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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gesellschaft, Sitten und Salons nnter dem Direktorium

mit allen nötigen Gerätschaften war vorhanden. Auf die schriftstellerische Tätigkeit
deutete ein offener, mit Büchern und Papieren angefüllter Sekretär. Im Bücher¬
schrank standen die Bände unordentlich durcheinander, als wenn eine wißbegierige
Hand vor wenigen Augenblicken darin gesucht hätte. Selbst die gebräuchlichste
Beschäftigung der Damen war nicht außer acht gelassen: ein Stickrahmen mit
angefangenen Muster. Die Herrin des Hauses mußte über viele Talente verfügen!

In diesen Räumen wußte Theresia Tallien eine Welt zu versammeln, die
an Verschiedenheit nichts zu wünschen übrig ließ. Ihre Salons waren immer
besucht, aber es war eine aus allen möglichen Elementen zusammengesetzte
Gesellschaft, die sich hier zusammenfand. Deputierte, die den Sturz Robespierres
herbeigeführt, Mitglieder der alten Gesellschaft, Adlige und Diplomaten, Finanz-
und Geschäftsleute, Jakobiner und Gemäßigte, Royalisten und Republikaner
ginget! friedlich nebeneinander bei Theresia aus und ein.

Sie verstand es, sich ihren Kreis zu bilden, in dem sie, umgeben von
allen Musen, doch immer die Göttin blieb. Sie verstand es, eine Menge
schöner Frauen des alten Frankreich wieder ans Licht zu ziehen. Bei ihr sah
man die pikante, nicht geistlose und äußerst kokette Madame Hainguerlot; ihr
lagen alle Künstler und Dichter zu Füßen. Da war die Bürgerin Mailly de
ClMeaureuault, die geschmeidige, elegante Kreolin Marquise de Beauharnais,
die blonde livländische Baronin von Krüdener, die sich durch ihren Mysticismus
interessant zu machen wußte, die Halbmulattin Hamelin, die Göttin der Nackt¬
heit, deren wenig verhüllte braune, plastische Formen alle Blicke der Jncronäbles
auf sich zogen. Ferner die wunderschöne Julie Necamier, die inmitten all der
Unsittlichkeit ehrbar geblieben: Allerdings hatte dies wohl seinen Grund in
einem Naturfehler der reizenden Frau.

Von den Herren waren vertreten: der genußsüchtige Direktor Barras,
der elegante Freron, der Bankier Necamier, der im Prinzip sehr moralische
Chsteaurenault, dem man aber nichtsdestoweniger alle Unmoralitäten mit Frau
von Chastenay nachsagte, ferner Ssguin, Hottinger, Hoffmann und der frei¬
gebige Ouvrard. Der Sänger Garat verdiente wie so viele andere ihre
Dankbarkeit dadurch, daß er einer ihrer getreuen Satelliten ward und fast jeden
Abend in ihrem Salon seine herrliche Stimme hören ließ. Seine Begleiter auf
dem Klavier waren entweder Cherubini oder Mehul.

Den Mittelpunkt aber bildete die unvergleichlich schöne, in der Blüte ihrer
Jugend stehende Herrin des Hauses. Sie war griechisch gekleidet. Goldspangen
umspannten ihre seitdem Knöchel und herrlich geformten Arme. Ihre Augen
leuchteten, ihr sinnlicher Mund lächelte siegreich über all die bewundernden
Blicke, die der Schwarm der jungen Gecken ihr zollte. Die Gläser flogen an
die Augen und: "Parole ä'Konneul' vietimee, Leite kenne e8t äelirante"
riefen sie sich gegenseitig zu.

Eine besonders geistreiche Unterhaltung durfte man in der "Chaumiere"
nicht suchen. Wie sollte man auch? Die meisten der anwesenden Politiker


Gesellschaft, Sitten und Salons nnter dem Direktorium

mit allen nötigen Gerätschaften war vorhanden. Auf die schriftstellerische Tätigkeit
deutete ein offener, mit Büchern und Papieren angefüllter Sekretär. Im Bücher¬
schrank standen die Bände unordentlich durcheinander, als wenn eine wißbegierige
Hand vor wenigen Augenblicken darin gesucht hätte. Selbst die gebräuchlichste
Beschäftigung der Damen war nicht außer acht gelassen: ein Stickrahmen mit
angefangenen Muster. Die Herrin des Hauses mußte über viele Talente verfügen!

In diesen Räumen wußte Theresia Tallien eine Welt zu versammeln, die
an Verschiedenheit nichts zu wünschen übrig ließ. Ihre Salons waren immer
besucht, aber es war eine aus allen möglichen Elementen zusammengesetzte
Gesellschaft, die sich hier zusammenfand. Deputierte, die den Sturz Robespierres
herbeigeführt, Mitglieder der alten Gesellschaft, Adlige und Diplomaten, Finanz-
und Geschäftsleute, Jakobiner und Gemäßigte, Royalisten und Republikaner
ginget! friedlich nebeneinander bei Theresia aus und ein.

Sie verstand es, sich ihren Kreis zu bilden, in dem sie, umgeben von
allen Musen, doch immer die Göttin blieb. Sie verstand es, eine Menge
schöner Frauen des alten Frankreich wieder ans Licht zu ziehen. Bei ihr sah
man die pikante, nicht geistlose und äußerst kokette Madame Hainguerlot; ihr
lagen alle Künstler und Dichter zu Füßen. Da war die Bürgerin Mailly de
ClMeaureuault, die geschmeidige, elegante Kreolin Marquise de Beauharnais,
die blonde livländische Baronin von Krüdener, die sich durch ihren Mysticismus
interessant zu machen wußte, die Halbmulattin Hamelin, die Göttin der Nackt¬
heit, deren wenig verhüllte braune, plastische Formen alle Blicke der Jncronäbles
auf sich zogen. Ferner die wunderschöne Julie Necamier, die inmitten all der
Unsittlichkeit ehrbar geblieben: Allerdings hatte dies wohl seinen Grund in
einem Naturfehler der reizenden Frau.

