heranholen. ES ist daher ein lebhaftes Verlangen nach Deckung des Westens wahrnehmbar. Als unbeteiligter Zuschauer wird man darüber wohl kühler urteilen. Anfangs¬ erfolge mögen die Japaner leicht erringen. Wie weit reichen sie? Auf die Dauer werden sie einer Macht, die mit so ungeheuren wirtschaftlichen Mitteln arbeitet wie die nordamerikanische Republik, doch uicht widerstehen. Sie müssen den Boden der Vereinigten Staaten doch wieder räumen und haben schwerlich Aitssicht, von den Errungenschaften des ersten Augenblicks irgend etwas zu behaupte». Sie sind klug genug, um das vorher zu erkennen. Sie möchten gern Zugang für ihre Auswanderer zum amerikanischen Festland« gewinnen, denn ihrer sind zuviel für das kleine Land. Aber daß ein Krieg erst recht nicht dahin führen wird, einwandernden Japanern, die jetzt schon wegen ihrer Haut¬ farbe und wegen ihrer Genügsamkeit verhaßt sind, die Ansiedlung zu erwirken, dürfte auch ihnen selbst kaum zweifelhaft sein. An einen Krieg um das Recht des Zutritts kann man daher kaum glauben. Nun wohl, wird geantwortet, es bleibt der Wettstreit um die Philippinen. Und wenn mau selbst davon absehen will, so hat Nordamerika zu wachen, daß sich die Japaner nicht eine bevorrechtigte politische oder wirtschaftliche Stellung auf dem ostasiatischen Fest¬ land e erobern. Das ist nun freilich ein weitschichtiges Thema. Als Tatsache darf man wohl ansehen, daß die Japaner in der Mandschurei schon eine Stellung errungen haben, die die aller andern Mächte weit übertrifft. Das Abkommen von? Sommer 1909 über die Eisenbahnen und Bergmerke bringt nicht nur einen Teil dieser Unternehmungen direkt in die Hand der so nahegelegenen Großmacht, sondern indirekt durch die Eisenbahnen auch noch vieles andere. Anfänglich hat Rußland protestiert, dann scheint es sich gefügt zu haben. Denn — und das ist eine sehr bedeutsame Wandlung — Japan und Rußland haben sich aneinander geschlossen. Und zwar gegen die Vereinigten Staaten, die ebenfalls die Neigung haben, sich an der ostasiatischen Politik stark zu beteiligen. Dazu sollen ihnen ja gerade die Philippinen dienen. Vorläufig sind noch alle Mächte durch den von allen, auch deu übrigen Großmächten, angenommenen Grundsatz der „offenen Tür" im ganzen chinesischen Reiche gebunden. Was nützt das, wenn man sich nicht einig ist über das, was er bedeutet? Die Stellung Japans in der Mandschurei ist damit kaum zu vereinbaren. Wenn Rußland trotzdem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/383
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/383>, abgerufen am 28.09.2024.