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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Wissenschaft

und alles widerstößt gegen diese Offenbarung, was diese Macht in irgend etwas
lockern könnte. "Die Kirche kann also erklären, daß bestimmte Wahrheiten
geoffenbart sind." Damit ist alles klar und deutlich ausgesprochen. (S. 105.)

Da bei Nichteingeweihten häufig Unklarheit darüber herrscht, was unter
Offenbarung und Unfehlbarkeit zu verstehen ist, so ist es erfreulich, daß wir
von: Autor darüber eine ganz deutliche Aufklärung erhalten. Man kann
es nicht besser als mit seinen eigenen Worten wiedergeben, die auf S. 113 ff.
stehen: "Nach katholischer Lehre (d. h. nach ultramontaner) besitzt die gesamte
Kirche, wenn sie übereinstimmend etwas als Gegenstand des Glaubens erkennt,
kraft göttlichen Beistands in Sachen des Glaubens und der Sitte die Gabe der
Unfehlbarkeit, sowohl dann, wenn sie in ihrem täglichen Glaubensleben über¬
einstimmend eine Lehre als Glaubenswahrheit erkennt, als auch in feierlichen
Entscheidungen, wie auf allgemeinen Konzilien. Dieselbe besitzt außerdem der
Papst allein, wenn er als oberster Lehrer in Sachen des Glaubens und der
Sitte eine endgültige Entscheidung für die ganze Kirche (ex eatneelra) zu geben
beabsichtigt. Zu den nicht unfehlbaren Erklärungen gehören in verschiedenen
Abstufungen die Lehräußerungen einzelner Bischöfe oder partikularer Synoden
und besonders die der römischen Kongregationen. Letztere sind Korporationen
von Kardinälen, die vom Oberhaupt der Kirche als höchste päpstliche Behörden
delegiert sind, um ihm in den verschiedenen Regierungsgeschäften zur Seite zu
stehen. Von diesen können die Kongregationen der Inquisition, oder wie sie
auch genannt werden die Kongregation des heiligen Offiziums, sowie die Jndex-
kongregation auch Lehrentscheidungen treffen. Obwohl die Kongregationen kraft
der Autorisation des Papstes fungieren und mit seinem Einverständnis ihre
Dekrete veröffentlichen, so sind ihre Verfügungen doch nicht Entscheidungen des
Papstes selbst, sondern bleiben solche der Kardinäle. Noch weniger kann die
Unfehlbarkeit des Papstes auf sie übergehen. Sie ist seine persönliche Prärogative,
der Beistand des heiligen Geistes ist ihm verheißen und schützt sein Urteil unter
gewissen Bedingungen vor Irrtum. Aber auch den nicht unfehlbaren Lehr¬
kundgebungen schuldet der Katholik Unterwerfung, und zwar nicht bloß eine
äußerliche, ein ehrerbietiges Stillschweigen, daß er nicht durch Wort oder
Schrift der betreffenden Entscheidung zuwider handelt; sondern auch innere
Zustimmung. Doch kann diese nicht jene unbedingte Zustimmung sein, die er
der unfehlbaren Entscheidung schuldet usw." Das sind außerordentlich interessante
Dinge, wenn man sie nur mit der nötigen Aufmerksamkeit verfolgt und an der
Hand der praktischen Erfahrung richtig zu deuten versteht. Man beachte, daß
dort zuerst von Glauben und Sitte die Rede ist, und daß wiederum das, was
Glauben und Sitte bedeutet, durch unfehlbare Beschlüsse festgestellt wird. Man
beachte ferner, daß die Unfehlbarkeit den Päpsten verliehen wurde durch ein
Konzil, d. h. auf deutsch durch die Beratung einer eigens zu diesem Zweck
berufenen Versammlung von Menschen. Warum ausschließlich diese Träger
der Offenbarung sein sollen, ist natürlich für den gewöhnlichen Menschenverstand


Die Freiheit der Wissenschaft

und alles widerstößt gegen diese Offenbarung, was diese Macht in irgend etwas
lockern könnte. „Die Kirche kann also erklären, daß bestimmte Wahrheiten
geoffenbart sind." Damit ist alles klar und deutlich ausgesprochen. (S. 105.)

