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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gustav Falk".'

Auch der Versuchung, sich durch das Hineinziehn der vortreffliche" Bestrebungen
des Volksheims die Handlung entgleiten zu lassen und sie zu einem sozialen
Programmroman auszurecken, hat Falke widerstanden. Das Volksheim, hübsch
und warm geschildert, bleibt der Hintergrund für die Menschen aus OHIsens
Gang, die nicht dazu angelegt sind, ihre Schicksale aufzudonnern, aber freilich
auch nicht mit dem Leben spielen, sondern es still und mit Selbstbescheidung
erfüllen und überwinden.

Gustav Falke hat schon sieben Bände Gedichte hinausgesandt, von denen
es schandenhalber noch keiner über die zweite Auflage gebracht hat. Das
Publikum hat merkwürdiger- oder bezeichnenderweise die starken und die schwachen
ganz gleich bewertet. Im sechsten Bande, der die Aufschrift "Hohe Sommer¬
tage" (1902) trägt, war Herbststimmung angedeutet, die nun in dem bisher
letzten, "Frohe Fracht" (1907), voll durchschlägt. Man muß von diesem besonders
sprechen, weil er einmal in einer ganzen Reihe schöner Gedichte den Meister
der früheren Jahre ungeschwächt zeigt, dann aber in ihm leise Linien einer
neuen Entwicklung gezogen sind.

Fahre, Schifflein, fahre,
Sterne über dir,
Früchte mancher Jahre
Trägt mein Schifflein mir.
War ein fröhlich Reifen
In durchsonntcm Raum,
War ein fröhlich Greifen
In den vollen Baum.

So setzt das Buch ein. Und dann mit Falles schalkhaftem Humor:

Der Zusammenhang mit der spendenden Natur, der hier schon durchklingt, geht
dem Dichter keinen Augenblick verloren; und niemals tut er der Natur Gewalt
an. so wenig er sich damit begnügt, sie abzuschreiben. Immer wieder werden
Tag und Nacht gegeneinander gestellt, die letzten und die ersten Stunden des
Tages sind Falke die liebsten.

Wrmdervoll, wie hier in dem dahinschwebenden letzten Schein eines Sommer¬
abendrots des Tages letzte blasse Rosen uns ansetzn. Und nun führt die
Handlung ohne Hast weiter in das Dunkel, aus dem heraus der Vogelsang ertönt:


Grenzboten II 1910 4"
Gustav Falk».'

Auch der Versuchung, sich durch das Hineinziehn der vortreffliche» Bestrebungen
des Volksheims die Handlung entgleiten zu lassen und sie zu einem sozialen
Programmroman auszurecken, hat Falke widerstanden. Das Volksheim, hübsch
und warm geschildert, bleibt der Hintergrund für die Menschen aus OHIsens
Gang, die nicht dazu angelegt sind, ihre Schicksale aufzudonnern, aber freilich
auch nicht mit dem Leben spielen, sondern es still und mit Selbstbescheidung
erfüllen und überwinden.

Gustav Falke hat schon sieben Bände Gedichte hinausgesandt, von denen
es schandenhalber noch keiner über die zweite Auflage gebracht hat. Das
Publikum hat merkwürdiger- oder bezeichnenderweise die starken und die schwachen
ganz gleich bewertet. Im sechsten Bande, der die Aufschrift „Hohe Sommer¬
tage" (1902) trägt, war Herbststimmung angedeutet, die nun in dem bisher
letzten, „Frohe Fracht" (1907), voll durchschlägt. Man muß von diesem besonders
sprechen, weil er einmal in einer ganzen Reihe schöner Gedichte den Meister
der früheren Jahre ungeschwächt zeigt, dann aber in ihm leise Linien einer
neuen Entwicklung gezogen sind.

Fahre, Schifflein, fahre,
Sterne über dir,
Früchte mancher Jahre
Trägt mein Schifflein mir.
War ein fröhlich Reifen
In durchsonntcm Raum,
War ein fröhlich Greifen
In den vollen Baum.

So setzt das Buch ein. Und dann mit Falles schalkhaftem Humor:

Der Zusammenhang mit der spendenden Natur, der hier schon durchklingt, geht
dem Dichter keinen Augenblick verloren; und niemals tut er der Natur Gewalt
an. so wenig er sich damit begnügt, sie abzuschreiben. Immer wieder werden
Tag und Nacht gegeneinander gestellt, die letzten und die ersten Stunden des
Tages sind Falke die liebsten.

Wrmdervoll, wie hier in dem dahinschwebenden letzten Schein eines Sommer¬
abendrots des Tages letzte blasse Rosen uns ansetzn. Und nun führt die
Handlung ohne Hast weiter in das Dunkel, aus dem heraus der Vogelsang ertönt:


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[0373] Gustav Falk».' Auch der Versuchung, sich durch das Hineinziehn der vortreffliche» Bestrebungen des Volksheims die Handlung entgleiten zu lassen und sie zu einem sozialen Programmroman auszurecken, hat Falke widerstanden. Das Volksheim, hübsch und warm geschildert, bleibt der Hintergrund für die Menschen aus OHIsens Gang, die nicht dazu angelegt sind, ihre Schicksale aufzudonnern, aber freilich auch nicht mit dem Leben spielen, sondern es still und mit Selbstbescheidung erfüllen und überwinden. Gustav Falke hat schon sieben Bände Gedichte hinausgesandt, von denen es schandenhalber noch keiner über die zweite Auflage gebracht hat. Das Publikum hat merkwürdiger- oder bezeichnenderweise die starken und die schwachen ganz gleich bewertet. Im sechsten Bande, der die Aufschrift „Hohe Sommer¬ tage" (1902) trägt, war Herbststimmung angedeutet, die nun in dem bisher letzten, „Frohe Fracht" (1907), voll durchschlägt. Man muß von diesem besonders sprechen, weil er einmal in einer ganzen Reihe schöner Gedichte den Meister der früheren Jahre ungeschwächt zeigt, dann aber in ihm leise Linien einer neuen Entwicklung gezogen sind. Fahre, Schifflein, fahre, Sterne über dir, Früchte mancher Jahre Trägt mein Schifflein mir. War ein fröhlich Reifen In durchsonntcm Raum, War ein fröhlich Greifen In den vollen Baum. So setzt das Buch ein. Und dann mit Falles schalkhaftem Humor: Der Zusammenhang mit der spendenden Natur, der hier schon durchklingt, geht dem Dichter keinen Augenblick verloren; und niemals tut er der Natur Gewalt an. so wenig er sich damit begnügt, sie abzuschreiben. Immer wieder werden Tag und Nacht gegeneinander gestellt, die letzten und die ersten Stunden des Tages sind Falke die liebsten. Wrmdervoll, wie hier in dem dahinschwebenden letzten Schein eines Sommer¬ abendrots des Tages letzte blasse Rosen uns ansetzn. Und nun führt die Handlung ohne Hast weiter in das Dunkel, aus dem heraus der Vogelsang ertönt: Grenzboten II 1910 4"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/373>, abgerufen am 28.09.2024.