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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gustav Falke

nach einem Dichter suchen, der die schwierige Kunst der Titelfindung mit solcher
Feinheit und solcher Treffsicherheit zu handhaben versteht*).

Es sind nicht allzu viele Dichter der deutschen Gegenwart, die gefahrlos
ein solches Bild hinstellen dürfen, weil sie selbst stets der Fechterposen bar
waren und von allem Anfang ihres Schaffens bis zur Reife der Kraft immer
nur als ehrliche und in bestimmtem Sinne dumbe Kämpen ihre Schlachten
bestanden haben. Gustav Falke aber darf mit Wahrheit auf der Höhe seines
farbig reizvollen, mehr gerühmten als wirklich gekannten Schaffens solchen Kranz
für sich beanspruchen. Der Beginn seines dichterischen Aufstiegs fiel noch in die
laute Zeit wilder Befehdung zwischen alt und neu; und wenn er auch nicht
"dieses laue Händedrücken, abgemessene Verneigen" kannte, sondern lieber "Hände
hinterm Rücken" frei und ehrlich Farbe zeigte, so blieb Falke doch dem
journalisttschen Nahkampfe, dem literarischen Richtungshader fern -- so sehr wußte
der damals schon durchgebildete Künstler und Mann, daß seine Rosen in anderm
Streite zu pflücken waren als im Leben des Marktes.

In den ältesten Dichtungen Carolaths, um auf diesen Vergleich noch einmal
zurückzukommen, war ein Einfluß Heinrich Heines festzustellen: ganz im Gegensatz
dazu fehlt dieser Einschlag bei Gustav Falke nicht nur vollständig, sondern er
gehört zu den früher sehr seltnen, jetzt schon zahlreicheren Lyrikern, die über¬
haupt unter Heines Einfluß niemals gestanden haben, und er hat den in unsrer
Zeit wahrlich großen Mut besessen, zu gestehn, daß die Dichter, die er liebe,
alle andre Gesichter trügen. Er hat Namen dabei nicht genannt, aber wenn
wir in seine Werke hineinschauen, so finden wir, daß er an zwei Dichtern vor
allem sich geschult hat. an Mörike und Liliencron. Falke hat einmal in einer
selbstbiographischen Skizze gesagt, er könne eine ganze Abhandlung über sein
Verhältnis zu Liliencron schreiben; er täte dies aber nicht und müsse es schon
seinen Kritikern überlassen, die Beeinflussung herauszufinden. Wenn wir dieser
Anregung folgen, so möchte ich da, fern jeder nach Parallelen forschenden
Pedanterie, folgendes sagen: je öfter ich Falke und Liliencron lese, um so mehr
stellt sich mir das Verhältnis des Jüngern zum Ältern so dar -- ich meine
natürlich das dichterische Verhältnis -- wie das von Friedrich Hebbel zu Ludwig
Wand. Mit Bezug hierauf hat Hebbel selbst einmal folgendes gesagt: "Ich
habe die Erfahrung gemacht, daß jeder tüchtige Mensch in einem großen Mann
untergehn muß, wenn er jemals zur Selbsterkenntnis und zum sichern Gebrauch
seiner Kraft gelangen will; ein Prophet tauft den zweiten, und wem diese
Feuertaufe das Haar sengt, der war nicht berufen!" So ist Gustav Falke einst



") Gustab Falles Werte erscheinen bei Alfred Jnnssen in Hamburg. Nur ein Buch
"Dorten und andre Erzählungen" ist bei Mar. Hesse in Leipzig herausgekommen.
Gustav Falke

nach einem Dichter suchen, der die schwierige Kunst der Titelfindung mit solcher
Feinheit und solcher Treffsicherheit zu handhaben versteht*).

Es sind nicht allzu viele Dichter der deutschen Gegenwart, die gefahrlos
ein solches Bild hinstellen dürfen, weil sie selbst stets der Fechterposen bar
waren und von allem Anfang ihres Schaffens bis zur Reife der Kraft immer
nur als ehrliche und in bestimmtem Sinne dumbe Kämpen ihre Schlachten
bestanden haben. Gustav Falke aber darf mit Wahrheit auf der Höhe seines
farbig reizvollen, mehr gerühmten als wirklich gekannten Schaffens solchen Kranz
für sich beanspruchen. Der Beginn seines dichterischen Aufstiegs fiel noch in die
laute Zeit wilder Befehdung zwischen alt und neu; und wenn er auch nicht
„dieses laue Händedrücken, abgemessene Verneigen" kannte, sondern lieber „Hände
hinterm Rücken" frei und ehrlich Farbe zeigte, so blieb Falke doch dem
journalisttschen Nahkampfe, dem literarischen Richtungshader fern — so sehr wußte
der damals schon durchgebildete Künstler und Mann, daß seine Rosen in anderm
Streite zu pflücken waren als im Leben des Marktes.

