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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die vereinigten Staaten, ihre innere und äußere Tagespolitik

Senatoren aus dem mittleren Westen zu den Demokraten übergeht oder wenigstens
in Zollsachen, als zur Jnsurgentenpartei gehörig, mit ihnen stimmt, so kann
natürlich die Macht der Trustpartei selbst im Senat sehr viel früher versagen.
Bleibt immer noch der Präsident Taft, dessen Amtsdauer erst am 1. April 1912
endet. Von ihm ist schwerlich ein Umschwenken zu erwarten; wohl aber kam:
sein Veto durch eine gemeinschaftliche Mehrheit beider Häuser des Kongresses
überwunden werden. Das alles kann erst die Zukunft entscheiden. Was indes
als sicher gelten kann, das ist, daß weitere Schritte im Sinne der bisherigen
Drahtzieher nicht geschehen werden.

Von der größten Bedeutuug ist der Pcmamerikanismns, d. h. das Streben
nach einer freundschaftlichen Verbindung ganz Amerikas, wobei naturgemäß den
Vereinigten Staaten die Rolle eines Vormundes zufallen würde. Er findet
seinen greifbaren Ausdruck zurzeit in den sog. Gegenseitigkeitsverträgen, durch
die man sich gegenseitig eine Zollermäßigung verbürgt, von der die übrigen
Länder ausgeschlossen sind. Solche kamen in ansehnlicher Zahl schon zu Ende
der achtziger Jahre zustande; sie wurdet! rückgängig gemacht, als zum zweiten
Male die Demokraten ans Ruder kamen. Inzwischen hatten auch die kleineren
Republiken erkannt, daß sie schlechte Geschäfte gemacht hatten. In den letzten
Jahren hat die Negierung zu Washington den Panamerikanismus wieder offen
anerkannt; namentlich hat sie ihn auf dem dritten panamerikanischen Kongreß
zu Rio de Janeiro 1907 durch den Staatssekretär Nove vertreten lassen.
Diesem gelang es, Brasilien und Ecuador zu gewinnen. Die Stimmung in
Südamerika geht jetzt stark in entgegengesetzter Richtung.

Seine stärkste Ausbildung hat der Panamerikanismus in dem Verhältnis
der Vereinigten Staaten zu Kuba erfahren. Dort hat er allerdings eine weit
größere Berechtigung, weil die Nachoarmacht der Insel zur Unabhängigkeit ver-
holfen hat und ihr eine wohltätige Vormundschaft bildet, ohne welche die Gefahr
eines lui Aufruhr siegreichen Negerregiments wohl kaum zu bannen wäre. Die
Vereinigten Staaten haben dort ein ausgebildetes politisches Protektorat. Ebenso
haben sie ein solches in der unter ihrer Gönnerschaft entstandenen Republik
Panama. Ein wenig davon besteht auch bereits in S. Domingo, indem nämlich
die Vereinigten Staaten die dankenswerte Aufgabe übernommen haben, die
Finanzen im Interesse der Gläubiger ehrlich zu verwalten. Die Negerrepublik
Haity liegt ganz zu Füßen der Nordamerikaner; nur ihr eigener Abscheu gegen
die Schwarzen hindert sie, die Herrschaft anzutreten. Ein Dazwischentreten
anderer Mächte ist gar nicht denkbar; in manchen Fällen sympathisiert alle Welt
mit den Vereinigten Staaten. Auch wenn es keine Monroe-Doktrin gäbe, würde
Europa sich nicht einmischen.

