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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Wissenschaft

Die Wissenschaft soll frei sein, aber nicht von den .inneren Schranken der
Wahrheit', und unter diesen Schranken versteht der Ultramontanismus allein die
von der ultramontanen Hierarchie bestimmten Gesetze. Donat sagt, die Wissen¬
schaft soll frei sein, auch in Sachen des Glaubens, fügt aber dann sofort hinzu:
"freilich nicht des Glaubens im katholischen Sinne. Dieser ist ein Fürwahr¬
halten auf Grund des bekannten göttlichen Zeugnisses, also ein Verstandesakt."
Was aber göttliches Zeugnis ist, bestimmen wiederum einzelne Menschen und
Gruppen von solchen. Und was Donat Glauben im katholischen Sinne nennt,
hat mit der katholischen Religion auch nicht das geringste zu tun, sondern
bedeutet Glauben, wie er von den Kongregationen, den Konzilien, dem Papst
festgesetzt wird. Er bekennt es deswegen auch offen: "Wer sich zur christlichen
Weltanschauung bekennt, für den ist diese Freiheit von Wissenschaft und Denken
unannehmbar." Immer wieder ist zu betonen, daß christliche Weltanschauung
bei Donat nichts mit der Religion zu tun hat, sondern lediglich die von der
ultramontanen Hierarchie festgesetzten Anschauungen sind. Wie er darüber denkt,
geht deutlich aus folgendem Satze auf S. 64 hervor: "Wie lange noch die
hochgehenden Wogen des Liberalismus über die Fläche des geistigen Lebens
der Neuzeit hingehet! werden, bis sie einmal sinken und abfallen, ist schwer zu
sagen, aber das ist gewiß, daß sie ebensolange eine Gefahr sein werden für
die christliche Kultur, für das geistige Leben Europas." Und auf S. 67: "Wer
in der christlichen Welt lebt, weiß sofort, was er zu denken hat. Nicht an den
Staat. Den Staat geht die direkte Beeinflussung der persönlichen Forschung
eines Gelehrten nichts an. Wenn er auf etwas direkt Einfluß nehmen kann,
so ist das allein die Lehrfreiheit. Nein, es ist vor allem die Glaubensautorität,
die geoffenbarte Religion und ihre Hüterin, die Kirche." Es ist nun interessant,
zu verfolgen, wie der Verfasser sich um die Definition der göttlichen Offenbarung
bemüht. "Der Glaube", sagt er, "schöpft aus der göttlichen Offenbarung, die
profane Wissenschaft aber als solche schöpft nicht aus der Offenbarung, sondern
nur aus Berechnung und Vernunft." Was aber Offenbarung ist, geht aus
seinen Worten auf S. 95 hervor: "Nicht alles also, was christliche Gelehrte
einer Zeit für wahr halten, gehört deshalb schon zum Lehrbestaud der Kirche.
Nur daun, wenn die Theologen übereinstimmend etwas als im Lehrschatz der
Offenbarung oder Kirche enthalten hinstellen, ist ihre Lehre maßgebend. Nicht
deshalb, weil Theologen es sagen, sondern weil es Offenbarung und Kirche lehren."
Man steht, immer wieder kommt es heraus auf Beschlüsse von Kongregationen,
Konzilien und dergleichen mehr. Hier wird beschlossen, was Offenbarung ist.
