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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gustav Falke

Gewiß, auch dieser Dichter wagt, "unbekümmert, wo wir landen", den
kecksten Flug; aber war er gleich gestern Schelm und heute Prophet -- immer
bleibt der Poet in seinem Sinne fromm. Geht ihm auch der Pendelschlag des
Herzens hin und her

er findet das tiefste Genügen erst in der Stille eines Sommerabends, da sich
ihm in der Nähe die Ferne auftut und er sein Glück zwischen Rosen und grünen
Ranken wie in einem Tempel umschlossen weiß. "Tausend Fäden", das
empfinden wir immer wieder, zittern in dieser Poesie bange mit. Schwere
Seelenkonflikte nahen sich auch diesem Poeten, und unverwischt, aber von zartestem
Dichtergriffel in die reinste Form gebannt, sprechen sie zu uns; denn das wollen
wir doch festhalten: Falke ist keineswegs ein Idylliker, der, wie unverständige
Leute meinen, einen ganz engen Bezirk hat und über die Zäune seines Gartens
nicht hinaussieht. Man kann ruhig in seinem Eigen bleiben und doch den Blick
für die Welt behalten und die Reflexe dieser Welt empfinden, wenn man eben
ein ganzer Dichter ist, wie Gustav Falke.

Weit hinten liegt die große Stadt,
Die graue Stadt in Dunst und Rauch.
Hier spielt im Wind das grüne Blatt
Und schaukelt sich im Morgenhauch.
Hier ist das Leben hold verstummt,
Träumt lieblich in sich selbst hinein;
Nur eine frühe Biene summt
Näschig um süsze Becherlein.
Und manchmal ein verwester Laut,
Wie fernen Meeres Wogenschlag.
Was dort um Mauern braust und brant,
Herr, führ's zu einem klaren Tag!

So dichtet nicht jemand, der an Goldregen und Georginen sein Genügen
hat, aber so kann jemand dichten, der gleichzeitig in den Lauten seiner platt¬
deutschen Muttersprache "Lüde Ursel, lüll Snursel" zappeln läßt ("En Handvull
Appeln" 1906) und mit dem "Gestiefelter Kater" (Epos. 1904) auf Märcheu-
flureu so gut Bescheid weiß, als wären's die Hamburger Walddörfer. Wie
weit Falles Weltblick, seine poetische Gabe, auch Fremdes in sich hineinzuziehen
und wie ein Edelstein gefaßt wiederzugeben, reicht, das zeigt sein Mitgehn
gegenüber fremder Größe. Gustav Falke teilt mit zwei sehr ungleichen Vettern,
Paul Heyse und Liliencron, die Gabe, Kunstgenossen von ganz andrer Art
sicher und fein zu charakterisieren. Man kann den Gestalter Richard Dehmel


Gustav Falke

Gewiß, auch dieser Dichter wagt, „unbekümmert, wo wir landen", den
kecksten Flug; aber war er gleich gestern Schelm und heute Prophet — immer
bleibt der Poet in seinem Sinne fromm. Geht ihm auch der Pendelschlag des
Herzens hin und her

er findet das tiefste Genügen erst in der Stille eines Sommerabends, da sich
ihm in der Nähe die Ferne auftut und er sein Glück zwischen Rosen und grünen
Ranken wie in einem Tempel umschlossen weiß. „Tausend Fäden", das
empfinden wir immer wieder, zittern in dieser Poesie bange mit. Schwere
Seelenkonflikte nahen sich auch diesem Poeten, und unverwischt, aber von zartestem
Dichtergriffel in die reinste Form gebannt, sprechen sie zu uns; denn das wollen
wir doch festhalten: Falke ist keineswegs ein Idylliker, der, wie unverständige
Leute meinen, einen ganz engen Bezirk hat und über die Zäune seines Gartens
nicht hinaussieht. Man kann ruhig in seinem Eigen bleiben und doch den Blick
für die Welt behalten und die Reflexe dieser Welt empfinden, wenn man eben
ein ganzer Dichter ist, wie Gustav Falke.