Aus alledem bildet sich schließlich eine große Zukunftsvision heraus: Amerika
für die Amerikaner, worunter jedoch zu verstehen wäre: Ganz Amerika für die
Vereinigten Staaten. Eben davon ist auch eine vermehrte Vorstellung in die
Gemüter Südamerikas gedrungen. Nur von diesen kann ein ernstlicher Wider-


Die vereinigten Staaten, ihre innere und äußere Tagespolitik

Senatoren aus dem mittleren Westen zu den Demokraten übergeht oder wenigstens
in Zollsachen, als zur Jnsurgentenpartei gehörig, mit ihnen stimmt, so kann
natürlich die Macht der Trustpartei selbst im Senat sehr viel früher versagen.
Bleibt immer noch der Präsident Taft, dessen Amtsdauer erst am 1. April 1912
endet. Von ihm ist schwerlich ein Umschwenken zu erwarten; wohl aber kam:
sein Veto durch eine gemeinschaftliche Mehrheit beider Häuser des Kongresses
überwunden werden. Das alles kann erst die Zukunft entscheiden. Was indes
als sicher gelten kann, das ist, daß weitere Schritte im Sinne der bisherigen
Drahtzieher nicht geschehen werden.

Von der größten Bedeutuug ist der Pcmamerikanismns, d. h. das Streben
nach einer freundschaftlichen Verbindung ganz Amerikas, wobei naturgemäß den
Vereinigten Staaten die Rolle eines Vormundes zufallen würde. Er findet
seinen greifbaren Ausdruck zurzeit in den sog. Gegenseitigkeitsverträgen, durch
die man sich gegenseitig eine Zollermäßigung verbürgt, von der die übrigen
Länder ausgeschlossen sind. Solche kamen in ansehnlicher Zahl schon zu Ende
der achtziger Jahre zustande; sie wurdet! rückgängig gemacht, als zum zweiten
Male die Demokraten ans Ruder kamen. Inzwischen hatten auch die kleineren
Republiken erkannt, daß sie schlechte Geschäfte gemacht hatten. In den letzten
Jahren hat die Negierung zu Washington den Panamerikanismus wieder offen
anerkannt; namentlich hat sie ihn auf dem dritten panamerikanischen Kongreß
zu Rio de Janeiro 1907 durch den Staatssekretär Nove vertreten lassen.
Diesem gelang es, Brasilien und Ecuador zu gewinnen. Die Stimmung in
Südamerika geht jetzt stark in entgegengesetzter Richtung.

Seine stärkste Ausbildung hat der Panamerikanismus in dem Verhältnis
der Vereinigten Staaten zu Kuba erfahren. Dort hat er allerdings eine weit
größere Berechtigung, weil die Nachoarmacht der Insel zur Unabhängigkeit ver-
holfen hat und ihr eine wohltätige Vormundschaft bildet, ohne welche die Gefahr
eines lui Aufruhr siegreichen Negerregiments wohl kaum zu bannen wäre. Die
Vereinigten Staaten haben dort ein ausgebildetes politisches Protektorat. Ebenso
haben sie ein solches in der unter ihrer Gönnerschaft entstandenen Republik
Panama. Ein wenig davon besteht auch bereits in S. Domingo, indem nämlich
die Vereinigten Staaten die dankenswerte Aufgabe übernommen haben, die
Finanzen im Interesse der Gläubiger ehrlich zu verwalten. Die Negerrepublik
Haity liegt ganz zu Füßen der Nordamerikaner; nur ihr eigener Abscheu gegen
die Schwarzen hindert sie, die Herrschaft anzutreten. Ein Dazwischentreten
anderer Mächte ist gar nicht denkbar; in manchen Fällen sympathisiert alle Welt
mit den Vereinigten Staaten. Auch wenn es keine Monroe-Doktrin gäbe, würde
Europa sich nicht einmischen.

Aus alledem bildet sich schließlich eine große Zukunftsvision heraus: Amerika
für die Amerikaner, worunter jedoch zu verstehen wäre: Ganz Amerika für die
Vereinigten Staaten. Eben davon ist auch eine vermehrte Vorstellung in die
Gemüter Südamerikas gedrungen. Nur von diesen kann ein ernstlicher Wider-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/380>, abgerufen am 29.06.2024.