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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gustav Falke

Hauptstädten arbeiteten. In den letzten Jahren aber hat sich das Bild wieder
völlig verändert, und es ist gewiß ein Zeichen des Fortschritts und gesunder
Entwicklung, daß immer neue Mittelpunkte entstehn und sich um diese ein
buntes Leben kristallisiert. Hamburg, das zwar immer den einen oder den
andern bedeutenden Schriftsteller beherbergte, hat im letzten Jahrzehnt an
Bedeutung in diesem Sinne mehr und mehr gewonnen und ist heute auf dem
Wege, wenn nicht schon an dem Ziele, die Stellung wieder zu gewinnen, die
es einmal, in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, besaß. Eine
Fülle älterer und jüngerer Kräfte ist in der größten deutschen Handelsstadt
heimisch geworden, auch ohne ihr durch Geburt anzugehören, und da, wo
Leben ist, auch Leben hinzukommt, so ergibt ein Studium des geistigen Hamburgs
der Gegenwart einen beim ersten Blick überraschenden Farbenreichtum literarischen
und dichterischen Lebens. Ja, wenn man, wie man's tun muß, den Umkreis
der großen Stadt und ihre Nachbarstädte hinzurechnet, so findet man, daß
Hamburgs Bannmeile nun schon seit Jahren die Heimat einer Reihe von
Dichtern ersten Ranges geworden ist, wie sie sich jetzt in keiner andern deutschen
Stadt mehr zusammenfindet. Wenn man Detlev von Liliencron, den zu früh
Entrissenen, der uns doch noch mit seiner Persönlichkeit lebt, Richard Dehmel
und Gustav Falke, alle drei Bürger Hamburger Vororte, aus der deutschen
Lyrik der Gegenwart ausstriche, so würde nichts imstande sein, die Töne zu
ersetzen, die uns dann fehlten.

Gustav Falke ist 1853 in Lübeck geboren, reiht sich also zeitlich noch den
Dichtern des Übergangs vom Alten zum Neuen an, die als einsame Kämpfer
zwischen den Schlachten standen: Wildenbruch, Hoffmann, Alberta von Puttkamer,
Schönaich-Carolath; trotzdem gehört er im Gegensatz zu dem ihm persönlich
verbunden gewesenen und in manchem verwandten, um ein Jahr älteren Carolath
bereits ganz zur nächsten Generation. Das spricht sich deutlich schon in zwei
Zahlen aus: Carolaths erster Gedichtband erschien 1878, also längst, bevor die
jüngste Bewegung einsetzte -- Falles erster Band 1891, mitten im Werden neuer
Kräfte. Der Poet, der am Ende des vierten Jahrzehnts seines Lebens stand,
hatte schon wieder aus Süddeutschland den Weg nach dem Norden gefunden;
der Sohn Lübecks war in Hamburg heimisch geworden. Durch den Buchhandel,
wie bei Wilhelm Raabe, ging bei ihm der Weg zum Schriftsteller, und als
nun seine ersten Gedichte erschienen, da wirkten sie durchaus als neue Kunst
und fanden eine Begrüßung voll hinreißender Liebe bei Detlev von Liliencron,
dem Falke dann die erste Ernte gesammelt darbrachte. Der Band hieß:
"Mynheer der Tod", und es darf gleich hier gesagt werden, daß Falke es wie
wenige verstanden hat, seinen Werken schlichte und doch eigenartige Titel zu
geben, die sich dem Kenner sofort und für immer einprägen: "Mynheer der Tod",
"Tanz und Andacht", "Zwischen zwei Nächten", "Neue Fahrt", "Mit dem
Leben", "Hohe Sommertage", "Frohe Fracht"; dazu Prosabücher: "Aus dem
Durchschnitt", "Landen und Stranden", "Der Mann im Nebel" -- man soll noch


Gustav Falke

Hauptstädten arbeiteten. In den letzten Jahren aber hat sich das Bild wieder
völlig verändert, und es ist gewiß ein Zeichen des Fortschritts und gesunder
Entwicklung, daß immer neue Mittelpunkte entstehn und sich um diese ein
buntes Leben kristallisiert. Hamburg, das zwar immer den einen oder den
andern bedeutenden Schriftsteller beherbergte, hat im letzten Jahrzehnt an
Bedeutung in diesem Sinne mehr und mehr gewonnen und ist heute auf dem
Wege, wenn nicht schon an dem Ziele, die Stellung wieder zu gewinnen, die
es einmal, in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, besaß. Eine
Fülle älterer und jüngerer Kräfte ist in der größten deutschen Handelsstadt
heimisch geworden, auch ohne ihr durch Geburt anzugehören, und da, wo
Leben ist, auch Leben hinzukommt, so ergibt ein Studium des geistigen Hamburgs
der Gegenwart einen beim ersten Blick überraschenden Farbenreichtum literarischen
und dichterischen Lebens. Ja, wenn man, wie man's tun muß, den Umkreis
der großen Stadt und ihre Nachbarstädte hinzurechnet, so findet man, daß
Hamburgs Bannmeile nun schon seit Jahren die Heimat einer Reihe von
Dichtern ersten Ranges geworden ist, wie sie sich jetzt in keiner andern deutschen
Stadt mehr zusammenfindet. Wenn man Detlev von Liliencron, den zu früh
Entrissenen, der uns doch noch mit seiner Persönlichkeit lebt, Richard Dehmel
und Gustav Falke, alle drei Bürger Hamburger Vororte, aus der deutschen
Lyrik der Gegenwart ausstriche, so würde nichts imstande sein, die Töne zu
ersetzen, die uns dann fehlten.

