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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gustav Falke

zum Beispiel kaum besser von sich aus neu gestalten, als Falke es in der
Widmung der "Neuen Fahrt" (1897) getan hat, wo er Richard Dehmels
Kunst so verbildlicht:


Aus eines Opferbeckens Bronzeteller steigt
Ein reines Feuer zum gestirnten Himmel auf.
Fünf Engel stehn als Wächter um die Weiße Flamme,
Fünf nackte Jünglinge mit lange", schwarzen Flügeln,
Bis ans die Erde reichen rings die Spitzenpaare.
Jeder stützt schweigend einen schlanken Schaft vor sich,
Der oben grünt und schwer voll reifer Früchte hängt,
Und jeden Schaft umringelt schillernd eine Schlange,
Die nach den Früchten züngelt. nascht sie aus dem Laube,
Fährt ein Erschauern durch des Hüters Nachtgefieder
Und krampft sein Antlitz jäh zu einer Maske
Zorniger Seelenpein, und blindlings zuckt der Wurm
Vor dem medusenhafton strengen Blick zurück.
Dann schaun die Fünf einander lächelnd an im Kreis.
Ein steter Wechsel ist es zwischen göttlicher
Gelassenheit und harter Qual auf ihren Stirnen,
Denn immer wieder züngelt Schlangengier nach oben,
Doch still und klar und heilig brennt die Weiße Flamme.

Das ist derselbe Gustav Falke, der in seinen Romanen und Erzählungen
unser Hamburger Kleinbürgertum leibhaft und lebhaft vorführt. Lange hat es
gedauert, bis er in dieser Form seinen Stil und seine Geltung fand. In all
seinen Prosabüchern, "Aus dem Durchschnitt" (1892), "Der Mann im Nebel"
(1899), waren einzelne Ausschnitte aus dem Leben und insbesondere aus dem
Hamburger Leben lebendig und wirksam, aber es fiel doch, auch in "Landen
und Stranden" (1895), seinem umfangreichsten Roman, den der Dichter noch
einmal umarbeiten will, alles in Einzelheiten auseinander. Erst in den "Kindern
aus Ohlsens Gang" (1908) sind die frühern Mängel überwunden, und nun in
Hamburg fest eingelebt, hat Falke auch seinen Stil für die Schilderung Ham¬
burger Lebens gefunden. Hamburger Lebens, nicht des Hamburger Lebens.
Gerade, weil in ältern Büchern die Bemühung, verschiedene auseinanderliegende
Kreise zu meistern, eine Unruhe mitbrachte, die den Werken nicht bekam, hat
sich Falke hier auf einen Kreis beschränkt und das Hamburger Kleinbürgertum,
das am Hafen lebt, mit dem Hafen zusammenhängt, sehr glücklich widergespiegelt.
Was auch einfache Schicksale in diesen Kreisen an der Wasserkante so häufig
aus dem gemeinen Lauf der Dinge heraushebt: daß sie nämlich immer verbunden
erscheinen mit Wasser und Meer, mit dem Strom und der überseeischen Schiff¬
fahrt, das prägt sich in Falles Erzählung fein und unaufdringlich aus. Wie
mit einem Silberstift, der nichts verniedlicht und nichts verzerrt, aber doch den
Dingen einen zartern Glanz verleiht, ist alles gezeichnet. So werden uns die
kleinen Schicksale dieser kleinen Leute, die ihnen doch große Schicksale sind, etwas,
und die Leute selbst werden uns vertraut, wie sie in völliger Echtheit dastehn,
dem Boden ihrer Schritte durchaus verwandt, in ihrer Sprechweise den Rest
von Seemannshumor, den der Hamburger Kleinbürger niemals verleugnet.


Gustav Falke

zum Beispiel kaum besser von sich aus neu gestalten, als Falke es in der
Widmung der „Neuen Fahrt" (1897) getan hat, wo er Richard Dehmels
Kunst so verbildlicht:


Aus eines Opferbeckens Bronzeteller steigt
Ein reines Feuer zum gestirnten Himmel auf.
Fünf Engel stehn als Wächter um die Weiße Flamme,
Fünf nackte Jünglinge mit lange», schwarzen Flügeln,
Bis ans die Erde reichen rings die Spitzenpaare.
Jeder stützt schweigend einen schlanken Schaft vor sich,
Der oben grünt und schwer voll reifer Früchte hängt,
Und jeden Schaft umringelt schillernd eine Schlange,
Die nach den Früchten züngelt. nascht sie aus dem Laube,
Fährt ein Erschauern durch des Hüters Nachtgefieder
Und krampft sein Antlitz jäh zu einer Maske
Zorniger Seelenpein, und blindlings zuckt der Wurm
Vor dem medusenhafton strengen Blick zurück.
Dann schaun die Fünf einander lächelnd an im Kreis.
Ein steter Wechsel ist es zwischen göttlicher
Gelassenheit und harter Qual auf ihren Stirnen,
Denn immer wieder züngelt Schlangengier nach oben,
Doch still und klar und heilig brennt die Weiße Flamme.

