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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Wissenschaft

ultramontanen Index betrachtet, so erstaunt man, welche Namen sich
dort vereinigt finden. Es ist kaum denkbar, daß das weiteren Kreisen
bekannt ist, was alles auf dem Index der verbotenen Bücher zu sehen ist,
sonst möchte man glauben, daß ein allgemeiner Schrei der Entrüstung durch die
Welt gehen müßte, wie in heutiger Zeit so etwas noch möglich ist. Ich will hier
nur einige Namen nennen: Burdach, Balzac, Moritz Carriere, Baco
de Verulam, Cartesius, Kopernikus, Fenelon, Lafontaine, George Sand,
Kant, Lessing, Lenau, Heinrich Heine, Friedrich der Große, Victor Hugo,
Galilei, Gregorovius, David Hume, Giordano Bruno, de la Mettrie, Leibniz,
John Locke, Rousseau, Spinoza, Leopold v. Ranke, Voltaire, Eduard Zeller.
Diese Auswahl, die natürlich nur einen kleinen Teil bedeutet, läßt deutlich
erkennen, welcher Gesinnung die Jndexkongregation ist. Nicht nur direkte Gegner
des ultramontanen Dogmas, wie Döllinger, David Strauß, Frohschammer,
Laberthonniere, Loisn, Zola, deren Eintragung in den Index vom ultramontanen
Standpunkt ohne weiteres verständlich ist, sondern die hervorragendsten Philo¬
sophen und eine große Anzahl von Naturwissenschaftlern findet man auf dem
Index. Bei manchen erscheint die Einordnung in dieses Verzeichnis verbotener
Bücher lediglich als gewöhnlicher Akt der Rache, wie z. B. die des Gregorovius,
der wegen seiner Aufklärungen in der Geschichte der Päpste verfemt wurde. Hier
einen Vergleich ziehen zu wollen mit den Bücherverboten des Staates ist also
vollkommen ungerechtfertigt. Wo ist denn jemals wegen unmoralischer Gesinnung
oder unmoralischen Inhalts ein Buch von seiten des Ultramontanismus auf den
Index gesetzt worden? Dann müßte ja der größte Teil der vom Staate ver¬
botenen Bücher auch auf dem Index stehen, was tatsächlich nicht der Fall ist.
Man vergleiche einmal die nicht nur vom Ultramontanismus zugelassenen,
sondern von der ultramontanen Kirche geradezu befürworteten Werke, und man
wird überrascht sein, was sich da alles findet. Bis in die neuste Zeit hinein
wird von der ultramontanen Kirche die Moraltheologie des heiligen Alfons
de Liguori nicht nur als lesenswert, sondern geradezu als maßgebend empfohlen.
Auch Donat empfiehlt dieses Buch S. 464. Es gibt keine Laszivität, keine
Gemeinheit der Sitten und der Ausschweifungen in der Welt, die nicht in diesem
Buche ausführlich besprochen und zu lesen wären. Freilich werden diese Dinge
darin verurteilt, aber sie werden doch zu lesen gegeben und dadurch bekannt
gemacht; Dinge, von denen ein gesitteter Mensch, der nicht im größten Schmutz
aufgewachsen ist, keine Ahnung hat, können dort aufs ausführlichste geschildert
gelesen werden. Und doch hat sich nirgends von nltramontaner kirchlicher Seite
ein Widerspruch gegen die Schriften dieses "Heiligen" kundgegeben. Ja, als ein
Angriff von gegnerischer Seite darauf erfolgte (Gmßmcmn, Auszüge aus der
von den Päpsten Pius IX. und Pius XIII. ex eatlieära als Norm für die
römisch-katholische Kirche sanktionierten Moraltheologie des heiligen Dr. Alfonsus
Maria de Liguori, Stettin 1901), da veröffentlichte Prinz Max, Herzog zu
Sachsen, Dr. tlieol. et juri,8, eine Broschüre, in der er das Buch durch folgende Worte


Die Freiheit der Wissenschaft

ultramontanen Index betrachtet, so erstaunt man, welche Namen sich
dort vereinigt finden. Es ist kaum denkbar, daß das weiteren Kreisen
bekannt ist, was alles auf dem Index der verbotenen Bücher zu sehen ist,
sonst möchte man glauben, daß ein allgemeiner Schrei der Entrüstung durch die
Welt gehen müßte, wie in heutiger Zeit so etwas noch möglich ist. Ich will hier
nur einige Namen nennen: Burdach, Balzac, Moritz Carriere, Baco
de Verulam, Cartesius, Kopernikus, Fenelon, Lafontaine, George Sand,
Kant, Lessing, Lenau, Heinrich Heine, Friedrich der Große, Victor Hugo,
Galilei, Gregorovius, David Hume, Giordano Bruno, de la Mettrie, Leibniz,
John Locke, Rousseau, Spinoza, Leopold v. Ranke, Voltaire, Eduard Zeller.