Weit hinten liegt die große Stadt,
Die graue Stadt in Dunst und Rauch.
Hier spielt im Wind das grüne Blatt
Und schaukelt sich im Morgenhauch.
Hier ist das Leben hold verstummt,
Träumt lieblich in sich selbst hinein;
Nur eine frühe Biene summt
Näschig um süsze Becherlein.
Und manchmal ein verwester Laut,
Wie fernen Meeres Wogenschlag.
Was dort um Mauern braust und brant,
Herr, führ's zu einem klaren Tag!

So dichtet nicht jemand, der an Goldregen und Georginen sein Genügen
hat, aber so kann jemand dichten, der gleichzeitig in den Lauten seiner platt¬
deutschen Muttersprache „Lüde Ursel, lüll Snursel" zappeln läßt („En Handvull
Appeln" 1906) und mit dem „Gestiefelter Kater" (Epos. 1904) auf Märcheu-
flureu so gut Bescheid weiß, als wären's die Hamburger Walddörfer. Wie
weit Falles Weltblick, seine poetische Gabe, auch Fremdes in sich hineinzuziehen
und wie ein Edelstein gefaßt wiederzugeben, reicht, das zeigt sein Mitgehn
gegenüber fremder Größe. Gustav Falke teilt mit zwei sehr ungleichen Vettern,
Paul Heyse und Liliencron, die Gabe, Kunstgenossen von ganz andrer Art
sicher und fein zu charakterisieren. Man kann den Gestalter Richard Dehmel


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[0371] Gustav Falke Gewiß, auch dieser Dichter wagt, „unbekümmert, wo wir landen", den kecksten Flug; aber war er gleich gestern Schelm und heute Prophet — immer bleibt der Poet in seinem Sinne fromm. Geht ihm auch der Pendelschlag des Herzens hin und her er findet das tiefste Genügen erst in der Stille eines Sommerabends, da sich ihm in der Nähe die Ferne auftut und er sein Glück zwischen Rosen und grünen Ranken wie in einem Tempel umschlossen weiß. „Tausend Fäden", das empfinden wir immer wieder, zittern in dieser Poesie bange mit. Schwere Seelenkonflikte nahen sich auch diesem Poeten, und unverwischt, aber von zartestem Dichtergriffel in die reinste Form gebannt, sprechen sie zu uns; denn das wollen wir doch festhalten: Falke ist keineswegs ein Idylliker, der, wie unverständige Leute meinen, einen ganz engen Bezirk hat und über die Zäune seines Gartens nicht hinaussieht. Man kann ruhig in seinem Eigen bleiben und doch den Blick für die Welt behalten und die Reflexe dieser Welt empfinden, wenn man eben ein ganzer Dichter ist, wie Gustav Falke. Weit hinten liegt die große Stadt, Die graue Stadt in Dunst und Rauch. Hier spielt im Wind das grüne Blatt Und schaukelt sich im Morgenhauch. Hier ist das Leben hold verstummt, Träumt lieblich in sich selbst hinein; Nur eine frühe Biene summt Näschig um süsze Becherlein. Und manchmal ein verwester Laut, Wie fernen Meeres Wogenschlag. Was dort um Mauern braust und brant, Herr, führ's zu einem klaren Tag! So dichtet nicht jemand, der an Goldregen und Georginen sein Genügen hat, aber so kann jemand dichten, der gleichzeitig in den Lauten seiner platt¬ deutschen Muttersprache „Lüde Ursel, lüll Snursel" zappeln läßt („En Handvull Appeln" 1906) und mit dem „Gestiefelter Kater" (Epos. 1904) auf Märcheu- flureu so gut Bescheid weiß, als wären's die Hamburger Walddörfer. Wie weit Falles Weltblick, seine poetische Gabe, auch Fremdes in sich hineinzuziehen und wie ein Edelstein gefaßt wiederzugeben, reicht, das zeigt sein Mitgehn gegenüber fremder Größe. Gustav Falke teilt mit zwei sehr ungleichen Vettern, Paul Heyse und Liliencron, die Gabe, Kunstgenossen von ganz andrer Art sicher und fein zu charakterisieren. Man kann den Gestalter Richard Dehmel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/371>, abgerufen am 29.06.2024.