Da bei Nichteingeweihten häufig Unklarheit darüber herrscht, was unter
Offenbarung und Unfehlbarkeit zu verstehen ist, so ist es erfreulich, daß wir
von: Autor darüber eine ganz deutliche Aufklärung erhalten. Man kann
es nicht besser als mit seinen eigenen Worten wiedergeben, die auf S. 113 ff.
stehen: „Nach katholischer Lehre (d. h. nach ultramontaner) besitzt die gesamte
Kirche, wenn sie übereinstimmend etwas als Gegenstand des Glaubens erkennt,
kraft göttlichen Beistands in Sachen des Glaubens und der Sitte die Gabe der
Unfehlbarkeit, sowohl dann, wenn sie in ihrem täglichen Glaubensleben über¬
einstimmend eine Lehre als Glaubenswahrheit erkennt, als auch in feierlichen
Entscheidungen, wie auf allgemeinen Konzilien. Dieselbe besitzt außerdem der
Papst allein, wenn er als oberster Lehrer in Sachen des Glaubens und der
Sitte eine endgültige Entscheidung für die ganze Kirche (ex eatneelra) zu geben
beabsichtigt. Zu den nicht unfehlbaren Erklärungen gehören in verschiedenen
Abstufungen die Lehräußerungen einzelner Bischöfe oder partikularer Synoden
und besonders die der römischen Kongregationen. Letztere sind Korporationen
von Kardinälen, die vom Oberhaupt der Kirche als höchste päpstliche Behörden
delegiert sind, um ihm in den verschiedenen Regierungsgeschäften zur Seite zu
stehen. Von diesen können die Kongregationen der Inquisition, oder wie sie
auch genannt werden die Kongregation des heiligen Offiziums, sowie die Jndex-
kongregation auch Lehrentscheidungen treffen. Obwohl die Kongregationen kraft
der Autorisation des Papstes fungieren und mit seinem Einverständnis ihre
Dekrete veröffentlichen, so sind ihre Verfügungen doch nicht Entscheidungen des
Papstes selbst, sondern bleiben solche der Kardinäle. Noch weniger kann die
Unfehlbarkeit des Papstes auf sie übergehen. Sie ist seine persönliche Prärogative,
der Beistand des heiligen Geistes ist ihm verheißen und schützt sein Urteil unter
gewissen Bedingungen vor Irrtum. Aber auch den nicht unfehlbaren Lehr¬
kundgebungen schuldet der Katholik Unterwerfung, und zwar nicht bloß eine
äußerliche, ein ehrerbietiges Stillschweigen, daß er nicht durch Wort oder
Schrift der betreffenden Entscheidung zuwider handelt; sondern auch innere
Zustimmung. Doch kann diese nicht jene unbedingte Zustimmung sein, die er
der unfehlbaren Entscheidung schuldet usw." Das sind außerordentlich interessante
Dinge, wenn man sie nur mit der nötigen Aufmerksamkeit verfolgt und an der
Hand der praktischen Erfahrung richtig zu deuten versteht. Man beachte, daß
dort zuerst von Glauben und Sitte die Rede ist, und daß wiederum das, was
Glauben und Sitte bedeutet, durch unfehlbare Beschlüsse festgestellt wird. Man
beachte ferner, daß die Unfehlbarkeit den Päpsten verliehen wurde durch ein
Konzil, d. h. auf deutsch durch die Beratung einer eigens zu diesem Zweck
berufenen Versammlung von Menschen. Warum ausschließlich diese Träger
der Offenbarung sein sollen, ist natürlich für den gewöhnlichen Menschenverstand