Das ist derselbe Gustav Falke, der in seinen Romanen und Erzählungen
unser Hamburger Kleinbürgertum leibhaft und lebhaft vorführt. Lange hat es
gedauert, bis er in dieser Form seinen Stil und seine Geltung fand. In all
seinen Prosabüchern, „Aus dem Durchschnitt" (1892), „Der Mann im Nebel"
(1899), waren einzelne Ausschnitte aus dem Leben und insbesondere aus dem
Hamburger Leben lebendig und wirksam, aber es fiel doch, auch in „Landen
und Stranden" (1895), seinem umfangreichsten Roman, den der Dichter noch
einmal umarbeiten will, alles in Einzelheiten auseinander. Erst in den „Kindern
aus Ohlsens Gang" (1908) sind die frühern Mängel überwunden, und nun in
Hamburg fest eingelebt, hat Falke auch seinen Stil für die Schilderung Ham¬
burger Lebens gefunden. Hamburger Lebens, nicht des Hamburger Lebens.
Gerade, weil in ältern Büchern die Bemühung, verschiedene auseinanderliegende
Kreise zu meistern, eine Unruhe mitbrachte, die den Werken nicht bekam, hat
sich Falke hier auf einen Kreis beschränkt und das Hamburger Kleinbürgertum,
das am Hafen lebt, mit dem Hafen zusammenhängt, sehr glücklich widergespiegelt.
Was auch einfache Schicksale in diesen Kreisen an der Wasserkante so häufig
aus dem gemeinen Lauf der Dinge heraushebt: daß sie nämlich immer verbunden
erscheinen mit Wasser und Meer, mit dem Strom und der überseeischen Schiff¬
fahrt, das prägt sich in Falles Erzählung fein und unaufdringlich aus. Wie
mit einem Silberstift, der nichts verniedlicht und nichts verzerrt, aber doch den
Dingen einen zartern Glanz verleiht, ist alles gezeichnet. So werden uns die
kleinen Schicksale dieser kleinen Leute, die ihnen doch große Schicksale sind, etwas,
und die Leute selbst werden uns vertraut, wie sie in völliger Echtheit dastehn,
dem Boden ihrer Schritte durchaus verwandt, in ihrer Sprechweise den Rest
von Seemannshumor, den der Hamburger Kleinbürger niemals verleugnet.


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[0372] Gustav Falke zum Beispiel kaum besser von sich aus neu gestalten, als Falke es in der Widmung der „Neuen Fahrt" (1897) getan hat, wo er Richard Dehmels Kunst so verbildlicht: Aus eines Opferbeckens Bronzeteller steigt Ein reines Feuer zum gestirnten Himmel auf. Fünf Engel stehn als Wächter um die Weiße Flamme, Fünf nackte Jünglinge mit lange», schwarzen Flügeln, Bis ans die Erde reichen rings die Spitzenpaare. Jeder stützt schweigend einen schlanken Schaft vor sich, Der oben grünt und schwer voll reifer Früchte hängt, Und jeden Schaft umringelt schillernd eine Schlange, Die nach den Früchten züngelt. nascht sie aus dem Laube, Fährt ein Erschauern durch des Hüters Nachtgefieder Und krampft sein Antlitz jäh zu einer Maske Zorniger Seelenpein, und blindlings zuckt der Wurm Vor dem medusenhafton strengen Blick zurück. Dann schaun die Fünf einander lächelnd an im Kreis. Ein steter Wechsel ist es zwischen göttlicher Gelassenheit und harter Qual auf ihren Stirnen, Denn immer wieder züngelt Schlangengier nach oben, Doch still und klar und heilig brennt die Weiße Flamme. Das ist derselbe Gustav Falke, der in seinen Romanen und Erzählungen unser Hamburger Kleinbürgertum leibhaft und lebhaft vorführt. Lange hat es gedauert, bis er in dieser Form seinen Stil und seine Geltung fand. In all seinen Prosabüchern, „Aus dem Durchschnitt" (1892), „Der Mann im Nebel" (1899), waren einzelne Ausschnitte aus dem Leben und insbesondere aus dem Hamburger Leben lebendig und wirksam, aber es fiel doch, auch in „Landen und Stranden" (1895), seinem umfangreichsten Roman, den der Dichter noch einmal umarbeiten will, alles in Einzelheiten auseinander. Erst in den „Kindern aus Ohlsens Gang" (1908) sind die frühern Mängel überwunden, und nun in Hamburg fest eingelebt, hat Falke auch seinen Stil für die Schilderung Ham¬ burger Lebens gefunden. Hamburger Lebens, nicht des Hamburger Lebens. Gerade, weil in ältern Büchern die Bemühung, verschiedene auseinanderliegende Kreise zu meistern, eine Unruhe mitbrachte, die den Werken nicht bekam, hat sich Falke hier auf einen Kreis beschränkt und das Hamburger Kleinbürgertum, das am Hafen lebt, mit dem Hafen zusammenhängt, sehr glücklich widergespiegelt. Was auch einfache Schicksale in diesen Kreisen an der Wasserkante so häufig aus dem gemeinen Lauf der Dinge heraushebt: daß sie nämlich immer verbunden erscheinen mit Wasser und Meer, mit dem Strom und der überseeischen Schiff¬ fahrt, das prägt sich in Falles Erzählung fein und unaufdringlich aus. Wie mit einem Silberstift, der nichts verniedlicht und nichts verzerrt, aber doch den Dingen einen zartern Glanz verleiht, ist alles gezeichnet. So werden uns die kleinen Schicksale dieser kleinen Leute, die ihnen doch große Schicksale sind, etwas, und die Leute selbst werden uns vertraut, wie sie in völliger Echtheit dastehn, dem Boden ihrer Schritte durchaus verwandt, in ihrer Sprechweise den Rest von Seemannshumor, den der Hamburger Kleinbürger niemals verleugnet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/372>, abgerufen am 29.06.2024.