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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die vereinigten Staaten, ihre innere und äußere Tagespolitik

tarife geschaffen, durch die die Trusts die europäischen Waren so empfindlich
verteuern, daß sie selber mit Leichtigkeit Monopolpreise erheben können. Die
Trusts haben ihre Kunden wie auch ihre Bezugsquellen vergewaltigt, sie stehen
ihren Arbeitern als eine übermächtige Organisation gegenüber, sie haben an der
Fäulnis des öffentlichen Lebens den allerstärksten Anteil. An der Volksbeliebtheit
Roosevelts hatte die kraftvolle, ja man kann wohl sagen maßlose Sprache gegen
die Riesenkapitalisten einen sehr starken Anteil. Er verglich sie mit Straßen¬
räubern, Zuhältern und bezahlten Rowdies, ja sie seien schlimmer als diese.
Ihn verehrten breite Volksmassen als ihren Helden. Dadurch erhielt er in der
Präsidentenwahl von: November 1905 die beispiellose Mehrheit von 2545515
Stimmen über seinen demokratische!? Nebenbuhler.

Nun zeigte sich aber, daß die Gesetzgebung unter Roosevelts Leitung doch
gegen die Trusts sehr wenig ausrichtete. Das allmächtige Riesenkapital spottete
der Gesetze wie der Gerichte. Auf das einzige wirkliche Hilfsmittel, die Zulassung
ausländischer Erzeugnisse, wagte sich Roosevelt nicht einzulassen, nachdem er
ewige Reden dafür gehalten hatte. Gleichwohl schwuren die Trusts ihm den
Untergang und er wich vor ihnen zurück. Er kaudidierte 1909 selbst uicht
wieder; vielmehr empfahl er seinen Staatssekretär Taft, der denn auch gewählt
wurde. Dessen Mehrheit schmolz jedoch auf 1269804 Stimmen zusammen.
Sichtlich hatte ein Teil der Wählerschaft bereits das Vertrauen zu der republi¬
kanischen Partei verloren. Faradische Ankläger behaupteten, Roosevelt habe
von einem Geheimabkommen gewußt, kraft dessen die Trusts für die republi¬
kanischen Parteikassen und für die Wahl Tafts große Summen hergeben sollten
und dafür das Zugeständnis erhielten, daß nichts Ernstliches gegen sie geschehen
sollte. In der Wahlbewegung war oft von Revision des Zolltarifs gesprochen
worden; zweifellos hatte die Masse der Wähler das so aufgefaßt, als sollten
die Zölle ermäßigt werden. Als man aber im Sommer das Werk vollbrachte,
war es keine Ermäßigung, sondern eine Erhöhung.

Daran hatten auch die Kongreßmitglieder des mittleren Nordwestens noch
mitgearbeitet. Ohne sie wäre das neue Zollgesetz nicht zustande gekommen.
Sie haben sich noch der Parteifuchtel gefügt. Als aber im Herbst Präsident
Taft seine Reise durch den Nordwesten unternahm, zeigte sich, daß die Bevölkerung
dort sehr unzufrieden war und das Lob, das er dein Werke spendete, höhnisch
zurückwies. Er verkürzte seiue Rundfahrt. Seitdem setzte der Fleischtrust eine
so wahnsinnige Erhöhung der Fleischpreise ins Werk, daß es zu dem bekannten
Boykott kam und Hunderttausend": zeitweilig zu Vegetarianern wurden. Und
dabei hatten die Farmer nicht einmal Vorteil davon, denn sie erhielten nur die
alten Preise. Die Vertreter des mittleren Westens im Kongreß hatten nun
Fühlung mit ihren Wählern gehabt. Sie hatten sich überzeugen müssen, wie
unpopulär die republikanische Sache unter ihrer bisherigen Führung geworden
war. Sie mochten fühlen, daß sie sich schleunigst von der letzteren trennen
müßten, wenn nicht die republikanische Partei selber gestürzt werden und die


