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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Wissenschaft

kritischen Betrachtung, auf welchem Gebiete es immer sei, und die Geschichte des
Ultramontanismus hat gezeigt, daß er von jeher bestrebt war, jedes freie Denken
zu unterdrücken, jede Strömung, die auch nur einfach sein Gebiet zu berühren
vermochte, zu unterbinden. Darum wird der Ultramontanismus mit Recht als
der größte Feind der Freiheit der Wissenschaft betrachtet.

Mit großem Erstaunen las ich daher in Ur. 1, 1910 der "Stimmen von
Maria-Laach", jenes ausschließlich von Jesuiten geleiteten Blattes, die Empfehlung
eines Buches von Joseph Donat 8. Professor an der Universität Innsbruck.
Es war mit der Approbation seiner Ordensvorgesetzten erschienen und betitelt
sich "Die Freiheit der Wissenschaft". Nach der Kritik war zu erwarten, daß
hier wirklich von einer Freiheit der Wissenschaft die Rede war, und da dies
unter den obwaltenden Umständen höchst erstaunlich gewesen wäre, so habe ich
mich alsbald in das Werk vertieft. Ich kann nur jeden: empfehlen, der
sich über die Freiheit, die die Jesuiten, d. h. die Ultramontanen, meinen,
orientieren will, dieses Buch zur Hand zu nehmen und mit größter Aufmerksamkeit
zu lesen. Dann wird er nicht nur die erstaunlichsten Anschauungen darüber
finden, was ein Jesuit, d. h. ein Ultramontaner, unter Freiheit der Wissenschaft
versteht, sondern er wird auch finden, daß es sich hier nicht um den Streit für
ein religiöses Dogma handelt, sondern um einen Machteingriff in die ganze
moderne Geisteswelt, einen Eingriff, der, wenn er auch nur vom geringsten
Erfolg begleitet wäre, geradezu vernichtend für die geistigen Errungenschaften
der letzten Jahrhunderte sein müßte. Es handelt sich somit nicht um eine
Angelegenheit intra nule>8 einer bestimmten Religionsrichtung, sondern um eine
Angelegenheit der gesamten Menschheit. Das geht schon daraus hervor, daß sich
der Autor nicht nur mit der Bekämpfung religiöser Dogmen durch die Modernisten
beschäftigt, sondern ganz allgemein die gesamte Wissenschaft in das Bereich seiner
Betrachtungen hineinzieht, mit Einschluß der Naturwissenschaften. Gerade hier
aber läßt sich erkennen, wie gefährlich diese Richtung ist, wenn sie zu allgemeiner
oder auch nur zu maßgebender Anerkennung kommen könnte.

Wenn man oberflächlich in das Buch hineinschaut, so findet man ganz
ausgezeichnete Aussprüche darin, die die Freiheit der Wissenschaft verteidigen.
Niemand wäre imstande, das besser auszudrücken, als es durch den Autor an
verschiedenen Stellen geschieht. Man schlage nur die S. 446 auf. Da steht
unter der Überschrift "Freie Universitäten" zu lesen: "Dem modernen Staate
bietet sich noch in anderer Weise Gelegenheit, dafür zu sorgen, daß die gebührende
Lehrfreiheit allen unverkürzt gewahrt bleibe, nämlich durch Gewährung freier
Universitäten, das sind im Gegensatze zu den staatlichen Hochschulen solche, die
der direkten Leitung des Staates nicht unterstehen, sondern in ihren inneren
Angelegenheiten von ihm unabhängig find. Private oder Gesellschaften haben
sie gegründet und leiten sie. Belgien und England, teilweise auch Frankreich,
namentlich aber Amerika besitzen solche." Welcher Liberalismus zeigt sich nicht
in diesen Worten! Aber nun kommt der Haken bei der Sache. Schon


Die Freiheit der Wissenschaft

kritischen Betrachtung, auf welchem Gebiete es immer sei, und die Geschichte des
Ultramontanismus hat gezeigt, daß er von jeher bestrebt war, jedes freie Denken
zu unterdrücken, jede Strömung, die auch nur einfach sein Gebiet zu berühren
vermochte, zu unterbinden. Darum wird der Ultramontanismus mit Recht als
der größte Feind der Freiheit der Wissenschaft betrachtet.

Mit großem Erstaunen las ich daher in Ur. 1, 1910 der „Stimmen von
Maria-Laach", jenes ausschließlich von Jesuiten geleiteten Blattes, die Empfehlung
eines Buches von Joseph Donat 8. Professor an der Universität Innsbruck.
Es war mit der Approbation seiner Ordensvorgesetzten erschienen und betitelt
sich „Die Freiheit der Wissenschaft". Nach der Kritik war zu erwarten, daß
hier wirklich von einer Freiheit der Wissenschaft die Rede war, und da dies
unter den obwaltenden Umständen höchst erstaunlich gewesen wäre, so habe ich
mich alsbald in das Werk vertieft. Ich kann nur jeden: empfehlen, der
sich über die Freiheit, die die Jesuiten, d. h. die Ultramontanen, meinen,
orientieren will, dieses Buch zur Hand zu nehmen und mit größter Aufmerksamkeit
zu lesen. Dann wird er nicht nur die erstaunlichsten Anschauungen darüber
finden, was ein Jesuit, d. h. ein Ultramontaner, unter Freiheit der Wissenschaft
versteht, sondern er wird auch finden, daß es sich hier nicht um den Streit für
ein religiöses Dogma handelt, sondern um einen Machteingriff in die ganze
moderne Geisteswelt, einen Eingriff, der, wenn er auch nur vom geringsten
Erfolg begleitet wäre, geradezu vernichtend für die geistigen Errungenschaften
der letzten Jahrhunderte sein müßte. Es handelt sich somit nicht um eine
Angelegenheit intra nule>8 einer bestimmten Religionsrichtung, sondern um eine
Angelegenheit der gesamten Menschheit. Das geht schon daraus hervor, daß sich
der Autor nicht nur mit der Bekämpfung religiöser Dogmen durch die Modernisten
beschäftigt, sondern ganz allgemein die gesamte Wissenschaft in das Bereich seiner
Betrachtungen hineinzieht, mit Einschluß der Naturwissenschaften. Gerade hier
aber läßt sich erkennen, wie gefährlich diese Richtung ist, wenn sie zu allgemeiner
oder auch nur zu maßgebender Anerkennung kommen könnte.

