Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium

waren aus den: niedrigsten Volk hervorgegangen, die Armeelieferanten konnten
kaum lesen und schreiben, die Emporkömmlinge von heute waren noch gestern
Börsemvucherer gewesen und hatten sich ihr ungeheures Vermögen in ein paar
Monaten zusammengerafft. Dagegen aber tanzte, aß und spielte man bei
Madame Tallien in ausgiebigen Maße. Bisweilen wurde auch musiziere und
deklamiert. Theresia verfügte ja über alle denkbaren Talente und wußte ihre
Gesellschaft zu unterhalten, wenn auch nicht immer nach deren Geschmack.
Liebesintrigen wurden ebensogut wie politische Intrigen in den Salons der
Madame Tallien angeknüpft und weitergesponnen. Auch harmlose Liebesspiele,
wo der Kuß die Hauptsache war, fanden Beifall. Der Publizist Lacretelle
rühmte sich einst nach einem solchen Abend, den Arm der schönen Wirtin
geküßt zu haben und verglich ihn mit dem der Venus des Kapitols.

Wie die Gewohnheiten dieser neuen Gesellschaft, so waren auch die Moden:
frei, kühn, überspannt! Die Frauen oder "I.e8 merveilleuges", wie sie
genannt wurden, hatten das griechische oder römische Kostüm gewählt. Hals,
Brust, Arme und Füße waren nackt und mit kostbaren Geschmeiden behängen;
sogar an den Fußzehen trug man Diamantringe. Die Knöchel, und nicht
selten auch die Schenkel, umspannten schmale Goldreifen. Die Damen hüllten
sich in durchsichtige Stoffe, welche die mit fleischfarbenen Trikots bedeckten
Körperformen nicht nur ahnen ließen, sondern sie dem Auge des Beschauers
vollkommen preisgaben.

Im Jahre 1799 erfanden die Pariserinnen eine besonders raffinierte
Einzelheit ihrer Kleidung. Es sollte, wie das "Journal des Dames et des
Motes" behauptete, "deu Lilienschimmer einer schönen Brust und ihren natür¬
lichen Schmuck, das Nosenknöspchen, noch rosiger erscheinen lassen". Es handelte
sich dabei um ein schmales, in der Art einer Kette um den Hals geschlungenes
schwarzes Saalband, das unter der linken Brust, die entweder ganz entblößt
oder nur von einem dünnen Gewebe bedeckt war, mit einer Diamantnadel
befestigt wurde.

Selbst das unentbehrlichste Kleidungsstück, das Hemd, war sür einige
Zeit aus der Garderobe einer Elegante": von damals ausgeschlossen, daher der
Name der "ZanZ-LNsmisss" im Gegensatz zu den "Lans-LuIotteZ". Eine
der ersten dieser Nymphen sah man in den Champs Elvsees nur mit einem
auf Gaze gearbeiteten Tüllkleid angetan, so daß man deutlich die Farbe ihrer
Strumpfbänder unterscheiden konnte. Auf einen: Ball erschien ein ganz
junges Mädchen so wenig bekleidet, daß sie sogar in dieser sittenlosen Zeit stark
kritisiert, ja ausgepfiffen wurde. Sie war schließlich gezwungen, die Nacktheit
ihrer kaum erblühten Formen durch einen anständigeren Anzug etwas mehr zu
verbergen. Im Jahre 1797 trieben es zwei Damen -- es waren Frauen der
guten Gesellschaft, keine Dirnen -- so weit, daß sie, ganz wie sie die Natur
geschaffen hatte, nicht einmal mit dem üblichen Trikot gekleidet, sondern nur
in einen dünnen Gazeschleier gehüllt, auf der mit Menschen überfüllten Prome-


Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium

waren aus den: niedrigsten Volk hervorgegangen, die Armeelieferanten konnten
kaum lesen und schreiben, die Emporkömmlinge von heute waren noch gestern
Börsemvucherer gewesen und hatten sich ihr ungeheures Vermögen in ein paar
Monaten zusammengerafft. Dagegen aber tanzte, aß und spielte man bei
Madame Tallien in ausgiebigen Maße. Bisweilen wurde auch musiziere und
deklamiert. Theresia verfügte ja über alle denkbaren Talente und wußte ihre
Gesellschaft zu unterhalten, wenn auch nicht immer nach deren Geschmack.
Liebesintrigen wurden ebensogut wie politische Intrigen in den Salons der
Madame Tallien angeknüpft und weitergesponnen. Auch harmlose Liebesspiele,
wo der Kuß die Hauptsache war, fanden Beifall. Der Publizist Lacretelle
rühmte sich einst nach einem solchen Abend, den Arm der schönen Wirtin
geküßt zu haben und verglich ihn mit dem der Venus des Kapitols.

Wie die Gewohnheiten dieser neuen Gesellschaft, so waren auch die Moden:
frei, kühn, überspannt! Die Frauen oder „I.e8 merveilleuges", wie sie
genannt wurden, hatten das griechische oder römische Kostüm gewählt. Hals,
Brust, Arme und Füße waren nackt und mit kostbaren Geschmeiden behängen;
sogar an den Fußzehen trug man Diamantringe. Die Knöchel, und nicht
selten auch die Schenkel, umspannten schmale Goldreifen. Die Damen hüllten
sich in durchsichtige Stoffe, welche die mit fleischfarbenen Trikots bedeckten
Körperformen nicht nur ahnen ließen, sondern sie dem Auge des Beschauers
vollkommen preisgaben.

