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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium

made erschienen. Eine andere trug ein leichtes Gewand, das nur bis unter
die Brust hinaufreichte.

Wie bei einer Maskerade erhielten die Kleider Namen, und zwar wählte
man diese mit Vorliebe aus der Mythologie. So besaß man Toiletten ä ig,
Juno, ä la Ceres, ü la Flora, a la Minerva, ü la Diana; man frisierte sich
5 Ick Titus, a la Caracalla. Es gab Kopfbedeckungen a w iolls, a la justiLS,
ü I'Kumsnite und seidene Schals "sanZ-cke-boeuf". Für Kleider und
Hüte wurden die fabelhaftesten Preise bezahlt. Ein mit Seide eingefaßtes
Batistkleid wurde für 2500 Francs und ein Tüllkleid für 1040 Francs verkauft.

Großen Luxus trieben die Damen in Sportkleidern; die kühnen Amazonen
und Nosselenkerinnen ließen dabei ihrer Phantasie den freiesten Lauf. Das
Selbstkutschiereu der Damen war hohe Mode geworden. Man sah sie, mit
ihren Männern oder Geliebten an der Seite, in den gewagtesten antiken
Kostümen oder auch im verführerischen "OL8tmbiIIe" mit nackten Armen durch
die Straßen fahren, höchstens, daß ein indischer Kaschmir- oder englischer
Spitzenschal leicht die Schultern bedeckte.

Diese Schals, die oft viele Tausende wert waren, verwendete man auch
als Kopfputz. Bezeichnend für die damalige Verschwendungssucht ist folgendes
Geschichtchen, daß uns der Komponist Blangini in seinen Memoiren überliefert.
Er wollte Madame Tallien einen Besuch machen und mußte in ihren: Salon
warten, weil sie sich gerade frisieren ließ. "Ich hatte", erzählt er, "wenigstens
eine halbe Stunde gewartet, als das Kammermädchen der Frau Tallien kam.
Sie ließ sich entschuldigen und mich bitten, in ihr Ankleidezimmer einzutreten.
Dort sah ich zum ersten Male eine der großen Berühmtheiten der Zeit: den
weltbekannten Friseur Duplan, um dessen Dienste sich später zwei Kaiserinnen
bemühten. Als ich in das stark duftende Heiligtum eintrat, war Dupla neben
dabei, einen wundervollen englischen Spitzenschal in seinen Händen zu zerkimllen;
er sollte einen Teil des Kopfschmuckes der Madame Tallien bilden. Duplan
probierte ihn bald so, bald so auf dem Kopfe der Dame, überlegte prüfend
hin und her, kam aber zu keinem Entschluß. Plötzlich schien er einen genialen
Einfall zu haben, denn er sagte feierlich: ' "Madame, der Schal ist zu groß.
Niemals würde ich damit eine Ihrer und meiner würdige Frisur zustande
bringen." Darauf schellte Madame ihrem Kammermädchen. Sie kam, bewaffnete
den Künstler mit einer Schere und Duplan schnitt einfach den Schleier, der
wenigstens 6 bis 8000 Francs gekostet hatte, in viele kleine Stücke."

So waren die Zeiten: für eine Frisur, eine Modelaune, durch die man
für einige Stunden des Abends zur Königin wurde, opferte man gern ein
paar tausend Francs!

Eine große Rolle spielten bei der weiblichen Toilette, besonders in der
Zeit kurz nach dem zweiten Thermidor, aber auch noch unter dem Direktorium,
die Perücken, und unter diesen wieder die blonden. Es gehörte zum guten Ton,
jeden Tag eine andere zu tragen. Man wechselte in den Nuancen vom


Grenzboten II 1910 41)
Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium

made erschienen. Eine andere trug ein leichtes Gewand, das nur bis unter
die Brust hinaufreichte.

Wie bei einer Maskerade erhielten die Kleider Namen, und zwar wählte
man diese mit Vorliebe aus der Mythologie. So besaß man Toiletten ä ig,
Juno, ä la Ceres, ü la Flora, a la Minerva, ü la Diana; man frisierte sich
5 Ick Titus, a la Caracalla. Es gab Kopfbedeckungen a w iolls, a la justiLS,
ü I'Kumsnite und seidene Schals „sanZ-cke-boeuf". Für Kleider und
Hüte wurden die fabelhaftesten Preise bezahlt. Ein mit Seide eingefaßtes
Batistkleid wurde für 2500 Francs und ein Tüllkleid für 1040 Francs verkauft.

Großen Luxus trieben die Damen in Sportkleidern; die kühnen Amazonen
und Nosselenkerinnen ließen dabei ihrer Phantasie den freiesten Lauf. Das
Selbstkutschiereu der Damen war hohe Mode geworden. Man sah sie, mit
ihren Männern oder Geliebten an der Seite, in den gewagtesten antiken
Kostümen oder auch im verführerischen „OL8tmbiIIe" mit nackten Armen durch
die Straßen fahren, höchstens, daß ein indischer Kaschmir- oder englischer
Spitzenschal leicht die Schultern bedeckte.