Wenn man oberflächlich in das Buch hineinschaut, so findet man ganz
ausgezeichnete Aussprüche darin, die die Freiheit der Wissenschaft verteidigen.
Niemand wäre imstande, das besser auszudrücken, als es durch den Autor an
verschiedenen Stellen geschieht. Man schlage nur die S. 446 auf. Da steht
unter der Überschrift „Freie Universitäten" zu lesen: „Dem modernen Staate
bietet sich noch in anderer Weise Gelegenheit, dafür zu sorgen, daß die gebührende
Lehrfreiheit allen unverkürzt gewahrt bleibe, nämlich durch Gewährung freier
Universitäten, das sind im Gegensatze zu den staatlichen Hochschulen solche, die
der direkten Leitung des Staates nicht unterstehen, sondern in ihren inneren
Angelegenheiten von ihm unabhängig find. Private oder Gesellschaften haben
sie gegründet und leiten sie. Belgien und England, teilweise auch Frankreich,
namentlich aber Amerika besitzen solche." Welcher Liberalismus zeigt sich nicht
in diesen Worten! Aber nun kommt der Haken bei der Sache. Schon


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[0359] Die Freiheit der Wissenschaft kritischen Betrachtung, auf welchem Gebiete es immer sei, und die Geschichte des Ultramontanismus hat gezeigt, daß er von jeher bestrebt war, jedes freie Denken zu unterdrücken, jede Strömung, die auch nur einfach sein Gebiet zu berühren vermochte, zu unterbinden. Darum wird der Ultramontanismus mit Recht als der größte Feind der Freiheit der Wissenschaft betrachtet. Mit großem Erstaunen las ich daher in Ur. 1, 1910 der „Stimmen von Maria-Laach", jenes ausschließlich von Jesuiten geleiteten Blattes, die Empfehlung eines Buches von Joseph Donat 8. Professor an der Universität Innsbruck. Es war mit der Approbation seiner Ordensvorgesetzten erschienen und betitelt sich „Die Freiheit der Wissenschaft". Nach der Kritik war zu erwarten, daß hier wirklich von einer Freiheit der Wissenschaft die Rede war, und da dies unter den obwaltenden Umständen höchst erstaunlich gewesen wäre, so habe ich mich alsbald in das Werk vertieft. Ich kann nur jeden: empfehlen, der sich über die Freiheit, die die Jesuiten, d. h. die Ultramontanen, meinen, orientieren will, dieses Buch zur Hand zu nehmen und mit größter Aufmerksamkeit zu lesen. Dann wird er nicht nur die erstaunlichsten Anschauungen darüber finden, was ein Jesuit, d. h. ein Ultramontaner, unter Freiheit der Wissenschaft versteht, sondern er wird auch finden, daß es sich hier nicht um den Streit für ein religiöses Dogma handelt, sondern um einen Machteingriff in die ganze moderne Geisteswelt, einen Eingriff, der, wenn er auch nur vom geringsten Erfolg begleitet wäre, geradezu vernichtend für die geistigen Errungenschaften der letzten Jahrhunderte sein müßte. Es handelt sich somit nicht um eine Angelegenheit intra nule>8 einer bestimmten Religionsrichtung, sondern um eine Angelegenheit der gesamten Menschheit. Das geht schon daraus hervor, daß sich der Autor nicht nur mit der Bekämpfung religiöser Dogmen durch die Modernisten beschäftigt, sondern ganz allgemein die gesamte Wissenschaft in das Bereich seiner Betrachtungen hineinzieht, mit Einschluß der Naturwissenschaften. Gerade hier aber läßt sich erkennen, wie gefährlich diese Richtung ist, wenn sie zu allgemeiner oder auch nur zu maßgebender Anerkennung kommen könnte. Wenn man oberflächlich in das Buch hineinschaut, so findet man ganz ausgezeichnete Aussprüche darin, die die Freiheit der Wissenschaft verteidigen. Niemand wäre imstande, das besser auszudrücken, als es durch den Autor an verschiedenen Stellen geschieht. Man schlage nur die S. 446 auf. Da steht unter der Überschrift „Freie Universitäten" zu lesen: „Dem modernen Staate bietet sich noch in anderer Weise Gelegenheit, dafür zu sorgen, daß die gebührende Lehrfreiheit allen unverkürzt gewahrt bleibe, nämlich durch Gewährung freier Universitäten, das sind im Gegensatze zu den staatlichen Hochschulen solche, die der direkten Leitung des Staates nicht unterstehen, sondern in ihren inneren Angelegenheiten von ihm unabhängig find. Private oder Gesellschaften haben sie gegründet und leiten sie. Belgien und England, teilweise auch Frankreich, namentlich aber Amerika besitzen solche." Welcher Liberalismus zeigt sich nicht in diesen Worten! Aber nun kommt der Haken bei der Sache. Schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/359>, abgerufen am 28.09.2024.