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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die vereinigten Straten, ihre innere und äußere Tagespolitik

und sind das UM so mehr, als sie alle Jndustrieerzeugnisse vom Norden oder
vom Auslande kaufen müssen, wobei Zölle ihnen natürlich den Bedarf verteuern.
Die Nordoststaaten waren und sind die eigentlichen Schutzzöllner, sie wollen den
europäischen Handel möglichst aus dem Gebiet der Union vertreiben, ja am
liebsten ihn auch aus dem übrigen Amerika weit zurückdrängen. Der Gegensatz
danert nicht nur bis heute unvermindert an, er hat sich vielmehr durch die
Entwicklung des Trustwesens noch verschärft. In den letzten Jahrzehnten ist
es dem organisierten Nein-Uorker Riesenkapital gelungen, für den größten Teil
der Industrie- und Bergwerkserzeugnisse Privatmonopole zu errichten, die das
Laud mit der äußersten Rücksichtslosigkeit ausbeuten. Ja, sogar den Vieh- und
Fleischhandel haben die Chicagoer Großkapitalisten in ihre Gewalt gebracht,
wobei sie den Farmern niedrige Preise zahlen und den Schlächtern, Fleisch¬
händlern und Verbrauchern Bombenpreise berechnen.

Wie ist es möglich, daß der landwirtschaftliche Nordwesten, der schon im
Staate Ohio beginnt, dieser Hochschntzzollpartei anhängt? Das tut er, denn
ohne ihn wäre der Nordosten viel zu schwach, zumal der Staat New Uork
wegen der aus gewissen Gründen meist demokratischen Großstadt New Uork
manchmal zur demokratischen Partei abschwenkt. Dabei wirkt im wesentlichen
die Erinnerung an den gemeinsam gegen die Sklavenhalterei geführten Krieg
noch nach. Die Sklavenwirtschaft ist dem nordwestlichen Bauernlande mit Recht
ein Greuel. Anderes kommt hinzu. Die Südstaaten sind noch heute partikularistisch,
der Nordwesten sucht das Heil in der Zentralgewalt. Das Schlimmste war,
daß der Süden sich um die Mitte der neunziger Jahre der schwindelhafter
Silberpolitik des Mr. Brvan in die Arme warf. Das alles hat es den: nord¬
östlichen Jndustrielande ermöglicht, die mittleren Nordweststaaten bei seinen Fahnen
festzuhalten, obwohl diese durch die Massenausfuhr an Nahrungsmitteln und
den Mangel einer eigenen Industrie weit mehr am Freihandel als am Schutzzoll
interessiert sind.

Fünfzig Jahre lang hat die republikanische Partei das Bundesprüsidium
besessen. Nur die acht Jahre von 1884 bis 1888 und 1892 bis 1896 gab
es einen demokratischen Präsidenten, Grover Cleveland; ein demokratisches
Repräsentantenhaus gar noch zwei Jahre weniger. Da ist Manche Mißwirtschaft
arg in Saat geschossen. Der wärmste amerikanische Patriot gibt willig zu, daß
die Fäulnis im öffentlichen Leben ein wahrer Schandfleck der Vereinigten
Staaten ist. Aber jeder erkennt auch an, daß hier in beiden Parteien so
stark gesündigt wird, daß man nicht weiß, wen: man die Palme zuerkennen
soll. Die Stadt New Aork ist in den Händen der Demokraten, Philadelphia
der Republikaner, die Korruption ist in beiden gleich groß. Im Herbst 1909
Zog der keiner von beiden Parteien angehörige Präsidentschaftskandidat Hearst
die grauenhafte Bestechlichkeit von Senatoren, Gouverneuren, leitenden Männern
beider Parteien ans Licht. Aber die republikanische sieht doch gerade in jüngster
Zeit den Haß gegen sich reißend schnell anwachsen. Sie hat die Hochschutzzoll-


Die vereinigten Straten, ihre innere und äußere Tagespolitik

und sind das UM so mehr, als sie alle Jndustrieerzeugnisse vom Norden oder
vom Auslande kaufen müssen, wobei Zölle ihnen natürlich den Bedarf verteuern.
Die Nordoststaaten waren und sind die eigentlichen Schutzzöllner, sie wollen den
europäischen Handel möglichst aus dem Gebiet der Union vertreiben, ja am
liebsten ihn auch aus dem übrigen Amerika weit zurückdrängen. Der Gegensatz
danert nicht nur bis heute unvermindert an, er hat sich vielmehr durch die
Entwicklung des Trustwesens noch verschärft. In den letzten Jahrzehnten ist
es dem organisierten Nein-Uorker Riesenkapital gelungen, für den größten Teil
der Industrie- und Bergwerkserzeugnisse Privatmonopole zu errichten, die das
Laud mit der äußersten Rücksichtslosigkeit ausbeuten. Ja, sogar den Vieh- und
Fleischhandel haben die Chicagoer Großkapitalisten in ihre Gewalt gebracht,
wobei sie den Farmern niedrige Preise zahlen und den Schlächtern, Fleisch¬
händlern und Verbrauchern Bombenpreise berechnen.