Im Jahre 1799 erfanden die Pariserinnen eine besonders raffinierte
Einzelheit ihrer Kleidung. Es sollte, wie das „Journal des Dames et des
Motes" behauptete, „deu Lilienschimmer einer schönen Brust und ihren natür¬
lichen Schmuck, das Nosenknöspchen, noch rosiger erscheinen lassen". Es handelte
sich dabei um ein schmales, in der Art einer Kette um den Hals geschlungenes
schwarzes Saalband, das unter der linken Brust, die entweder ganz entblößt
oder nur von einem dünnen Gewebe bedeckt war, mit einer Diamantnadel
befestigt wurde.

Selbst das unentbehrlichste Kleidungsstück, das Hemd, war sür einige
Zeit aus der Garderobe einer Elegante«: von damals ausgeschlossen, daher der
Name der „ZanZ-LNsmisss" im Gegensatz zu den „Lans-LuIotteZ". Eine
der ersten dieser Nymphen sah man in den Champs Elvsees nur mit einem
auf Gaze gearbeiteten Tüllkleid angetan, so daß man deutlich die Farbe ihrer
Strumpfbänder unterscheiden konnte. Auf einen: Ball erschien ein ganz
junges Mädchen so wenig bekleidet, daß sie sogar in dieser sittenlosen Zeit stark
kritisiert, ja ausgepfiffen wurde. Sie war schließlich gezwungen, die Nacktheit
ihrer kaum erblühten Formen durch einen anständigeren Anzug etwas mehr zu
verbergen. Im Jahre 1797 trieben es zwei Damen — es waren Frauen der
guten Gesellschaft, keine Dirnen — so weit, daß sie, ganz wie sie die Natur
geschaffen hatte, nicht einmal mit dem üblichen Trikot gekleidet, sondern nur
in einen dünnen Gazeschleier gehüllt, auf der mit Menschen überfüllten Prome-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315963"/>
          <fw type="header" place="top"> Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1863" prev="#ID_1862"> waren aus den: niedrigsten Volk hervorgegangen, die Armeelieferanten konnten<lb/>
kaum lesen und schreiben, die Emporkömmlinge von heute waren noch gestern<lb/>
Börsemvucherer gewesen und hatten sich ihr ungeheures Vermögen in ein paar<lb/>
Monaten zusammengerafft. Dagegen aber tanzte, aß und spielte man bei<lb/>
Madame Tallien in ausgiebigen Maße. Bisweilen wurde auch musiziere und<lb/>
deklamiert. Theresia verfügte ja über alle denkbaren Talente und wußte ihre<lb/>
Gesellschaft zu unterhalten, wenn auch nicht immer nach deren Geschmack.<lb/>
Liebesintrigen wurden ebensogut wie politische Intrigen in den Salons der<lb/>
Madame Tallien angeknüpft und weitergesponnen. Auch harmlose Liebesspiele,<lb/>
wo der Kuß die Hauptsache war, fanden Beifall. Der Publizist Lacretelle<lb/>
rühmte sich einst nach einem solchen Abend, den Arm der schönen Wirtin<lb/>
geküßt zu haben und verglich ihn mit dem der Venus des Kapitols.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1864"> Wie die Gewohnheiten dieser neuen Gesellschaft, so waren auch die Moden:<lb/>
frei, kühn, überspannt! Die Frauen oder &#x201E;I.e8 merveilleuges", wie sie<lb/>
genannt wurden, hatten das griechische oder römische Kostüm gewählt. Hals,<lb/>
Brust, Arme und Füße waren nackt und mit kostbaren Geschmeiden behängen;<lb/>
sogar an den Fußzehen trug man Diamantringe. Die Knöchel, und nicht<lb/>
selten auch die Schenkel, umspannten schmale Goldreifen. Die Damen hüllten<lb/>
sich in durchsichtige Stoffe, welche die mit fleischfarbenen Trikots bedeckten<lb/>
Körperformen nicht nur ahnen ließen, sondern sie dem Auge des Beschauers<lb/>
vollkommen preisgaben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1865"> Im Jahre 1799 erfanden die Pariserinnen eine besonders raffinierte<lb/>
Einzelheit ihrer Kleidung. Es sollte, wie das &#x201E;Journal des Dames et des<lb/>
Motes" behauptete, &#x201E;deu Lilienschimmer einer schönen Brust und ihren natür¬<lb/>
lichen Schmuck, das Nosenknöspchen, noch rosiger erscheinen lassen". Es handelte<lb/>
sich dabei um ein schmales, in der Art einer Kette um den Hals geschlungenes<lb/>
schwarzes Saalband, das unter der linken Brust, die entweder ganz entblößt<lb/>
oder nur von einem dünnen Gewebe bedeckt war, mit einer Diamantnadel<lb/>
befestigt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1866" next="#ID_1867"> Selbst das unentbehrlichste Kleidungsstück, das Hemd, war sür einige<lb/>
Zeit aus der Garderobe einer Elegante«: von damals ausgeschlossen, daher der<lb/>
