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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium

damit ausgestattet hatte, beauftragten ihren Schuhmacher damit. Der war am
angesehensten, der die größten Verrücktheiten und Verkehrtheiten beging, zum
Beispiel bei dem schönstell Wetter in hohen Stiefeln, bei Kot und Regen aber
in rosafarbenen Seidenstrümpfen und dünnen ausgeschnittenen Schuhen einher¬
stolzierte.

Zum Jncronablegigerltum gehörte es gleichfalls, daß man beim Betreten
eines Salons mit der in die Stirn fallenden echten oder falschen Haarlocke
spielte und in Gesellschaft eine durch Verstümmelung der Sprache beinahe
unverständliche Unterhaltung führte. Wenn man sich dann noch in eine Wolke
von Ambraduft hüllte, konnte man sicher sein, für "äslleieux" befunden zu werden.

Die Taschen eines Jncronable mußten stets mit Bonbons gefüllt sein,
damit er bei jeder Gelegenheit den Damen eine Süßigkeit anbieten konnte.
Dabei aber wurde ein ganz bestimmtes System verfolgt. Alten Damen gab
man "Kondore 5 ig, rebu8". "DraZeeZ a la Korne aventure", jungen Frauen
"Pi8t-tems8 a la ?ÄNLkon", "Pa8ditto8 Zalante8" und "3ni-pri8e8", jungen
Mädchen jedoch "Oöjeunel-8 as I'amour". Selbst die Hunde und Katzen der
Familie, die man besuchte, durften nicht vernachlässigt werden. Für Spitzchen
brachte man gebackene Kringel mit, und Mizi krankte man das seidene Fell
mit einem kleinen Schildpattkamm, den man beständig bei sich führte.

Auch auf die Sprache der Jncroyables dehnte sich das Exzentrische der
Mode aus. Der sehr beliebte Sänger Garat, das Modegigerl wie es im Buche
stand, hatte sich gestattet, die französische Sprache zu "reformieren". Er fand
den Konsonanten "r" zu hart in der Aussprache und ließ ihn daher einfach
ganz weg. Jedermann wollte so sprechen wie Garat. Man sagte also nicht
mehr "parole ä'nonneur", sondern "pa'vie ä'Können'", "8up'eme" statt
"8upremö", inL'o^die" statt "lucro^able", "ins'veilleu8e" statt "merveilleuse".
Auch das Lispeln gehörte zum guten Ton, und anstatt "je vou8 jure" hörte
man sagen "?e on>u8 2ne", u. a. in.

In diesem Wirrwarr aller Dinge spielte die Galanterie keine nebensächliche
Rolle. Die Verdorbenheit der Sitten war bald bis zu dem Punkte angelangt,
daß die Frauen der aufkündigen Gesellschaft sich nichts mehr daraus machten,
wenn ihre Liebesasfären an die Öffentlichkeit lauten. Was früher ängstlich
geheim gehalten wurde, galt jetzt vor den Augen aller Welt als selbstverständlich.
Es gab für die Frauen nichts, was ihnen verboten gewesen wäre; es war ihnen
alles gestattet. Sie konnten, ohne ihrem Ruf zu schaden, einen oder mehrere
Liebhaber neben dem allgetrauten Gatte,: haben, und beim Ehemann war es
sogar "comme it faut". wenn er sich mehrere Mätressen hielt. Die Damen
suchten sich ungezwungen ihre Liebhaber auf der Straße, auf dem öffentlichen
Balle, im Theater und wechselten sie wie ihre Kleider und Perücken. Der
Meistbietende und der, der ihren Launen und ihrer Verschwendungssucht am
willfährigsten entgegenkam, hatte stets den Vorzug. Freie Liebe im freien Staat,
danach strebte ein jeder!


Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium

damit ausgestattet hatte, beauftragten ihren Schuhmacher damit. Der war am
angesehensten, der die größten Verrücktheiten und Verkehrtheiten beging, zum
Beispiel bei dem schönstell Wetter in hohen Stiefeln, bei Kot und Regen aber
in rosafarbenen Seidenstrümpfen und dünnen ausgeschnittenen Schuhen einher¬
stolzierte.

Zum Jncronablegigerltum gehörte es gleichfalls, daß man beim Betreten
eines Salons mit der in die Stirn fallenden echten oder falschen Haarlocke
spielte und in Gesellschaft eine durch Verstümmelung der Sprache beinahe
unverständliche Unterhaltung führte. Wenn man sich dann noch in eine Wolke
von Ambraduft hüllte, konnte man sicher sein, für „äslleieux" befunden zu werden.

Die Taschen eines Jncronable mußten stets mit Bonbons gefüllt sein,
damit er bei jeder Gelegenheit den Damen eine Süßigkeit anbieten konnte.
Dabei aber wurde ein ganz bestimmtes System verfolgt. Alten Damen gab
man „Kondore 5 ig, rebu8". „DraZeeZ a la Korne aventure", jungen Frauen
„Pi8t-tems8 a la ?ÄNLkon", „Pa8ditto8 Zalante8" und „3ni-pri8e8", jungen
Mädchen jedoch „Oöjeunel-8 as I'amour". Selbst die Hunde und Katzen der
Familie, die man besuchte, durften nicht vernachlässigt werden. Für Spitzchen
brachte man gebackene Kringel mit, und Mizi krankte man das seidene Fell
mit einem kleinen Schildpattkamm, den man beständig bei sich führte.