Diese Auswahl, die natürlich nur einen kleinen Teil bedeutet, läßt deutlich
erkennen, welcher Gesinnung die Jndexkongregation ist. Nicht nur direkte Gegner
des ultramontanen Dogmas, wie Döllinger, David Strauß, Frohschammer,
Laberthonniere, Loisn, Zola, deren Eintragung in den Index vom ultramontanen
Standpunkt ohne weiteres verständlich ist, sondern die hervorragendsten Philo¬
sophen und eine große Anzahl von Naturwissenschaftlern findet man auf dem
Index. Bei manchen erscheint die Einordnung in dieses Verzeichnis verbotener
Bücher lediglich als gewöhnlicher Akt der Rache, wie z. B. die des Gregorovius,
der wegen seiner Aufklärungen in der Geschichte der Päpste verfemt wurde. Hier
einen Vergleich ziehen zu wollen mit den Bücherverboten des Staates ist also
vollkommen ungerechtfertigt. Wo ist denn jemals wegen unmoralischer Gesinnung
oder unmoralischen Inhalts ein Buch von seiten des Ultramontanismus auf den
Index gesetzt worden? Dann müßte ja der größte Teil der vom Staate ver¬
botenen Bücher auch auf dem Index stehen, was tatsächlich nicht der Fall ist.
Man vergleiche einmal die nicht nur vom Ultramontanismus zugelassenen,
sondern von der ultramontanen Kirche geradezu befürworteten Werke, und man
wird überrascht sein, was sich da alles findet. Bis in die neuste Zeit hinein
wird von der ultramontanen Kirche die Moraltheologie des heiligen Alfons
de Liguori nicht nur als lesenswert, sondern geradezu als maßgebend empfohlen.
Auch Donat empfiehlt dieses Buch S. 464. Es gibt keine Laszivität, keine
Gemeinheit der Sitten und der Ausschweifungen in der Welt, die nicht in diesem
Buche ausführlich besprochen und zu lesen wären. Freilich werden diese Dinge
darin verurteilt, aber sie werden doch zu lesen gegeben und dadurch bekannt
gemacht; Dinge, von denen ein gesitteter Mensch, der nicht im größten Schmutz
aufgewachsen ist, keine Ahnung hat, können dort aufs ausführlichste geschildert
gelesen werden. Und doch hat sich nirgends von nltramontaner kirchlicher Seite
ein Widerspruch gegen die Schriften dieses „Heiligen" kundgegeben. Ja, als ein
Angriff von gegnerischer Seite darauf erfolgte (Gmßmcmn, Auszüge aus der
von den Päpsten Pius IX. und Pius XIII. ex eatlieära als Norm für die
römisch-katholische Kirche sanktionierten Moraltheologie des heiligen Dr. Alfonsus
Maria de Liguori, Stettin 1901), da veröffentlichte Prinz Max, Herzog zu
Sachsen, Dr. tlieol. et juri,8, eine Broschüre, in der er das Buch durch folgende Worte


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[0363] Die Freiheit der Wissenschaft ultramontanen Index betrachtet, so erstaunt man, welche Namen sich dort vereinigt finden. Es ist kaum denkbar, daß das weiteren Kreisen bekannt ist, was alles auf dem Index der verbotenen Bücher zu sehen ist, sonst möchte man glauben, daß ein allgemeiner Schrei der Entrüstung durch die Welt gehen müßte, wie in heutiger Zeit so etwas noch möglich ist. Ich