und was nicht. Deswegen kann Donat auch auf S. 105 sagen: "Zum Gebiet
des Glaubens gehört nur, was in der göttlichen Offenbarung enthalten ist,
nämlich die Wahrheiten der Religion und Sittlichkeit, die in der Heiligen Schrift
und Überlieferung niedergelegt sind." Überlieferung heißen dabei wieder jene
von den Machthabern der Kirche festgesetzten Lehren und deswegen gehört
schließlich alles zur göttlichen Offenbarung, was die Macht der Kirche fordert,


Grenzboton II 1910 Is
Die Freiheit der Wissenschaft

Die Wissenschaft soll frei sein, aber nicht von den .inneren Schranken der
Wahrheit', und unter diesen Schranken versteht der Ultramontanismus allein die
von der ultramontanen Hierarchie bestimmten Gesetze. Donat sagt, die Wissen¬
schaft soll frei sein, auch in Sachen des Glaubens, fügt aber dann sofort hinzu:
„freilich nicht des Glaubens im katholischen Sinne. Dieser ist ein Fürwahr¬
halten auf Grund des bekannten göttlichen Zeugnisses, also ein Verstandesakt."
Was aber göttliches Zeugnis ist, bestimmen wiederum einzelne Menschen und
Gruppen von solchen. Und was Donat Glauben im katholischen Sinne nennt,
hat mit der katholischen Religion auch nicht das geringste zu tun, sondern
bedeutet Glauben, wie er von den Kongregationen, den Konzilien, dem Papst
festgesetzt wird. Er bekennt es deswegen auch offen: „Wer sich zur christlichen
Weltanschauung bekennt, für den ist diese Freiheit von Wissenschaft und Denken
unannehmbar." Immer wieder ist zu betonen, daß christliche Weltanschauung
bei Donat nichts mit der Religion zu tun hat, sondern lediglich die von der
ultramontanen Hierarchie festgesetzten Anschauungen sind. Wie er darüber denkt,
geht deutlich aus folgendem Satze auf S. 64 hervor: „Wie lange noch die
hochgehenden Wogen des Liberalismus über die Fläche des geistigen Lebens
der Neuzeit hingehet! werden, bis sie einmal sinken und abfallen, ist schwer zu
sagen, aber das ist gewiß, daß sie ebensolange eine Gefahr sein werden für
die christliche Kultur, für das geistige Leben Europas." Und auf S. 67: „Wer
in der christlichen Welt lebt, weiß sofort, was er zu denken hat. Nicht an den
Staat. Den Staat geht die direkte Beeinflussung der persönlichen Forschung
eines Gelehrten nichts an. Wenn er auf etwas direkt Einfluß nehmen kann,
so ist das allein die Lehrfreiheit. Nein, es ist vor allem die Glaubensautorität,
die geoffenbarte Religion und ihre Hüterin, die Kirche." Es ist nun interessant,
zu verfolgen, wie der Verfasser sich um die Definition der göttlichen Offenbarung
bemüht. „Der Glaube", sagt er, „schöpft aus der göttlichen Offenbarung, die
profane Wissenschaft aber als solche schöpft nicht aus der Offenbarung, sondern
nur aus Berechnung und Vernunft." Was aber Offenbarung ist, geht aus
seinen Worten auf S. 95 hervor: „Nicht alles also, was christliche Gelehrte
einer Zeit für wahr halten, gehört deshalb schon zum Lehrbestaud der Kirche.
Nur daun, wenn die Theologen übereinstimmend etwas als im Lehrschatz der
Offenbarung oder Kirche enthalten hinstellen, ist ihre Lehre maßgebend. Nicht
deshalb, weil Theologen es sagen, sondern weil es Offenbarung und Kirche lehren."
Man steht, immer wieder kommt es heraus auf Beschlüsse von Kongregationen,
Konzilien und dergleichen mehr. Hier wird beschlossen, was Offenbarung ist.