Die vereinigten Staaten, ihre innere und äußere Tagespolitik

tarife geschaffen, durch die die Trusts die europäischen Waren so empfindlich
verteuern, daß sie selber mit Leichtigkeit Monopolpreise erheben können. Die
Trusts haben ihre Kunden wie auch ihre Bezugsquellen vergewaltigt, sie stehen
ihren Arbeitern als eine übermächtige Organisation gegenüber, sie haben an der
Fäulnis des öffentlichen Lebens den allerstärksten Anteil. An der Volksbeliebtheit
Roosevelts hatte die kraftvolle, ja man kann wohl sagen maßlose Sprache gegen
die Riesenkapitalisten einen sehr starken Anteil. Er verglich sie mit Straßen¬
räubern, Zuhältern und bezahlten Rowdies, ja sie seien schlimmer als diese.
Ihn verehrten breite Volksmassen als ihren Helden. Dadurch erhielt er in der
Präsidentenwahl von: November 1905 die beispiellose Mehrheit von 2545515
Stimmen über seinen demokratische!? Nebenbuhler.

Nun zeigte sich aber, daß die Gesetzgebung unter Roosevelts Leitung doch
gegen die Trusts sehr wenig ausrichtete. Das allmächtige Riesenkapital spottete
der Gesetze wie der Gerichte. Auf das einzige wirkliche Hilfsmittel, die Zulassung
ausländischer Erzeugnisse, wagte sich Roosevelt nicht einzulassen, nachdem er
ewige Reden dafür gehalten hatte. Gleichwohl schwuren die Trusts ihm den
Untergang und er wich vor ihnen zurück. Er kaudidierte 1909 selbst uicht
wieder; vielmehr empfahl er seinen Staatssekretär Taft, der denn auch gewählt
wurde. Dessen Mehrheit schmolz jedoch auf 1269804 Stimmen zusammen.
Sichtlich hatte ein Teil der Wählerschaft bereits das Vertrauen zu der republi¬
kanischen Partei verloren. Faradische Ankläger behaupteten, Roosevelt habe
von einem Geheimabkommen gewußt, kraft dessen die Trusts für die republi¬
kanischen Parteikassen und für die Wahl Tafts große Summen hergeben sollten
und dafür das Zugeständnis erhielten, daß nichts Ernstliches gegen sie geschehen
sollte. In der Wahlbewegung war oft von Revision des Zolltarifs gesprochen
worden; zweifellos hatte die Masse der Wähler das so aufgefaßt, als sollten
die Zölle ermäßigt werden. Als man aber im Sommer das Werk vollbrachte,
war es keine Ermäßigung, sondern eine Erhöhung.