Name der &#x201E;ZanZ-LNsmisss" im Gegensatz zu den &#x201E;Lans-LuIotteZ". Eine<lb/>
der ersten dieser Nymphen sah man in den Champs Elvsees nur mit einem<lb/>
auf Gaze gearbeiteten Tüllkleid angetan, so daß man deutlich die Farbe ihrer<lb/>
Strumpfbänder unterscheiden konnte. Auf einen: Ball erschien ein ganz<lb/>
junges Mädchen so wenig bekleidet, daß sie sogar in dieser sittenlosen Zeit stark<lb/>
kritisiert, ja ausgepfiffen wurde. Sie war schließlich gezwungen, die Nacktheit<lb/>
ihrer kaum erblühten Formen durch einen anständigeren Anzug etwas mehr zu<lb/>
verbergen. Im Jahre 1797 trieben es zwei Damen &#x2014; es waren Frauen der<lb/>
guten Gesellschaft, keine Dirnen &#x2014; so weit, daß sie, ganz wie sie die Natur<lb/>
geschaffen hatte, nicht einmal mit dem üblichen Trikot gekleidet, sondern nur<lb/>
in einen dünnen Gazeschleier gehüllt, auf der mit Menschen überfüllten Prome-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0324] Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium waren aus den: niedrigsten Volk hervorgegangen, die Armeelieferanten konnten kaum lesen und schreiben, die Emporkömmlinge von heute waren noch gestern Börsemvucherer gewesen und hatten sich ihr ungeheures Vermögen in ein paar Monaten zusammengerafft. Dagegen aber tanzte, aß und spielte man bei Madame Tallien in ausgiebigen Maße. Bisweilen wurde auch musiziere und deklamiert. Theresia verfügte ja über alle denkbaren Talente und wußte ihre Gesellschaft zu unterhalten, wenn auch nicht immer nach deren Geschmack. Liebesintrigen wurden ebensogut wie politische Intrigen in den Salons der Madame Tallien angeknüpft und weitergesponnen. Auch harmlose Liebesspiele, wo der Kuß die Hauptsache war, fanden Beifall. Der Publizist Lacretelle rühmte sich einst nach einem solchen Abend, den Arm der schönen Wirtin geküßt zu haben und verglich ihn mit dem der Venus des Kapitols. Wie die Gewohnheiten dieser neuen Gesellschaft, so waren auch die Moden: frei, kühn, überspannt! Die Frauen oder „I.e8 merveilleuges", wie sie genannt wurden, hatten das griechische oder römische Kostüm gewählt. Hals, Brust, Arme und Füße waren nackt und mit kostbaren Geschmeiden behängen; sogar an den Fußzehen trug man Diamantringe. Die Knöchel, und nicht selten auch die Schenkel, umspannten schmale Goldreifen. Die Damen hüllten sich in durchsichtige Stoffe, welche die mit fleischfarbenen Trikots bedeckten Körperformen nicht nur ahnen ließen, sondern sie dem Auge des Beschauers vollkommen preisgaben. Im Jahre 1799 erfanden die Pariserinnen eine besonders raffinierte Einzelheit ihrer Kleidung. Es sollte, wie das „Journal des Dames et des Motes" behauptete, „deu Lilienschimmer einer schönen Brust und ihren natür¬ lichen Schmuck, das Nosenknöspchen, noch rosiger erscheinen lassen". Es handelte sich dabei um ein schmales, in der Art einer Kette um den Hals geschlungenes schwarzes Saalband, das unter der linken Brust, die entweder ganz entblößt oder nur von einem dünnen Gewebe bedeckt war, mit einer Diamantnadel befestigt wurde. Selbst das unentbehrlichste Kleidungsstück, das Hemd, war sür einige Zeit aus der Garderobe einer Elegante«: von damals ausgeschlossen, daher der Name der „ZanZ-LNsmisss" im Gegensatz zu den „Lans-LuIotteZ". Eine der ersten dieser Nymphen sah man in den Champs Elvsees nur mit einem auf Gaze gearbeiteten Tüllkleid angetan, so daß man deutlich die Farbe ihrer Strumpfbänder unterscheiden konnte. Auf einen: Ball erschien ein ganz junges Mädchen so wenig bekleidet, daß sie sogar in dieser sittenlosen Zeit stark kritisiert, ja ausgepfiffen wurde. Sie war schließlich gezwungen, die Nacktheit ihrer kaum erblühten Formen durch einen anständigeren Anzug etwas mehr zu verbergen. Im Jahre 1797 trieben es zwei Damen — es waren Frauen der guten Gesellschaft, keine Dirnen — so weit, daß sie, ganz wie sie die Natur geschaffen hatte, nicht einmal mit dem üblichen Trikot gekleidet, sondern nur in einen dünnen Gazeschleier gehüllt, auf der mit Menschen überfüllten Prome-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/324
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/324>, abgerufen am 29.06.2024.