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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gustav Falke

in Detlev von Liliencron untergegangen; noch deutlicher fast als sein erstes
Buch zeigen es das zweite und das dritte. Aber die Feuertaufe hat ihm das
Haar nicht gesengt. Schon da, wo er nur wie ein jüngerer Liliencron erscheint --
und das ist in einigen Gedichten immerhin der Fall --, tönt noch ein Klang
mit hinein, den Liliencron nicht hat, und der ein Auftakt ist für Falles
ganz eigne Melodie, die sich von Jahr zu Jahr klarer heraustost und schon in
dem Buch "Tanz und Andacht" (1893) als unverwechselbare Eigenart durch¬
gedrungen ist. Man kann in den: Ausbau eines einzigen Gedichtes schon dieses
langsame Hinfinden zum eignen Ton belauschen. Da ist das zweite Stück in
"Mynheer der Tod" (1891) "Die Equipage". Eine alte Exzellenz und ein
junges Mädchen, eben erst flügge, werden von dem Tod, der an Stelle des
Kutschers das vornehme Gefährt bestiegen hat, einhergeschleift:


Breitbeinig steht der Tod, weit vorgebeugt,
Ein Muschellenker, der sein Wettgespann
Um Kranz und Gloria durch die Rennbahn kreist.
In harter Knochenfaust die straffen Zügel,
Und mit der andern weitausholenden Schwunges
Der Peitsche schlangenschmeidige Geiszelschnur
Den bangen Tieren um die Ohren klatschend,
Scheint er ganz Lust, im hellen, harten Blick
Des kränzesichern Sieges Übermut,
Und um den Mund, daraus die feste Mauer
Des prächtigsten Gebisses blitzt und lacht,
Ein schlächterhaft brutales, breites Grinsen.

Niemand wird in dieser Schilderung die Spur Detlevs von Liliencron
verkennen, nur daß dieser als echter Schleswig-Holsteiner "schlachterhaft" statt
."schlächterhaft" gesagt hätte. Und nun der Schluß:


Die wilde Jagd verschlingt ein Tannenwäldchen.
In Staub und Glut der Straße aber liegt
Hellschimmernd eine weihe Rosenknospe,
Erschlossen kaum, feuchtwarm der zarte Stengel,
Als hätt' noch eben eine heiße Hand
Die Todgeweihte lebensfroh umfaßt.
Der laue Mittagswind streicht drüber hin,
Ein scharlachfarbner, eiliger Schmetterling,
Sich überhastend, gaukelt leicht vorüber,
Kehrt wieder, ruht wie müde eine Weile,
Mattflügelnd, auf dem Blütenbett sich aus
Und nimmt den Weg ins übersonnte Feld
Schnittreifen Hafers, das der Friede küßt
Und wolkenlose Bläue überdacht.

Das ist es. Liliencron wird von seinem ewig stürmenden Herzen zu
immer neuen Kämpfen gedrängt, während kaum die alten ihren vollen Austrag
und Ausklang gefunden haben; Falke versteht es immer wieder, auf den Wegen
zum Ziel seiner Sehnsucht eine Ruhebank zu finden, einen Punkt im treibenden
Hasten, der ihm Glückes genug gewährt. So wird ihm der Friedhof, auf dem
er doch einst mit dem Freunde den Tod von Kreuz zu Kreuz hüpfen sah, ein
wahrer Ort des Friedens:


Gustav Falke

in Detlev von Liliencron untergegangen; noch deutlicher fast als sein erstes
Buch zeigen es das zweite und das dritte. Aber die Feuertaufe hat ihm das
Haar nicht gesengt. Schon da, wo er nur wie ein jüngerer Liliencron erscheint —
und das ist in einigen Gedichten immerhin der Fall —, tönt noch ein Klang
mit hinein, den Liliencron nicht hat, und der ein Auftakt ist für Falles
ganz eigne Melodie, die sich von Jahr zu Jahr klarer heraustost und schon in
dem Buch „Tanz und Andacht" (1893) als unverwechselbare Eigenart durch¬
gedrungen ist. Man kann in den: Ausbau eines einzigen Gedichtes schon dieses
langsame Hinfinden zum eignen Ton belauschen. Da ist das zweite Stück in
„Mynheer der Tod" (1891) „Die Equipage". Eine alte Exzellenz und ein
junges Mädchen, eben erst flügge, werden von dem Tod, der an Stelle des
Kutschers das vornehme Gefährt bestiegen hat, einhergeschleift:


Breitbeinig steht der Tod, weit vorgebeugt,
Ein Muschellenker, der sein Wettgespann
Um Kranz und Gloria durch die Rennbahn kreist.
In harter Knochenfaust die straffen Zügel,
Und mit der andern weitausholenden Schwunges
Der Peitsche schlangenschmeidige Geiszelschnur
Den bangen Tieren um die Ohren klatschend,
Scheint er ganz Lust, im hellen, harten Blick
Des kränzesichern Sieges Übermut,
Und um den Mund, daraus die feste Mauer
Des prächtigsten Gebisses blitzt und lacht,
Ein schlächterhaft brutales, breites Grinsen.

Niemand wird in dieser Schilderung die Spur Detlevs von Liliencron
verkennen, nur daß dieser als echter Schleswig-Holsteiner „schlachterhaft" statt
.„schlächterhaft" gesagt hätte. Und nun der Schluß:


Die wilde Jagd verschlingt ein Tannenwäldchen.
In Staub und Glut der Straße aber liegt
Hellschimmernd eine weihe Rosenknospe,
Erschlossen kaum, feuchtwarm der zarte Stengel,
Als hätt' noch eben eine heiße Hand
Die Todgeweihte lebensfroh umfaßt.
Der laue Mittagswind streicht drüber hin,
Ein scharlachfarbner, eiliger Schmetterling,
Sich überhastend, gaukelt leicht vorüber,
Kehrt wieder, ruht wie müde eine Weile,
Mattflügelnd, auf dem Blütenbett sich aus
Und nimmt den Weg ins übersonnte Feld
Schnittreifen Hafers, das der Friede küßt
Und wolkenlose Bläue überdacht.

Das ist es. Liliencron wird von seinem ewig stürmenden Herzen zu
immer neuen Kämpfen gedrängt, während kaum die alten ihren vollen Austrag
und Ausklang gefunden haben; Falke versteht es immer wieder, auf den Wegen
zum Ziel seiner Sehnsucht eine Ruhebank zu finden, einen Punkt im treibenden
Hasten, der ihm Glückes genug gewährt. So wird ihm der Friedhof, auf dem
er doch einst mit dem Freunde den Tod von Kreuz zu Kreuz hüpfen sah, ein
wahrer Ort des Friedens:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/370>, abgerufen am 29.06.2024.