will hier nur einige Namen nennen: Burdach, Balzac, Moritz Carriere, Baco de Verulam, Cartesius, Kopernikus, Fenelon, Lafontaine, George Sand, Kant, Lessing, Lenau, Heinrich Heine, Friedrich der Große, Victor Hugo, Galilei, Gregorovius, David Hume, Giordano Bruno, de la Mettrie, Leibniz, John Locke, Rousseau, Spinoza, Leopold v. Ranke, Voltaire, Eduard Zeller. Diese Auswahl, die natürlich nur einen kleinen Teil bedeutet, läßt deutlich erkennen, welcher Gesinnung die Jndexkongregation ist. Nicht nur direkte Gegner des ultramontanen Dogmas, wie Döllinger, David Strauß, Frohschammer, Laberthonniere, Loisn, Zola, deren Eintragung in den Index vom ultramontanen Standpunkt ohne weiteres verständlich ist, sondern die hervorragendsten Philo¬ sophen und eine große Anzahl von Naturwissenschaftlern findet man auf dem Index. Bei manchen erscheint die Einordnung in dieses Verzeichnis verbotener Bücher lediglich als gewöhnlicher Akt der Rache, wie z. B. die des Gregorovius, der wegen seiner Aufklärungen in der Geschichte der Päpste verfemt wurde. Hier einen Vergleich ziehen zu wollen mit den Bücherverboten des Staates ist also vollkommen ungerechtfertigt. Wo ist denn jemals wegen unmoralischer Gesinnung oder unmoralischen Inhalts ein Buch von seiten des Ultramontanismus auf den Index gesetzt worden? Dann müßte ja der größte Teil der vom Staate ver¬ botenen Bücher auch auf dem Index stehen, was tatsächlich nicht der Fall ist. Man vergleiche einmal die nicht nur vom Ultramontanismus zugelassenen, sondern von der ultramontanen Kirche geradezu befürworteten Werke, und man wird überrascht sein, was sich da alles findet. Bis in die neuste Zeit hinein wird von der ultramontanen Kirche die Moraltheologie des heiligen Alfons de Liguori nicht nur als lesenswert, sondern geradezu als maßgebend empfohlen. Auch Donat empfiehlt dieses Buch S. 464. Es gibt keine Laszivität, keine Gemeinheit der Sitten und der Ausschweifungen in der Welt, die nicht in diesem Buche ausführlich besprochen und zu lesen wären. Freilich werden diese Dinge darin verurteilt, aber sie werden doch zu lesen gegeben und dadurch bekannt gemacht; Dinge, von denen ein gesitteter Mensch, der nicht im größten Schmutz aufgewachsen ist, keine Ahnung hat, können dort aufs ausführlichste geschildert gelesen werden. Und doch hat sich nirgends von nltramontaner kirchlicher Seite ein Widerspruch gegen die Schriften dieses „Heiligen" kundgegeben. Ja, als ein Angriff von gegnerischer Seite darauf erfolgte (Gmßmcmn, Auszüge aus der von den Päpsten Pius IX. und Pius XIII. ex eatlieära als Norm für die römisch-katholische Kirche sanktionierten Moraltheologie des heiligen Dr. Alfonsus Maria de Liguori, Stettin 1901), da veröffentlichte Prinz Max, Herzog zu Sachsen, Dr. tlieol. et juri,8, eine Broschüre, in der er das Buch durch folgende Worte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/363>, abgerufen am 29.06.2024.