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[0366] Die Freiheit der Wissenschaft und alles widerstößt gegen diese Offenbarung, was diese Macht in irgend etwas lockern könnte. „Die Kirche kann also erklären, daß bestimmte Wahrheiten geoffenbart sind." Damit ist alles klar und deutlich ausgesprochen. (S. 105.) Da bei Nichteingeweihten häufig Unklarheit darüber herrscht, was unter Offenbarung und Unfehlbarkeit zu verstehen ist, so ist es erfreulich, daß wir von: Autor darüber eine ganz deutliche Aufklärung erhalten. Man kann es nicht besser als mit seinen eigenen Worten wiedergeben, die auf S. 113 ff. stehen: „Nach katholischer Lehre (d. h. nach ultramontaner) besitzt die gesamte Kirche, wenn sie übereinstimmend etwas als Gegenstand des Glaubens erkennt, kraft göttlichen Beistands in Sachen des Glaubens und der Sitte die Gabe der Unfehlbarkeit, sowohl dann, wenn sie in ihrem täglichen Glaubensleben über¬ einstimmend eine Lehre als Glaubenswahrheit erkennt, als auch in feierlichen Entscheidungen, wie auf allgemeinen Konzilien. Dieselbe besitzt außerdem der Papst allein, wenn er als oberster Lehrer in Sachen des Glaubens und der Sitte eine endgültige Entscheidung für die ganze Kirche (ex eatneelra) zu geben beabsichtigt. Zu den nicht unfehlbaren Erklärungen gehören in verschiedenen Abstufungen die Lehräußerungen einzelner Bischöfe oder partikularer Synoden und besonders die der römischen Kongregationen. Letztere sind Korporationen von Kardinälen, die vom Oberhaupt der Kirche als höchste päpstliche Behörden delegiert sind, um ihm in den verschiedenen Regierungsgeschäften zur Seite zu stehen. Von diesen können die Kongregationen der Inquisition, oder wie sie auch genannt werden die Kongregation des heiligen Offiziums, sowie die Jndex- kongregation auch Lehrentscheidungen treffen. Obwohl die Kongregationen kraft der Autorisation des Papstes fungieren und mit seinem Einverständnis ihre Dekrete veröffentlichen, so sind ihre Verfügungen doch nicht Entscheidungen des Papstes selbst, sondern bleiben solche der Kardinäle. Noch weniger kann die Unfehlbarkeit des Papstes auf sie übergehen. Sie ist seine persönliche Prärogative, der Beistand des heiligen Geistes ist ihm verheißen und schützt sein Urteil unter gewissen Bedingungen vor Irrtum. Aber auch den nicht unfehlbaren Lehr¬ kundgebungen schuldet der Katholik Unterwerfung, und zwar nicht bloß eine äußerliche, ein ehrerbietiges Stillschweigen, daß er nicht durch Wort oder Schrift der betreffenden Entscheidung zuwider handelt; sondern auch innere Zustimmung. Doch kann diese nicht jene unbedingte Zustimmung sein, die er der unfehlbaren Entscheidung schuldet usw." Das sind außerordentlich interessante Dinge, wenn man sie nur mit der nötigen Aufmerksamkeit verfolgt und an der Hand der praktischen Erfahrung richtig zu deuten versteht. Man beachte, daß dort zuerst von Glauben und Sitte die Rede ist, und daß wiederum das, was Glauben und Sitte bedeutet, durch unfehlbare Beschlüsse festgestellt wird. Man beachte ferner, daß die Unfehlbarkeit den Päpsten verliehen wurde durch ein Konzil, d. h. auf deutsch durch die Beratung einer eigens zu diesem Zweck berufenen Versammlung von Menschen. Warum ausschließlich diese Träger der Offenbarung sein sollen, ist natürlich für den gewöhnlichen Menschenverstand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/366>, abgerufen am 29.06.2024.