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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Wissenschaft

Zuschreiben, was an dieser gelehrt werden soll oder nicht. Sie kann nur
gewisse Lehren dadurch unterbinden, daß sie ihren Mitgliedern verbietet, diese
-Irrlehren' anzuhören. Ein Einspruchsrecht muß ihr durchaus abgesprochen
werden.

Es kommt ein Weiteres hinzu. Der Verfasser sagt in dem eben zitierten
Satze: "Wo sie religiöses Gebiet berühren"; was aber religiöses Gebiet
bedeutet, das bestimmt die Kirche selbst, d. h. die ultramontanen Machthaber.
Sie entscheidet in jedem einzelnen Falle, ob etwas zur Religion gehört, oder
nicht, und zwar entscheidet sie das nicht vom Standpunkt des religiösen
Dogmas, oder vom Standpunkt einer Sachkenntnis, sondern vom Standpunkt
der ultramontanen Hierarchie. Das ist der wesentlichste Punkt, der aus
dem Buche hervorleuchtet, daß die ultramontane Macht bestrebt ist, alles zur
Religion und zum religiösen Gebiet zu rechnen, was irgendwie geeignet wäre,
in ihre Sphäre einzugreifen. Daß ihr dafür keine Forderung zu gering ist,
geht aus dem letzten Kapitel des Buches hervor. Es ist genannt: "Theologische
Fakultät in Staat und Kirche", dort wird gefordert, daß der Kirche das
Recht unbenommen bleiben muß, Anstellung und Verbleiben im katholischen
Lehramt selbst über den Staat hinaus zu bestimmen. Man achte wohl
darauf, die Kirche beansprucht für sich das Recht, an einer vom Staat
eingerichteten und unterhaltenen Universität die theologischen Lehrer an-
und abzusetzen, wie es ihr beliebt, und es ist dabei zu berücksichtigen, daß der
Ultramontanismus unter theologischen Lehrern nicht bloß solche versteht, die
sich unmittelbar mit der Theologie beschäftigen, fondern auch solche, die Geschichte
lehren, ja sogar gewisse naturwissenschaftliche Fächer, soweit sie mit religiösen
Gebieten in Berührung kommen. Wann und wo das aber geschieht, bestimmen
wiederum die ultramontanen Machthaber. Man sollte es nicht für möglich
halten, daß ein Staat sich so etwas gefallen läßt. Den wenigsten dürfte es
aber bekannt sein, daß an deutschen Universitäten der Staat über sich
selbst hinaus dein Ultramontanismus diese Macht gewährt hat, so an der
Universität Straßburg.

In demi Vertrage, den die Reichsregierung unter Führung des verstorbenen
Ministerialdirektors Althoff betreffend diekatholisch-theologischeFakultätzu Straßburg
abgeschlossen hat, heißt es in Artikel 5: "Wird durch die kirchliche Behörde der
Nachweis erbracht, daß ein Professor wegen mangelnder Rechtgläubigkeit oder
wegen gröblicher Verstöße gegen die Erfordernisse priesterlichen Wandels zur
weiteren Ausübung seines Lehramtes als unfähig anzusehen ist, so wird die
Regierung für einen alsbaldigen Ersatz sorgen und die erforderlichen Maßnahmen
ergreifen, daß seine Beteiligung an den Geschäften der Fakultät aufhört". Zu
bemerken ist, daß dieses Abkommen nicht etwa im Mittelalter, sondern im
>M)re 1903 getroffen wurde und daß es gegen die Verfassung verstößt, deren §24
lautet, daß die Wissenschaft und ihre Lehre frei sei. Was der Ultramontanismus
aber unter mangelnder Rechtgläubigkeit und gröblicher Verstößen gegen die


Die Freiheit der Wissenschaft

Zuschreiben, was an dieser gelehrt werden soll oder nicht. Sie kann nur
gewisse Lehren dadurch unterbinden, daß sie ihren Mitgliedern verbietet, diese
-Irrlehren' anzuhören. Ein Einspruchsrecht muß ihr durchaus abgesprochen
werden.

Es kommt ein Weiteres hinzu. Der Verfasser sagt in dem eben zitierten
Satze: „Wo sie religiöses Gebiet berühren"; was aber religiöses Gebiet
bedeutet, das bestimmt die Kirche selbst, d. h. die ultramontanen Machthaber.
Sie entscheidet in jedem einzelnen Falle, ob etwas zur Religion gehört, oder
nicht, und zwar entscheidet sie das nicht vom Standpunkt des religiösen
Dogmas, oder vom Standpunkt einer Sachkenntnis, sondern vom Standpunkt
der ultramontanen Hierarchie. Das ist der wesentlichste Punkt, der aus
dem Buche hervorleuchtet, daß die ultramontane Macht bestrebt ist, alles zur
Religion und zum religiösen Gebiet zu rechnen, was irgendwie geeignet wäre,
in ihre Sphäre einzugreifen. Daß ihr dafür keine Forderung zu gering ist,
geht aus dem letzten Kapitel des Buches hervor. Es ist genannt: „Theologische
Fakultät in Staat und Kirche", dort wird gefordert, daß der Kirche das
Recht unbenommen bleiben muß, Anstellung und Verbleiben im katholischen
Lehramt selbst über den Staat hinaus zu bestimmen. Man achte wohl
darauf, die Kirche beansprucht für sich das Recht, an einer vom Staat
eingerichteten und unterhaltenen Universität die theologischen Lehrer an-
und abzusetzen, wie es ihr beliebt, und es ist dabei zu berücksichtigen, daß der
Ultramontanismus unter theologischen Lehrern nicht bloß solche versteht, die
sich unmittelbar mit der Theologie beschäftigen, fondern auch solche, die Geschichte
lehren, ja sogar gewisse naturwissenschaftliche Fächer, soweit sie mit religiösen
Gebieten in Berührung kommen. Wann und wo das aber geschieht, bestimmen
wiederum die ultramontanen Machthaber. Man sollte es nicht für möglich
halten, daß ein Staat sich so etwas gefallen läßt. Den wenigsten dürfte es
aber bekannt sein, daß an deutschen Universitäten der Staat über sich
selbst hinaus dein Ultramontanismus diese Macht gewährt hat, so an der
Universität Straßburg.

