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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Demokraten zur Siege kommen sollten. Ob es noch früh genug war, dies zu
verhindern, gilt indes als sehr zweifelhaft.

Der Aufruhr im Schoße der Partei richtete sich gegen die Führung. Die
eigentlichen Riesenkapitalisten, die Rockefeller, Morgan usw., sind selbst nicht im
Kongreß, auch nicht selbst Parteivorstände. Aber sie haben in diesen Stellungen
ihre vertrauten Freunde. Daß diese selber Geld nehmen, wird nirgends
behauptet. Aber sie verstehen es, die für das amerikanische Leben so unendlich
wichtigen Parteikassen mit Geld zu füllen.

Langjähriger Sprecher war der Republikaner Joe Cannon. Gegen ihn
entfesselte sich der erste Sturm. Die Vertreter des mittleren Nordwestens
vereinigten sich plötzlich mit der demokratischen Opposition, im: ihm eine Nieder¬
lage zu bereiten. Seitdem hat sich die Partei der "Insurgenten" immer deut¬
licher herausgebildet. Im Senat ist die alte Parteileitung allerdings stärker,
aber auch dort beginnt sie zu versagen.

Inzwischen hatte die Wählerschaft selbst Stellung zu dein Lauf der Dinge
genommen. Massachusetts und der ländliche Teil des Staates New Dorr sind
von jeher republikanisch gewesen. Dort haben jetzt ein paar Nachwahlen den
Demokraten große Siege gebracht. Wenn das am grünen Holz geschieht, was
will am dürren werden! Diese Vorfälle haben die Insurrektion stark begünstigt
und sie werden die mittleren Nordweststaaten völlig anstacheln.

In den allerletzten Tagen ist bekannt geworden, daß die Haupteinpeitscher
der republikanischen Partei der Wucht des allgemeinen Unwillens nicht länger
zu widerstehen wagen. Die langjährigen republikanischen Senatoren Aldrich
und Haie haben verkündet, daß sie bei Ablauf ihres Maubads am 31. März 1911
nicht wiedergewählt werden wollen. Von Chauncey Depew verlautet dasselbe.
Diesen Männern schreibt man die Hauptverantwortung für den abermals
erhöhten Schutzzoll des Payne-Aldrich-Tarifs zu. Freilich wäre dieser niemals
zustande gekommen, wenn nicht die Kongreßvertreter der mittleren Weststaaten
ihn gebilligt hätten. Aber diese oder viele von ihnen scheinen sich klar geworden
zu sein, daß ihre Tage gezählt wären, wenn sie nicht schleunigst eine ganz
andere Stellung zu der Parteileitung einnahmen. Das plötzliche Umsichgreifen
der Insurrektion ist das Ergebnis der Furcht vor deu Fortschritten der demo¬
kratischen Partei.

Diese letztere ist allerdings nicht eigentlich freihündlerisch, aber sie will doch
eine alsbaldige Verringerung des bestehenden Tarifs im Sinne des von 1894
bis 1897 geltenden Wilson-Tarifs. Gesetzt, sie erlangt bei der Neuwahl des
Repräsentantenhauses im November d. Is., was jetzt allgemein angenommen
wird, den Sieg. Damit ist sie noch nicht Herrin über die Gesetzgebung, denn
der Bundessenat wird alle zwei Jahre nur zu einem Drittel erneuert. Jetzt
besteht er aus 58 Republikanern und 34 Demokraten. Da kann 1910 die
Mehrheit sich uoch nicht in die Minderheit verwandeln; selbst 1912 noch kaum;
erst 19Z4. Wenn aber, dem Zug der Geister folgend, auch nur ein Teil der


Demokraten zur Siege kommen sollten. Ob es noch früh genug war, dies zu
verhindern, gilt indes als sehr zweifelhaft.

Der Aufruhr im Schoße der Partei richtete sich gegen die Führung. Die
eigentlichen Riesenkapitalisten, die Rockefeller, Morgan usw., sind selbst nicht im
Kongreß, auch nicht selbst Parteivorstände. Aber sie haben in diesen Stellungen
ihre vertrauten Freunde. Daß diese selber Geld nehmen, wird nirgends
behauptet. Aber sie verstehen es, die für das amerikanische Leben so unendlich
wichtigen Parteikassen mit Geld zu füllen.

Langjähriger Sprecher war der Republikaner Joe Cannon. Gegen ihn
entfesselte sich der erste Sturm. Die Vertreter des mittleren Nordwestens
vereinigten sich plötzlich mit der demokratischen Opposition, im: ihm eine Nieder¬
lage zu bereiten. Seitdem hat sich die Partei der „Insurgenten" immer deut¬
licher herausgebildet. Im Senat ist die alte Parteileitung allerdings stärker,
aber auch dort beginnt sie zu versagen.

Inzwischen hatte die Wählerschaft selbst Stellung zu dein Lauf der Dinge
genommen. Massachusetts und der ländliche Teil des Staates New Dorr sind
von jeher republikanisch gewesen. Dort haben jetzt ein paar Nachwahlen den
Demokraten große Siege gebracht. Wenn das am grünen Holz geschieht, was
will am dürren werden! Diese Vorfälle haben die Insurrektion stark begünstigt
und sie werden die mittleren Nordweststaaten völlig anstacheln.

In den allerletzten Tagen ist bekannt geworden, daß die Haupteinpeitscher
der republikanischen Partei der Wucht des allgemeinen Unwillens nicht länger
zu widerstehen wagen. Die langjährigen republikanischen Senatoren Aldrich
und Haie haben verkündet, daß sie bei Ablauf ihres Maubads am 31. März 1911
nicht wiedergewählt werden wollen. Von Chauncey Depew verlautet dasselbe.
Diesen Männern schreibt man die Hauptverantwortung für den abermals
erhöhten Schutzzoll des Payne-Aldrich-Tarifs zu. Freilich wäre dieser niemals
zustande gekommen, wenn nicht die Kongreßvertreter der mittleren Weststaaten
ihn gebilligt hätten. Aber diese oder viele von ihnen scheinen sich klar geworden
zu sein, daß ihre Tage gezählt wären, wenn sie nicht schleunigst eine ganz
andere Stellung zu der Parteileitung einnahmen. Das plötzliche Umsichgreifen
der Insurrektion ist das Ergebnis der Furcht vor deu Fortschritten der demo¬
kratischen Partei.

Diese letztere ist allerdings nicht eigentlich freihündlerisch, aber sie will doch
eine alsbaldige Verringerung des bestehenden Tarifs im Sinne des von 1894
bis 1897 geltenden Wilson-Tarifs. Gesetzt, sie erlangt bei der Neuwahl des
Repräsentantenhauses im November d. Is., was jetzt allgemein angenommen
wird, den Sieg. Damit ist sie noch nicht Herrin über die Gesetzgebung, denn
der Bundessenat wird alle zwei Jahre nur zu einem Drittel erneuert. Jetzt
besteht er aus 58 Republikanern und 34 Demokraten. Da kann 1910 die
Mehrheit sich uoch nicht in die Minderheit verwandeln; selbst 1912 noch kaum;
erst 19Z4. Wenn aber, dem Zug der Geister folgend, auch nur ein Teil der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/379>, abgerufen am 29.06.2024.