und was nicht. Deswegen kann Donat auch auf S. 105 sagen: „Zum Gebiet
des Glaubens gehört nur, was in der göttlichen Offenbarung enthalten ist,
nämlich die Wahrheiten der Religion und Sittlichkeit, die in der Heiligen Schrift
und Überlieferung niedergelegt sind." Überlieferung heißen dabei wieder jene
von den Machthabern der Kirche festgesetzten Lehren und deswegen gehört
schließlich alles zur göttlichen Offenbarung, was die Macht der Kirche fordert,


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[0365] Die Freiheit der Wissenschaft Die Wissenschaft soll frei sein, aber nicht von den .inneren Schranken der Wahrheit', und unter diesen Schranken versteht der Ultramontanismus allein die von der ultramontanen Hierarchie bestimmten Gesetze. Donat sagt, die Wissen¬ schaft soll frei sein, auch in Sachen des Glaubens, fügt aber dann sofort hinzu: „freilich nicht des Glaubens im katholischen Sinne. Dieser ist ein Fürwahr¬ halten auf Grund des bekannten göttlichen Zeugnisses, also ein Verstandesakt." Was aber göttliches Zeugnis ist, bestimmen wiederum einzelne Menschen und Gruppen von solchen. Und was Donat Glauben im katholischen Sinne nennt, hat mit der katholischen Religion auch nicht das geringste zu tun, sondern bedeutet Glauben, wie er von den Kongregationen, den Konzilien, dem Papst festgesetzt wird. Er bekennt es deswegen auch offen: „Wer sich zur christlichen Weltanschauung bekennt, für den ist diese Freiheit von Wissenschaft und Denken unannehmbar." Immer wieder ist zu betonen, daß christliche Weltanschauung bei Donat nichts mit der Religion zu tun hat, sondern lediglich die von der ultramontanen Hierarchie festgesetzten Anschauungen sind. Wie er darüber denkt, geht deutlich aus folgendem Satze auf S. 64 hervor: „Wie lange noch die hochgehenden Wogen des Liberalismus über die Fläche des geistigen Lebens der Neuzeit hingehet! werden, bis sie einmal sinken und abfallen, ist schwer zu sagen, aber das ist gewiß, daß sie ebensolange eine Gefahr sein werden für die christliche Kultur, für das geistige Leben Europas." Und auf S. 67: „Wer in der christlichen Welt lebt, weiß sofort, was er zu denken hat. Nicht an den Staat. Den Staat geht die direkte Beeinflussung der persönlichen Forschung eines Gelehrten nichts an. Wenn er auf etwas direkt Einfluß nehmen kann, so ist das allein die Lehrfreiheit. Nein, es ist vor allem die Glaubensautorität, die geoffenbarte Religion und ihre Hüterin, die Kirche." Es ist nun interessant, zu verfolgen, wie der Verfasser sich um die Definition der göttlichen Offenbarung bemüht. „Der Glaube", sagt er, „schöpft aus der göttlichen Offenbarung, die profane Wissenschaft aber als solche schöpft nicht aus der Offenbarung, sondern nur aus Berechnung und Vernunft." Was aber Offenbarung ist, geht aus seinen Worten auf S. 95 hervor: „Nicht alles also, was christliche Gelehrte einer Zeit für wahr halten, gehört deshalb schon zum Lehrbestaud der Kirche. Nur daun, wenn die Theologen übereinstimmend etwas als im Lehrschatz der Offenbarung oder Kirche enthalten hinstellen, ist ihre Lehre maßgebend. Nicht deshalb, weil Theologen es sagen, sondern weil es Offenbarung und Kirche lehren." Man steht, immer wieder kommt es heraus auf Beschlüsse von Kongregationen, Konzilien und dergleichen mehr. Hier wird beschlossen, was Offenbarung ist. und was nicht. Deswegen kann Donat auch auf S. 105 sagen: „Zum Gebiet des Glaubens gehört nur, was in der göttlichen Offenbarung enthalten ist, nämlich die Wahrheiten der Religion und Sittlichkeit, die in der Heiligen Schrift und Überlieferung niedergelegt sind." Überlieferung heißen dabei wieder jene von den Machthabern der Kirche festgesetzten Lehren und deswegen gehört schließlich alles zur göttlichen Offenbarung, was die Macht der Kirche fordert, Grenzboton II 1910 Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/365>, abgerufen am 29.06.2024.