Daran hatten auch die Kongreßmitglieder des mittleren Nordwestens noch
mitgearbeitet. Ohne sie wäre das neue Zollgesetz nicht zustande gekommen.
Sie haben sich noch der Parteifuchtel gefügt. Als aber im Herbst Präsident
Taft seine Reise durch den Nordwesten unternahm, zeigte sich, daß die Bevölkerung
dort sehr unzufrieden war und das Lob, das er dein Werke spendete, höhnisch
zurückwies. Er verkürzte seiue Rundfahrt. Seitdem setzte der Fleischtrust eine
so wahnsinnige Erhöhung der Fleischpreise ins Werk, daß es zu dem bekannten
Boykott kam und Hunderttausend«: zeitweilig zu Vegetarianern wurden. Und
dabei hatten die Farmer nicht einmal Vorteil davon, denn sie erhielten nur die
alten Preise. Die Vertreter des mittleren Westens im Kongreß hatten nun
Fühlung mit ihren Wählern gehabt. Sie hatten sich überzeugen müssen, wie
unpopulär die republikanische Sache unter ihrer bisherigen Führung geworden
war. Sie mochten fühlen, daß sie sich schleunigst von der letzteren trennen
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[0378] Die vereinigten Staaten, ihre innere und äußere Tagespolitik tarife geschaffen, durch die die Trusts die europäischen Waren so empfindlich verteuern, daß sie selber mit Leichtigkeit Monopolpreise erheben können. Die Trusts haben ihre Kunden wie auch ihre Bezugsquellen vergewaltigt, sie stehen ihren Arbeitern als eine übermächtige Organisation gegenüber, sie haben an der Fäulnis des öffentlichen Lebens den allerstärksten Anteil. An der Volksbeliebtheit Roosevelts hatte die kraftvolle, ja man kann wohl sagen maßlose Sprache gegen die Riesenkapitalisten einen sehr starken Anteil. Er verglich sie mit Straßen¬ räubern, Zuhältern und bezahlten Rowdies, ja sie seien schlimmer als diese. Ihn verehrten breite Volksmassen als ihren Helden. Dadurch erhielt er in der Präsidentenwahl von: November 1905 die beispiellose Mehrheit von 2545515 Stimmen über seinen demokratische!? Nebenbuhler. Nun zeigte sich aber, daß die Gesetzgebung unter Roosevelts Leitung doch gegen die Trusts sehr wenig ausrichtete. Das allmächtige Riesenkapital spottete der Gesetze wie der Gerichte. Auf das einzige wirkliche Hilfsmittel, die Zulassung ausländischer Erzeugnisse, wagte sich Roosevelt nicht einzulassen, nachdem er ewige Reden dafür gehalten hatte. Gleichwohl schwuren die Trusts ihm den Untergang und er wich vor ihnen zurück. Er kaudidierte 1909 selbst uicht wieder; vielmehr empfahl er seinen Staatssekretär Taft, der denn auch gewählt wurde. Dessen Mehrheit schmolz jedoch auf 1269804 Stimmen zusammen. Sichtlich hatte ein Teil der Wählerschaft bereits das Vertrauen zu der republi¬ kanischen Partei verloren. Faradische Ankläger behaupteten, Roosevelt habe von einem Geheimabkommen gewußt, kraft dessen die Trusts für die republi¬ kanischen Parteikassen und für die Wahl Tafts große Summen hergeben sollten und dafür das Zugeständnis erhielten, daß nichts Ernstliches gegen sie geschehen sollte. In der Wahlbewegung war oft von Revision des Zolltarifs gesprochen worden; zweifellos hatte die Masse der Wähler das so aufgefaßt, als sollten die Zölle ermäßigt werden. Als man aber im Sommer das Werk vollbrachte, war es keine Ermäßigung, sondern eine Erhöhung. Daran hatten auch die Kongreßmitglieder des mittleren Nordwestens noch mitgearbeitet. Ohne sie wäre das neue Zollgesetz nicht zustande gekommen. Sie haben sich noch der Parteifuchtel gefügt. Als aber im Herbst Präsident Taft seine Reise durch den Nordwesten unternahm, zeigte sich, daß die Bevölkerung dort sehr unzufrieden war und das Lob, das er dein Werke spendete, höhnisch zurückwies. Er verkürzte seiue Rundfahrt. Seitdem setzte der Fleischtrust eine so wahnsinnige Erhöhung der Fleischpreise ins Werk, daß es zu dem bekannten Boykott kam und Hunderttausend«: zeitweilig zu Vegetarianern wurden. Und dabei hatten die Farmer nicht einmal Vorteil davon, denn sie erhielten nur die alten Preise. Die Vertreter des mittleren Westens im Kongreß hatten nun Fühlung mit ihren Wählern gehabt. Sie hatten sich überzeugen müssen, wie unpopulär die republikanische Sache unter ihrer bisherigen Führung geworden war. Sie mochten fühlen, daß sie sich schleunigst von der letzteren trennen müßten, wenn nicht die republikanische Partei selber gestürzt werden und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/378>, abgerufen am 29.06.2024.