Diese Schals, die oft viele Tausende wert waren, verwendete man auch
als Kopfputz. Bezeichnend für die damalige Verschwendungssucht ist folgendes
Geschichtchen, daß uns der Komponist Blangini in seinen Memoiren überliefert.
Er wollte Madame Tallien einen Besuch machen und mußte in ihren: Salon
warten, weil sie sich gerade frisieren ließ. „Ich hatte", erzählt er, „wenigstens
eine halbe Stunde gewartet, als das Kammermädchen der Frau Tallien kam.
Sie ließ sich entschuldigen und mich bitten, in ihr Ankleidezimmer einzutreten.
Dort sah ich zum ersten Male eine der großen Berühmtheiten der Zeit: den
weltbekannten Friseur Duplan, um dessen Dienste sich später zwei Kaiserinnen
bemühten. Als ich in das stark duftende Heiligtum eintrat, war Dupla neben
dabei, einen wundervollen englischen Spitzenschal in seinen Händen zu zerkimllen;
er sollte einen Teil des Kopfschmuckes der Madame Tallien bilden. Duplan
probierte ihn bald so, bald so auf dem Kopfe der Dame, überlegte prüfend
hin und her, kam aber zu keinem Entschluß. Plötzlich schien er einen genialen
Einfall zu haben, denn er sagte feierlich: ' „Madame, der Schal ist zu groß.
Niemals würde ich damit eine Ihrer und meiner würdige Frisur zustande
bringen." Darauf schellte Madame ihrem Kammermädchen. Sie kam, bewaffnete
den Künstler mit einer Schere und Duplan schnitt einfach den Schleier, der
wenigstens 6 bis 8000 Francs gekostet hatte, in viele kleine Stücke."

So waren die Zeiten: für eine Frisur, eine Modelaune, durch die man
für einige Stunden des Abends zur Königin wurde, opferte man gern ein
paar tausend Francs!

Eine große Rolle spielten bei der weiblichen Toilette, besonders in der
Zeit kurz nach dem zweiten Thermidor, aber auch noch unter dem Direktorium,
die Perücken, und unter diesen wieder die blonden. Es gehörte zum guten Ton,
jeden Tag eine andere zu tragen. Man wechselte in den Nuancen vom


Grenzboten II 1910 41)
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[0325] Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium made erschienen. Eine andere trug ein leichtes Gewand, das nur bis unter die Brust hinaufreichte. Wie bei einer Maskerade erhielten die Kleider Namen, und zwar wählte man diese mit Vorliebe aus der Mythologie. So besaß man Toiletten ä ig, Juno, ä la Ceres, ü la Flora, a la Minerva, ü la Diana; man frisierte sich 5 Ick Titus, a la Caracalla. Es gab Kopfbedeckungen a w iolls, a la justiLS, ü I'Kumsnite und seidene Schals „sanZ-cke-boeuf". Für Kleider und Hüte wurden die fabelhaftesten Preise bezahlt. Ein mit Seide eingefaßtes Batistkleid wurde für 2500 Francs und ein Tüllkleid für 1040 Francs verkauft. Großen Luxus trieben die Damen in Sportkleidern; die kühnen Amazonen und Nosselenkerinnen ließen dabei ihrer Phantasie den freiesten Lauf. Das Selbstkutschiereu der Damen war hohe Mode geworden. Man sah sie, mit ihren Männern oder Geliebten an der Seite, in den gewagtesten antiken Kostümen oder auch im verführerischen „OL8tmbiIIe" mit nackten Armen durch die Straßen fahren, höchstens, daß ein indischer Kaschmir- oder englischer Spitzenschal leicht die Schultern bedeckte. Diese Schals, die oft viele Tausende wert waren, verwendete man auch als Kopfputz. Bezeichnend für die damalige Verschwendungssucht ist folgendes Geschichtchen, daß uns der Komponist Blangini in seinen Memoiren überliefert. Er wollte Madame Tallien einen Besuch machen und mußte in ihren: Salon warten, weil sie sich gerade frisieren ließ. „Ich hatte", erzählt er, „wenigstens eine halbe Stunde gewartet, als das Kammermädchen der Frau Tallien kam. Sie ließ sich entschuldigen und mich bitten, in ihr Ankleidezimmer einzutreten. Dort sah ich zum ersten Male eine der großen Berühmtheiten der Zeit: den weltbekannten Friseur Duplan, um dessen Dienste sich später zwei Kaiserinnen bemühten. Als ich in das stark duftende Heiligtum eintrat, war Dupla neben dabei, einen wundervollen englischen Spitzenschal in seinen Händen zu zerkimllen; er sollte einen Teil des Kopfschmuckes der Madame Tallien bilden. Duplan probierte ihn bald so, bald so auf dem Kopfe der Dame, überlegte prüfend hin und her, kam aber zu keinem Entschluß. Plötzlich schien er einen genialen Einfall zu haben, denn er sagte feierlich: ' „Madame, der Schal ist zu groß. Niemals würde ich damit eine Ihrer und meiner würdige Frisur zustande bringen." Darauf schellte Madame ihrem Kammermädchen. Sie kam, bewaffnete den Künstler mit einer Schere und Duplan schnitt einfach den Schleier, der wenigstens 6 bis 8000 Francs gekostet hatte, in viele kleine Stücke." So waren die Zeiten: für eine Frisur, eine Modelaune, durch die man für einige Stunden des Abends zur Königin wurde, opferte man gern ein paar tausend Francs! Eine große Rolle spielten bei der weiblichen Toilette, besonders in der Zeit kurz nach dem zweiten Thermidor, aber auch noch unter dem Direktorium, die Perücken, und unter diesen wieder die blonden. Es gehörte zum guten Ton, jeden Tag eine andere zu tragen. Man wechselte in den Nuancen vom Grenzboten II 1910 41)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/325>, abgerufen am 29.06.2024.