Wie ist es möglich, daß der landwirtschaftliche Nordwesten, der schon im
Staate Ohio beginnt, dieser Hochschntzzollpartei anhängt? Das tut er, denn
ohne ihn wäre der Nordosten viel zu schwach, zumal der Staat New Uork
wegen der aus gewissen Gründen meist demokratischen Großstadt New Uork
manchmal zur demokratischen Partei abschwenkt. Dabei wirkt im wesentlichen
die Erinnerung an den gemeinsam gegen die Sklavenhalterei geführten Krieg
noch nach. Die Sklavenwirtschaft ist dem nordwestlichen Bauernlande mit Recht
ein Greuel. Anderes kommt hinzu. Die Südstaaten sind noch heute partikularistisch,
der Nordwesten sucht das Heil in der Zentralgewalt. Das Schlimmste war,
daß der Süden sich um die Mitte der neunziger Jahre der schwindelhafter
Silberpolitik des Mr. Brvan in die Arme warf. Das alles hat es den: nord¬
östlichen Jndustrielande ermöglicht, die mittleren Nordweststaaten bei seinen Fahnen
festzuhalten, obwohl diese durch die Massenausfuhr an Nahrungsmitteln und
den Mangel einer eigenen Industrie weit mehr am Freihandel als am Schutzzoll
interessiert sind.

Fünfzig Jahre lang hat die republikanische Partei das Bundesprüsidium
besessen. Nur die acht Jahre von 1884 bis 1888 und 1892 bis 1896 gab
es einen demokratischen Präsidenten, Grover Cleveland; ein demokratisches
Repräsentantenhaus gar noch zwei Jahre weniger. Da ist Manche Mißwirtschaft
arg in Saat geschossen. Der wärmste amerikanische Patriot gibt willig zu, daß
die Fäulnis im öffentlichen Leben ein wahrer Schandfleck der Vereinigten
Staaten ist. Aber jeder erkennt auch an, daß hier in beiden Parteien so
stark gesündigt wird, daß man nicht weiß, wen: man die Palme zuerkennen
soll. Die Stadt New Aork ist in den Händen der Demokraten, Philadelphia
der Republikaner, die Korruption ist in beiden gleich groß. Im Herbst 1909
Zog der keiner von beiden Parteien angehörige Präsidentschaftskandidat Hearst
die grauenhafte Bestechlichkeit von Senatoren, Gouverneuren, leitenden Männern
beider Parteien ans Licht. Aber die republikanische sieht doch gerade in jüngster
Zeit den Haß gegen sich reißend schnell anwachsen. Sie hat die Hochschutzzoll-


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[0377] Die vereinigten Straten, ihre innere und äußere Tagespolitik und sind das UM so mehr, als sie alle Jndustrieerzeugnisse vom Norden oder vom Auslande kaufen müssen, wobei Zölle ihnen natürlich den Bedarf verteuern. Die Nordoststaaten waren und sind die eigentlichen Schutzzöllner, sie wollen den europäischen Handel möglichst aus dem Gebiet der Union vertreiben, ja am liebsten ihn auch aus dem übrigen Amerika weit zurückdrängen. Der Gegensatz danert nicht nur bis heute unvermindert an, er hat sich vielmehr durch die Entwicklung des Trustwesens noch verschärft. In den letzten Jahrzehnten ist es dem organisierten Nein-Uorker Riesenkapital gelungen, für den größten Teil der Industrie- und Bergwerkserzeugnisse Privatmonopole zu errichten, die das Laud mit der äußersten Rücksichtslosigkeit ausbeuten. Ja, sogar den Vieh- und Fleischhandel haben die Chicagoer Großkapitalisten in ihre Gewalt gebracht, wobei sie den Farmern niedrige Preise zahlen und den Schlächtern, Fleisch¬ händlern und Verbrauchern Bombenpreise berechnen. Wie ist es möglich, daß der landwirtschaftliche Nordwesten, der schon im Staate Ohio beginnt, dieser Hochschntzzollpartei anhängt? Das tut er, denn ohne ihn wäre der Nordosten viel zu schwach, zumal der Staat New Uork wegen der aus gewissen Gründen meist demokratischen Großstadt New Uork manchmal zur demokratischen Partei abschwenkt. Dabei wirkt im wesentlichen die Erinnerung an den gemeinsam gegen die Sklavenhalterei geführten Krieg noch nach. Die Sklavenwirtschaft ist dem nordwestlichen Bauernlande mit Recht ein Greuel. Anderes kommt hinzu. Die Südstaaten sind noch heute partikularistisch, der Nordwesten sucht das Heil in der Zentralgewalt. Das Schlimmste war, daß der Süden sich um die Mitte der neunziger Jahre der schwindelhafter Silberpolitik des Mr. Brvan in die Arme warf. Das alles hat es den: nord¬ östlichen Jndustrielande ermöglicht, die mittleren Nordweststaaten bei seinen Fahnen festzuhalten, obwohl diese durch die Massenausfuhr an Nahrungsmitteln und den Mangel einer eigenen Industrie weit mehr am Freihandel als am Schutzzoll interessiert sind. Fünfzig Jahre lang hat die republikanische Partei das Bundesprüsidium besessen. Nur die acht Jahre von 1884 bis 1888 und 1892 bis 1896 gab es einen demokratischen Präsidenten, Grover Cleveland; ein demokratisches Repräsentantenhaus gar noch zwei Jahre weniger. Da ist Manche Mißwirtschaft arg in Saat geschossen. Der wärmste amerikanische Patriot gibt willig zu, daß die Fäulnis im öffentlichen Leben ein wahrer Schandfleck der Vereinigten Staaten ist. Aber jeder erkennt auch an, daß hier in beiden Parteien so stark gesündigt wird, daß man nicht weiß, wen: man die Palme zuerkennen soll. Die Stadt New Aork ist in den Händen der Demokraten, Philadelphia der Republikaner, die Korruption ist in beiden gleich groß. Im Herbst 1909 Zog der keiner von beiden Parteien angehörige Präsidentschaftskandidat Hearst die grauenhafte Bestechlichkeit von Senatoren, Gouverneuren, leitenden Männern beider Parteien ans Licht. Aber die republikanische sieht doch gerade in jüngster Zeit den Haß gegen sich reißend schnell anwachsen. Sie hat die Hochschutzzoll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/377>, abgerufen am 29.06.2024.