Auch auf die Sprache der Jncroyables dehnte sich das Exzentrische der
Mode aus. Der sehr beliebte Sänger Garat, das Modegigerl wie es im Buche
stand, hatte sich gestattet, die französische Sprache zu „reformieren". Er fand
den Konsonanten „r" zu hart in der Aussprache und ließ ihn daher einfach
ganz weg. Jedermann wollte so sprechen wie Garat. Man sagte also nicht
mehr „parole ä'nonneur", sondern „pa'vie ä'Können'", „8up'eme" statt
„8upremö", inL'o^die" statt „lucro^able", „ins'veilleu8e" statt „merveilleuse".
Auch das Lispeln gehörte zum guten Ton, und anstatt „je vou8 jure" hörte
man sagen „?e on>u8 2ne", u. a. in.

In diesem Wirrwarr aller Dinge spielte die Galanterie keine nebensächliche
Rolle. Die Verdorbenheit der Sitten war bald bis zu dem Punkte angelangt,
daß die Frauen der aufkündigen Gesellschaft sich nichts mehr daraus machten,
wenn ihre Liebesasfären an die Öffentlichkeit lauten. Was früher ängstlich
geheim gehalten wurde, galt jetzt vor den Augen aller Welt als selbstverständlich.
Es gab für die Frauen nichts, was ihnen verboten gewesen wäre; es war ihnen
alles gestattet. Sie konnten, ohne ihrem Ruf zu schaden, einen oder mehrere
Liebhaber neben dem allgetrauten Gatte,: haben, und beim Ehemann war es
sogar „comme it faut". wenn er sich mehrere Mätressen hielt. Die Damen
suchten sich ungezwungen ihre Liebhaber auf der Straße, auf dem öffentlichen
Balle, im Theater und wechselten sie wie ihre Kleider und Perücken. Der
Meistbietende und der, der ihren Launen und ihrer Verschwendungssucht am
willfährigsten entgegenkam, hatte stets den Vorzug. Freie Liebe im freien Staat,
danach strebte ein jeder!


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[0327] Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium damit ausgestattet hatte, beauftragten ihren Schuhmacher damit. Der war am angesehensten, der die größten Verrücktheiten und Verkehrtheiten beging, zum Beispiel bei dem schönstell Wetter in hohen Stiefeln, bei Kot und Regen aber in rosafarbenen Seidenstrümpfen und dünnen ausgeschnittenen Schuhen einher¬ stolzierte. Zum Jncronablegigerltum gehörte es gleichfalls, daß man beim Betreten eines Salons mit der in die Stirn fallenden echten oder falschen Haarlocke spielte und in Gesellschaft eine durch Verstümmelung der Sprache beinahe unverständliche Unterhaltung führte. Wenn man sich dann noch in eine Wolke von Ambraduft hüllte, konnte man sicher sein, für „äslleieux" befunden zu werden. Die Taschen eines Jncronable mußten stets mit Bonbons gefüllt sein, damit er bei jeder Gelegenheit den Damen eine Süßigkeit anbieten konnte. Dabei aber wurde ein ganz bestimmtes System verfolgt. Alten Damen gab man „Kondore 5 ig, rebu8". „DraZeeZ a la Korne aventure", jungen Frauen „Pi8t-tems8 a la ?ÄNLkon", „Pa8ditto8 Zalante8" und „3ni-pri8e8", jungen Mädchen jedoch „Oöjeunel-8 as I'amour". Selbst die Hunde und Katzen der Familie, die man besuchte, durften nicht vernachlässigt werden. Für Spitzchen brachte man gebackene Kringel mit, und Mizi krankte man das seidene Fell mit einem kleinen Schildpattkamm, den man beständig bei sich führte. Auch auf die Sprache der Jncroyables dehnte sich das Exzentrische der Mode aus. Der sehr beliebte Sänger Garat, das Modegigerl wie es im Buche stand, hatte sich gestattet, die französische Sprache zu „reformieren". Er fand den Konsonanten „r" zu hart in der Aussprache und ließ ihn daher einfach ganz weg. Jedermann wollte so sprechen wie Garat. Man sagte also nicht mehr „parole ä'nonneur", sondern „pa'vie ä'Können'", „8up'eme" statt „8upremö", inL'o^die" statt „lucro^able", „ins'veilleu8e" statt „merveilleuse". Auch das Lispeln gehörte zum guten Ton, und anstatt „je vou8 jure" hörte man sagen „?e on>u8 2ne", u. a. in. In diesem Wirrwarr aller Dinge spielte die Galanterie keine nebensächliche Rolle. Die Verdorbenheit der Sitten war bald bis zu dem Punkte angelangt, daß die Frauen der aufkündigen Gesellschaft sich nichts mehr daraus machten, wenn ihre Liebesasfären an die Öffentlichkeit lauten. Was früher ängstlich geheim gehalten wurde, galt jetzt vor den Augen aller Welt als selbstverständlich. Es gab für die Frauen nichts, was ihnen verboten gewesen wäre; es war ihnen alles gestattet. Sie konnten, ohne ihrem Ruf zu schaden, einen oder mehrere Liebhaber neben dem allgetrauten Gatte,: haben, und beim Ehemann war es sogar „comme it faut". wenn er sich mehrere Mätressen hielt. Die Damen suchten sich ungezwungen ihre Liebhaber auf der Straße, auf dem öffentlichen Balle, im Theater und wechselten sie wie ihre Kleider und Perücken. Der Meistbietende und der, der ihren Launen und ihrer Verschwendungssucht am willfährigsten entgegenkam, hatte stets den Vorzug. Freie Liebe im freien Staat, danach strebte ein jeder!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/327>, abgerufen am 28.09.2024.