In den ältesten Dichtungen Carolaths, um auf diesen Vergleich noch einmal
zurückzukommen, war ein Einfluß Heinrich Heines festzustellen: ganz im Gegensatz
dazu fehlt dieser Einschlag bei Gustav Falke nicht nur vollständig, sondern er
gehört zu den früher sehr seltnen, jetzt schon zahlreicheren Lyrikern, die über¬
haupt unter Heines Einfluß niemals gestanden haben, und er hat den in unsrer
Zeit wahrlich großen Mut besessen, zu gestehn, daß die Dichter, die er liebe,
alle andre Gesichter trügen. Er hat Namen dabei nicht genannt, aber wenn
wir in seine Werke hineinschauen, so finden wir, daß er an zwei Dichtern vor
allem sich geschult hat. an Mörike und Liliencron. Falke hat einmal in einer
selbstbiographischen Skizze gesagt, er könne eine ganze Abhandlung über sein
Verhältnis zu Liliencron schreiben; er täte dies aber nicht und müsse es schon
seinen Kritikern überlassen, die Beeinflussung herauszufinden. Wenn wir dieser
Anregung folgen, so möchte ich da, fern jeder nach Parallelen forschenden
Pedanterie, folgendes sagen: je öfter ich Falke und Liliencron lese, um so mehr
stellt sich mir das Verhältnis des Jüngern zum Ältern so dar — ich meine
natürlich das dichterische Verhältnis — wie das von Friedrich Hebbel zu Ludwig
Wand. Mit Bezug hierauf hat Hebbel selbst einmal folgendes gesagt: „Ich
habe die Erfahrung gemacht, daß jeder tüchtige Mensch in einem großen Mann
untergehn muß, wenn er jemals zur Selbsterkenntnis und zum sichern Gebrauch
seiner Kraft gelangen will; ein Prophet tauft den zweiten, und wem diese
Feuertaufe das Haar sengt, der war nicht berufen!" So ist Gustav Falke einst



") Gustab Falles Werte erscheinen bei Alfred Jnnssen in Hamburg. Nur ein Buch
«Dorten und andre Erzählungen" ist bei Mar. Hesse in Leipzig herausgekommen.
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[0369] Gustav Falke nach einem Dichter suchen, der die schwierige Kunst der Titelfindung mit solcher Feinheit und solcher Treffsicherheit zu handhaben versteht*). Es sind nicht allzu viele Dichter der deutschen Gegenwart, die gefahrlos ein solches Bild hinstellen dürfen, weil sie selbst stets der Fechterposen bar waren und von allem Anfang ihres Schaffens bis zur Reife der Kraft immer nur als ehrliche und in bestimmtem Sinne dumbe Kämpen ihre Schlachten bestanden haben. Gustav Falke aber darf mit Wahrheit auf der Höhe seines farbig reizvollen, mehr gerühmten als wirklich gekannten Schaffens solchen Kranz für sich beanspruchen. Der Beginn seines dichterischen Aufstiegs fiel noch in die laute Zeit wilder Befehdung zwischen alt und neu; und wenn er auch nicht „dieses laue Händedrücken, abgemessene Verneigen" kannte, sondern lieber „Hände hinterm Rücken" frei und ehrlich Farbe zeigte, so blieb Falke doch dem journalisttschen Nahkampfe, dem literarischen Richtungshader fern — so sehr wußte der damals schon durchgebildete Künstler und Mann, daß seine Rosen in anderm Streite zu pflücken waren als im Leben des Marktes. In den ältesten Dichtungen Carolaths, um auf diesen Vergleich noch einmal zurückzukommen, war ein Einfluß Heinrich Heines festzustellen: ganz im Gegensatz dazu fehlt dieser Einschlag bei Gustav Falke nicht nur vollständig, sondern er gehört zu den früher sehr seltnen, jetzt schon zahlreicheren Lyrikern, die über¬ haupt unter Heines Einfluß niemals gestanden haben, und er hat den in unsrer Zeit wahrlich großen Mut besessen, zu gestehn, daß die Dichter, die er liebe, alle andre Gesichter trügen. Er hat Namen dabei nicht genannt, aber wenn wir in seine Werke hineinschauen, so finden wir, daß er an zwei Dichtern vor allem sich geschult hat. an Mörike und Liliencron. Falke hat einmal in einer selbstbiographischen Skizze gesagt, er könne eine ganze Abhandlung über sein Verhältnis zu Liliencron schreiben; er täte dies aber nicht und müsse es schon seinen Kritikern überlassen, die Beeinflussung herauszufinden. Wenn wir dieser Anregung folgen, so möchte ich da, fern jeder nach Parallelen forschenden Pedanterie, folgendes sagen: je öfter ich Falke und Liliencron lese, um so mehr stellt sich mir das Verhältnis des Jüngern zum Ältern so dar — ich meine natürlich das dichterische Verhältnis — wie das von Friedrich Hebbel zu Ludwig Wand. Mit Bezug hierauf hat Hebbel selbst einmal folgendes gesagt: „Ich habe die Erfahrung gemacht, daß jeder tüchtige Mensch in einem großen Mann untergehn muß, wenn er jemals zur Selbsterkenntnis und zum sichern Gebrauch seiner Kraft gelangen will; ein Prophet tauft den zweiten, und wem diese Feuertaufe das Haar sengt, der war nicht berufen!" So ist Gustav Falke einst ") Gustab Falles Werte erscheinen bei Alfred Jnnssen in Hamburg. Nur ein Buch «Dorten und andre Erzählungen" ist bei Mar. Hesse in Leipzig herausgekommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/369>, abgerufen am 29.06.2024.