Gustav Falke ist 1853 in Lübeck geboren, reiht sich also zeitlich noch den
Dichtern des Übergangs vom Alten zum Neuen an, die als einsame Kämpfer
zwischen den Schlachten standen: Wildenbruch, Hoffmann, Alberta von Puttkamer,
Schönaich-Carolath; trotzdem gehört er im Gegensatz zu dem ihm persönlich
verbunden gewesenen und in manchem verwandten, um ein Jahr älteren Carolath
bereits ganz zur nächsten Generation. Das spricht sich deutlich schon in zwei
Zahlen aus: Carolaths erster Gedichtband erschien 1878, also längst, bevor die
jüngste Bewegung einsetzte — Falles erster Band 1891, mitten im Werden neuer
Kräfte. Der Poet, der am Ende des vierten Jahrzehnts seines Lebens stand,
hatte schon wieder aus Süddeutschland den Weg nach dem Norden gefunden;
der Sohn Lübecks war in Hamburg heimisch geworden. Durch den Buchhandel,
wie bei Wilhelm Raabe, ging bei ihm der Weg zum Schriftsteller, und als
nun seine ersten Gedichte erschienen, da wirkten sie durchaus als neue Kunst
und fanden eine Begrüßung voll hinreißender Liebe bei Detlev von Liliencron,
dem Falke dann die erste Ernte gesammelt darbrachte. Der Band hieß:
„Mynheer der Tod", und es darf gleich hier gesagt werden, daß Falke es wie
wenige verstanden hat, seinen Werken schlichte und doch eigenartige Titel zu
geben, die sich dem Kenner sofort und für immer einprägen: „Mynheer der Tod",
„Tanz und Andacht", „Zwischen zwei Nächten", „Neue Fahrt", „Mit dem
Leben", „Hohe Sommertage", „Frohe Fracht"; dazu Prosabücher: „Aus dem
Durchschnitt", „Landen und Stranden", „Der Mann im Nebel" — man soll noch


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[0368] Gustav Falke Hauptstädten arbeiteten. In den letzten Jahren aber hat sich das Bild wieder völlig verändert, und es ist gewiß ein Zeichen des Fortschritts und gesunder Entwicklung, daß immer neue Mittelpunkte entstehn und sich um diese ein buntes Leben kristallisiert. Hamburg, das zwar immer den einen oder den andern bedeutenden Schriftsteller beherbergte, hat im letzten Jahrzehnt an Bedeutung in diesem Sinne mehr und mehr gewonnen und ist heute auf dem Wege, wenn nicht schon an dem Ziele, die Stellung wieder zu gewinnen, die es einmal, in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, besaß. Eine Fülle älterer und jüngerer Kräfte ist in der größten deutschen Handelsstadt heimisch geworden, auch ohne ihr durch Geburt anzugehören, und da, wo Leben ist, auch Leben hinzukommt, so ergibt ein Studium des geistigen Hamburgs der Gegenwart einen beim ersten Blick überraschenden Farbenreichtum literarischen und dichterischen Lebens. Ja, wenn man, wie man's tun muß, den Umkreis der großen Stadt und ihre Nachbarstädte hinzurechnet, so findet man, daß Hamburgs Bannmeile nun schon seit Jahren die Heimat einer Reihe von Dichtern ersten Ranges geworden ist, wie sie sich jetzt in keiner andern deutschen Stadt mehr zusammenfindet. Wenn man Detlev von Liliencron, den zu früh Entrissenen, der uns doch noch mit seiner Persönlichkeit lebt, Richard Dehmel und Gustav Falke, alle drei Bürger Hamburger Vororte, aus der deutschen Lyrik der Gegenwart ausstriche, so würde nichts imstande sein, die Töne zu ersetzen, die uns dann fehlten. Gustav Falke ist 1853 in Lübeck geboren, reiht sich also zeitlich noch den Dichtern des Übergangs vom Alten zum Neuen an, die als einsame Kämpfer zwischen den Schlachten standen: Wildenbruch, Hoffmann, Alberta von Puttkamer, Schönaich-Carolath; trotzdem gehört er im Gegensatz zu dem ihm persönlich verbunden gewesenen und in manchem verwandten, um ein Jahr älteren Carolath bereits ganz zur nächsten Generation. Das spricht sich deutlich schon in zwei Zahlen aus: Carolaths erster Gedichtband erschien 1878, also längst, bevor die jüngste Bewegung einsetzte — Falles erster Band 1891, mitten im Werden neuer Kräfte. Der Poet, der am Ende des vierten Jahrzehnts seines Lebens stand, hatte schon wieder aus Süddeutschland den Weg nach dem Norden gefunden; der Sohn Lübecks war in Hamburg heimisch geworden. Durch den Buchhandel, wie bei Wilhelm Raabe, ging bei ihm der Weg zum Schriftsteller, und als nun seine ersten Gedichte erschienen, da wirkten sie durchaus als neue Kunst und fanden eine Begrüßung voll hinreißender Liebe bei Detlev von Liliencron, dem Falke dann die erste Ernte gesammelt darbrachte. Der Band hieß: „Mynheer der Tod", und es darf gleich hier gesagt werden, daß Falke es wie wenige verstanden hat, seinen Werken schlichte und doch eigenartige Titel zu geben, die sich dem Kenner sofort und für immer einprägen: „Mynheer der Tod", „Tanz und Andacht", „Zwischen zwei Nächten", „Neue Fahrt", „Mit dem Leben", „Hohe Sommertage", „Frohe Fracht"; dazu Prosabücher: „Aus dem Durchschnitt", „Landen und Stranden", „Der Mann im Nebel" — man soll noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/368>, abgerufen am 29.06.2024.