In demi Vertrage, den die Reichsregierung unter Führung des verstorbenen
Ministerialdirektors Althoff betreffend diekatholisch-theologischeFakultätzu Straßburg
abgeschlossen hat, heißt es in Artikel 5: „Wird durch die kirchliche Behörde der
Nachweis erbracht, daß ein Professor wegen mangelnder Rechtgläubigkeit oder
wegen gröblicher Verstöße gegen die Erfordernisse priesterlichen Wandels zur
weiteren Ausübung seines Lehramtes als unfähig anzusehen ist, so wird die
Regierung für einen alsbaldigen Ersatz sorgen und die erforderlichen Maßnahmen
ergreifen, daß seine Beteiligung an den Geschäften der Fakultät aufhört". Zu
bemerken ist, daß dieses Abkommen nicht etwa im Mittelalter, sondern im
>M)re 1903 getroffen wurde und daß es gegen die Verfassung verstößt, deren §24
lautet, daß die Wissenschaft und ihre Lehre frei sei. Was der Ultramontanismus
aber unter mangelnder Rechtgläubigkeit und gröblicher Verstößen gegen die


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[0361] Die Freiheit der Wissenschaft Zuschreiben, was an dieser gelehrt werden soll oder nicht. Sie kann nur gewisse Lehren dadurch unterbinden, daß sie ihren Mitgliedern verbietet, diese -Irrlehren' anzuhören. Ein Einspruchsrecht muß ihr durchaus abgesprochen werden. Es kommt ein Weiteres hinzu. Der Verfasser sagt in dem eben zitierten Satze: „Wo sie religiöses Gebiet berühren"; was aber religiöses Gebiet bedeutet, das bestimmt die Kirche selbst, d. h. die ultramontanen Machthaber. Sie entscheidet in jedem einzelnen Falle, ob etwas zur Religion gehört, oder nicht, und zwar entscheidet sie das nicht vom Standpunkt des religiösen Dogmas, oder vom Standpunkt einer Sachkenntnis, sondern vom Standpunkt der ultramontanen Hierarchie. Das ist der wesentlichste Punkt, der aus dem Buche hervorleuchtet, daß die ultramontane Macht bestrebt ist, alles zur Religion und zum religiösen Gebiet zu rechnen, was irgendwie geeignet wäre, in ihre Sphäre einzugreifen. Daß ihr dafür keine Forderung zu gering ist, geht aus dem letzten Kapitel des Buches hervor. Es ist genannt: „Theologische Fakultät in Staat und Kirche", dort wird gefordert, daß der Kirche das Recht unbenommen bleiben muß, Anstellung und Verbleiben im katholischen Lehramt selbst über den Staat hinaus zu bestimmen. Man achte wohl darauf, die Kirche beansprucht für sich das Recht, an einer vom Staat eingerichteten und unterhaltenen Universität die theologischen Lehrer an- und abzusetzen, wie es ihr beliebt, und es ist dabei zu berücksichtigen, daß der Ultramontanismus unter theologischen Lehrern nicht bloß solche versteht, die sich unmittelbar mit der Theologie beschäftigen, fondern auch solche, die Geschichte lehren, ja sogar gewisse naturwissenschaftliche Fächer, soweit sie mit religiösen Gebieten in Berührung kommen. Wann und wo das aber geschieht, bestimmen wiederum die ultramontanen Machthaber. Man sollte es nicht für möglich halten, daß ein Staat sich so etwas gefallen läßt. Den wenigsten dürfte es aber bekannt sein, daß an deutschen Universitäten der Staat über sich selbst hinaus dein Ultramontanismus diese Macht gewährt hat, so an der Universität Straßburg. In demi Vertrage, den die Reichsregierung unter Führung des verstorbenen Ministerialdirektors Althoff betreffend diekatholisch-theologischeFakultätzu Straßburg abgeschlossen hat, heißt es in Artikel 5: „Wird durch die kirchliche Behörde der Nachweis erbracht, daß ein Professor wegen mangelnder Rechtgläubigkeit oder wegen gröblicher Verstöße gegen die Erfordernisse priesterlichen Wandels zur weiteren Ausübung seines Lehramtes als unfähig anzusehen ist, so wird die Regierung für einen alsbaldigen Ersatz sorgen und die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, daß seine Beteiligung an den Geschäften der Fakultät aufhört". Zu bemerken ist, daß dieses Abkommen nicht etwa im Mittelalter, sondern im >M)re 1903 getroffen wurde und daß es gegen die Verfassung verstößt, deren §24 lautet, daß die Wissenschaft und ihre Lehre frei sei. Was der Ultramontanismus aber unter mangelnder Rechtgläubigkeit und gröblicher Verstößen gegen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/361>, abgerufen am 29.06.2024.