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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gustav Falke

Diese poetisch ebenso wirksame wie ungesuchte Verbindung durch das Lied der
Morgen- und Abendsänger gibt dem ganzen Gedicht jene gewissermaßen atmende
Wärme, die Theodor Storm gemeint hat, als er sagte: "Am vollendetsten
erscheint mir das Gedicht, dessen Wirkung zunächst eine sinnliche ist, aus der
sich dann die geistige von selbst ergibt, wie aus der Blute die Frucht." Und
ganz dasselbe gilt, wenn das Leben der Pflanze in diesen den Dichter immer
wieder fesselnden Wechsel hineingestellt wird:

Der Tulpenvnum hat über Nacht
All seine Blumen aufgemacht,
Die Weiße" Sterne leuchten weit
In ihrer keuschen Herrlichkeit.
Es ist, als Hätt'S die Nacht bedacht,
Was Liebes sie dein Tag vermacht,
Damit von ihrem Märchenglnnz
Ein Schimmer leb in seinem Ärnnz.
Er aber, überreich an Licht,
Bedarf der fremden Sterne nicht,
Und bald entblättert, schnell und sacht,
Das liebliche Geschenk der Nacht.

Wie im Wechsel der Stunden, so ist es auch darüber hinaus, in den:
Gleiten eines Menschenlebens immer wieder der Übergang von der Helle zur
Dunkelheit, dem Falles Träume gelten. Er hat den Tod so oft besungen, daß
er's wohl wagen kann, sich einmal von ihm ordentlich die Leviten lesen zu lassen.
Raunzend und schimpfend läßt der hohläugige Jägersmann den auf schläfriger
Wintersflur betroffnen Dichter also an:

Was hast du für ein Jammerbild
Bon mir den Menschen anfgeschwaljl!
Bald war ich wie ein Nönnchen mild,
Das ihren Abt zu Tode schmatzt.
Bald salbungsvoll wie ein Pastor,
Bald kindisch wie ein Großpapa,
So führtest du mich täglich vor.
Als wär' ich zur Belustigung da.
Haut war ich dir ein Trainhnsar
Und morgen ein Bnron im Frack,
Und einmal schobst dn mir sogar
Die Pfeif' ins Maul. Und der Tabak!

Aber trotz solcher Begegnung gestaltet der Dichter, dessen erstes Buch "Mynheer
der Tod" hieß, das tiefste Geheimnis unsres Lebens immer neu. Sei's, daß
er den Tod dem lorbeergelrvnten Sieger bei der zweiten Wettfährt den andern


Gustav Falke

Diese poetisch ebenso wirksame wie ungesuchte Verbindung durch das Lied der
Morgen- und Abendsänger gibt dem ganzen Gedicht jene gewissermaßen atmende
Wärme, die Theodor Storm gemeint hat, als er sagte: „Am vollendetsten
erscheint mir das Gedicht, dessen Wirkung zunächst eine sinnliche ist, aus der
sich dann die geistige von selbst ergibt, wie aus der Blute die Frucht." Und
ganz dasselbe gilt, wenn das Leben der Pflanze in diesen den Dichter immer
wieder fesselnden Wechsel hineingestellt wird:

Der Tulpenvnum hat über Nacht
All seine Blumen aufgemacht,
Die Weiße» Sterne leuchten weit
In ihrer keuschen Herrlichkeit.
Es ist, als Hätt'S die Nacht bedacht,
Was Liebes sie dein Tag vermacht,
Damit von ihrem Märchenglnnz
Ein Schimmer leb in seinem Ärnnz.
Er aber, überreich an Licht,
Bedarf der fremden Sterne nicht,
Und bald entblättert, schnell und sacht,
Das liebliche Geschenk der Nacht.

Wie im Wechsel der Stunden, so ist es auch darüber hinaus, in den:
Gleiten eines Menschenlebens immer wieder der Übergang von der Helle zur
Dunkelheit, dem Falles Träume gelten. Er hat den Tod so oft besungen, daß
er's wohl wagen kann, sich einmal von ihm ordentlich die Leviten lesen zu lassen.
Raunzend und schimpfend läßt der hohläugige Jägersmann den auf schläfriger
Wintersflur betroffnen Dichter also an:

Was hast du für ein Jammerbild
Bon mir den Menschen anfgeschwaljl!
Bald war ich wie ein Nönnchen mild,
Das ihren Abt zu Tode schmatzt.
Bald salbungsvoll wie ein Pastor,
Bald kindisch wie ein Großpapa,
So führtest du mich täglich vor.
Als wär' ich zur Belustigung da.
Haut war ich dir ein Trainhnsar
Und morgen ein Bnron im Frack,
Und einmal schobst dn mir sogar
Die Pfeif' ins Maul. Und der Tabak!

Aber trotz solcher Begegnung gestaltet der Dichter, dessen erstes Buch „Mynheer
der Tod" hieß, das tiefste Geheimnis unsres Lebens immer neu. Sei's, daß
er den Tod dem lorbeergelrvnten Sieger bei der zweiten Wettfährt den andern


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[0374] Gustav Falke Diese poetisch ebenso wirksame wie ungesuchte Verbindung durch das Lied der Morgen- und Abendsänger gibt dem ganzen Gedicht jene gewissermaßen atmende Wärme, die Theodor Storm gemeint hat, als er sagte: „Am vollendetsten erscheint mir das Gedicht, dessen Wirkung zunächst eine sinnliche ist, aus der sich dann die geistige von selbst ergibt, wie aus der Blute die Frucht." Und ganz dasselbe gilt, wenn das Leben der Pflanze in diesen den Dichter immer wieder fesselnden Wechsel hineingestellt wird: Der Tulpenvnum hat über Nacht All seine Blumen aufgemacht, Die Weiße» Sterne leuchten weit In ihrer keuschen Herrlichkeit. Es ist, als Hätt'S die Nacht bedacht, Was Liebes sie dein Tag vermacht, Damit von ihrem Märchenglnnz Ein Schimmer leb in seinem Ärnnz. Er aber, überreich an Licht, Bedarf der fremden Sterne nicht, Und bald entblättert, schnell und sacht, Das liebliche Geschenk der Nacht. Wie im Wechsel der Stunden, so ist es auch darüber hinaus, in den: Gleiten eines Menschenlebens immer wieder der Übergang von der Helle zur Dunkelheit, dem Falles Träume gelten. Er hat den Tod so oft besungen, daß er's wohl wagen kann, sich einmal von ihm ordentlich die Leviten lesen zu lassen. Raunzend und schimpfend läßt der hohläugige Jägersmann den auf schläfriger Wintersflur betroffnen Dichter also an: Was hast du für ein Jammerbild Bon mir den Menschen anfgeschwaljl! Bald war ich wie ein Nönnchen mild, Das ihren Abt zu Tode schmatzt. Bald salbungsvoll wie ein Pastor, Bald kindisch wie ein Großpapa, So führtest du mich täglich vor. Als wär' ich zur Belustigung da. Haut war ich dir ein Trainhnsar Und morgen ein Bnron im Frack, Und einmal schobst dn mir sogar Die Pfeif' ins Maul. Und der Tabak! Aber trotz solcher Begegnung gestaltet der Dichter, dessen erstes Buch „Mynheer der Tod" hieß, das tiefste Geheimnis unsres Lebens immer neu. Sei's, daß er den Tod dem lorbeergelrvnten Sieger bei der zweiten Wettfährt den andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/374>, abgerufen am 29.06.2024.