Von den Herren waren vertreten: der genußsüchtige Direktor Barras,
der elegante Freron, der Bankier Necamier, der im Prinzip sehr moralische
Chsteaurenault, dem man aber nichtsdestoweniger alle Unmoralitäten mit Frau
von Chastenay nachsagte, ferner Ssguin, Hottinger, Hoffmann und der frei¬
gebige Ouvrard. Der Sänger Garat verdiente wie so viele andere ihre
Dankbarkeit dadurch, daß er einer ihrer getreuen Satelliten ward und fast jeden
Abend in ihrem Salon seine herrliche Stimme hören ließ. Seine Begleiter auf
dem Klavier waren entweder Cherubini oder Mehul.

Den Mittelpunkt aber bildete die unvergleichlich schöne, in der Blüte ihrer
Jugend stehende Herrin des Hauses. Sie war griechisch gekleidet. Goldspangen
umspannten ihre seitdem Knöchel und herrlich geformten Arme. Ihre Augen
leuchteten, ihr sinnlicher Mund lächelte siegreich über all die bewundernden
Blicke, die der Schwarm der jungen Gecken ihr zollte. Die Gläser flogen an
die Augen und: „Parole ä'Konneul' vietimee, Leite kenne e8t äelirante"
riefen sie sich gegenseitig zu.

Eine besonders geistreiche Unterhaltung durfte man in der „Chaumiere"
nicht suchen. Wie sollte man auch? Die meisten der anwesenden Politiker


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[0323] Gesellschaft, Sitten und Salons nnter dem Direktorium mit allen nötigen Gerätschaften war vorhanden. Auf die schriftstellerische Tätigkeit deutete ein offener, mit Büchern und Papieren angefüllter Sekretär. Im Bücher¬ schrank standen die Bände unordentlich durcheinander, als wenn eine wißbegierige Hand vor wenigen Augenblicken darin gesucht hätte. Selbst die gebräuchlichste Beschäftigung der Damen war nicht außer acht gelassen: ein Stickrahmen mit angefangenen Muster. Die Herrin des Hauses mußte über viele Talente verfügen! In diesen Räumen wußte Theresia Tallien eine Welt zu versammeln, die an Verschiedenheit nichts zu wünschen übrig ließ. Ihre Salons waren immer besucht, aber es war eine aus allen möglichen Elementen zusammengesetzte Gesellschaft, die sich hier zusammenfand. Deputierte, die den Sturz Robespierres herbeigeführt, Mitglieder der alten Gesellschaft, Adlige und Diplomaten, Finanz- und Geschäftsleute, Jakobiner und Gemäßigte, Royalisten und Republikaner ginget! friedlich nebeneinander bei Theresia aus und ein. Sie verstand es, sich ihren Kreis zu bilden, in dem sie, umgeben von allen Musen, doch immer die Göttin blieb. Sie verstand es, eine Menge schöner Frauen des alten Frankreich wieder ans Licht zu ziehen. Bei ihr sah man die pikante, nicht geistlose und äußerst kokette Madame Hainguerlot; ihr lagen alle Künstler und Dichter zu Füßen. Da war die Bürgerin Mailly de ClMeaureuault, die geschmeidige, elegante Kreolin Marquise de Beauharnais, die blonde livländische Baronin von Krüdener, die sich durch ihren Mysticismus interessant zu machen wußte, die Halbmulattin Hamelin, die Göttin der Nackt¬ heit, deren wenig verhüllte braune, plastische Formen alle Blicke der Jncronäbles auf sich zogen. Ferner die wunderschöne Julie Necamier, die inmitten all der Unsittlichkeit ehrbar geblieben: Allerdings hatte dies wohl seinen Grund in einem Naturfehler der reizenden Frau. Von den Herren waren vertreten: der genußsüchtige Direktor Barras, der elegante Freron, der Bankier Necamier, der im Prinzip sehr moralische Chsteaurenault, dem man aber nichtsdestoweniger alle Unmoralitäten mit Frau von Chastenay nachsagte, ferner Ssguin, Hottinger, Hoffmann und der frei¬ gebige Ouvrard. Der Sänger Garat verdiente wie so viele andere ihre Dankbarkeit dadurch, daß er einer ihrer getreuen Satelliten ward und fast jeden Abend in ihrem Salon seine herrliche Stimme hören ließ. Seine Begleiter auf dem Klavier waren entweder Cherubini oder Mehul. Den Mittelpunkt aber bildete die unvergleichlich schöne, in der Blüte ihrer Jugend stehende Herrin des Hauses. Sie war griechisch gekleidet. Goldspangen umspannten ihre seitdem Knöchel und herrlich geformten Arme. Ihre Augen leuchteten, ihr sinnlicher Mund lächelte siegreich über all die bewundernden Blicke, die der Schwarm der jungen Gecken ihr zollte. Die Gläser flogen an die Augen und: „Parole ä'Konneul' vietimee, Leite kenne e8t äelirante" riefen sie sich gegenseitig zu. Eine besonders geistreiche Unterhaltung durfte man in der „Chaumiere" nicht suchen. Wie sollte man auch? Die meisten der anwesenden Politiker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/323>, abgerufen am 29.06.2024.