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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium

Tag sprach man in den betreffenden Kreisen von den fabelhaften Summen, die
gewisse Herren in der oder jener Gesellschaft verloren hatten.

Am besten konnte man die Sonderbarkeit der Gesellschaft in den wenigen
Salons bemerken, die ihre Pforten wieder neu geöffnet hatten. "Die vornehmen
Manieren der wohlerzogenen Personen", sagt Frau von Stahl in ihren "Lon-
siciöration8 8ur la Jnvolution krancMge", "traten trotz des einfachen Anzuges,
den diese noch von der Schreckenszeit her beibehalten hatten, deutlich hervor.
Die zu Jakobinern bekehrten Männer betraten zum ersten Male die Salons der
großen Welt. Ihre Eingebildetheit warf auf alles, was zum guten Ton gehörte,
einen dunklen Schatten. Die Damen des "^malen rsZime" umringten sie, um
für ihre Brüder, ihre Söhne und Männer die Erlaubnis zur Rückkehr zu
erwirken. Die liebenswürdigen Schmeicheleien, deren sie sich zu bedienen wußten,
gefielen den harten Ohren und veranlaßten die finsteren Aufrührer zu dem, was
wir seitdem erfahren haben, nämlich wieder einen Hof mit allen seinen Mi߬
bräuchen einzurichten..."

Treten wir für einen Augenblick in den berühmtesten dieser Salons zu jeuer
Zeit ein, nämlich in den der Madame Tallien, der Königin des Direktoriums,
jeuer Frau, die erst Aristokratin, nachher Republikanerin wurde und am
9. Thermidor das Schicksal Tausender in Händen hatte. Sie war die Retterin
aus Not und Schrecken. Man nannte sie "Notre Dame de Thermidor" und
jubelte ihr wie einer Göttin zu. In Chaillot, am Ende der Champs Elnsöes,
hatte sich die verwöhnte Dame, die Freundin des Direktors Barras und später
des Bankiers Ouvrard, eine Art Bauernhütte zum Tempel der Schönheit und
Anmut eingerichtet. Vor ihr war die berühmte Schauspielerin Raucourt Besitzerin
der Hütte gewesen, ein Grund mehr, daß die eitle Theresia sie für sich erwerben
mußte. Hier empfing sie alle berühmten Persönlichkeiten, und ganz Paris lenkte
trotz der Entfernung seine Schritte zu der verführerischen Circe in ihrer mit
aller Eleganz und aller Berechnung eingerichteten "Chcmmiöre".

Alle Räume dieser wie auf der Bühne anzusehenden "Hütte" waren im
antiken Stile nach den zuletzt aufgefundenen Gegenständen von Herkulanum
eingerichtet. In dem pompejanischen Hausflur stand eine wundervolle Neptun¬
gruppe aus dünnem Sevresporzellan, für die der galante Barras 30000 Francs
bezahlt hatte. Dreifüßige Lampen, griechische Ruhebetten, etruskische Vasen,
Gemälde mit Szenen aus der griechischem Mythologie, antike Statuen erfreuten
das An ge des Eintretenden. In einem kleinen Boudoir schienen sich alle Musen
und Künste Stelldichein gegeben zu haben. Da stand das aufgeklappte Forte¬
piano mit einer Menge Noten auf dem Stünder. Auf Stühlen und Sesseln
lagen ebenfalls Noten. Eine Gitarre schien eben von der Spielerin nachlässig
auf den Diwan geworfen worden zu sein; die Harfe stand vor einem antiken
Sessel, als wenn eben die schlanken Finger der Besitzerin darüber geglitten
wären. Dort in der Ecke lehnte eine Staffelei mit einer angefangenen Landschaft
darauf; am Boden lagen Palette, Pinsel und Malkasten. Sogar ein Zeichentisch


Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium

Tag sprach man in den betreffenden Kreisen von den fabelhaften Summen, die
gewisse Herren in der oder jener Gesellschaft verloren hatten.

Am besten konnte man die Sonderbarkeit der Gesellschaft in den wenigen
Salons bemerken, die ihre Pforten wieder neu geöffnet hatten. „Die vornehmen
Manieren der wohlerzogenen Personen", sagt Frau von Stahl in ihren „Lon-
siciöration8 8ur la Jnvolution krancMge", „traten trotz des einfachen Anzuges,
den diese noch von der Schreckenszeit her beibehalten hatten, deutlich hervor.
Die zu Jakobinern bekehrten Männer betraten zum ersten Male die Salons der
großen Welt. Ihre Eingebildetheit warf auf alles, was zum guten Ton gehörte,
einen dunklen Schatten. Die Damen des „^malen rsZime" umringten sie, um
für ihre Brüder, ihre Söhne und Männer die Erlaubnis zur Rückkehr zu
erwirken. Die liebenswürdigen Schmeicheleien, deren sie sich zu bedienen wußten,
gefielen den harten Ohren und veranlaßten die finsteren Aufrührer zu dem, was
wir seitdem erfahren haben, nämlich wieder einen Hof mit allen seinen Mi߬
bräuchen einzurichten..."

Treten wir für einen Augenblick in den berühmtesten dieser Salons zu jeuer
Zeit ein, nämlich in den der Madame Tallien, der Königin des Direktoriums,
jeuer Frau, die erst Aristokratin, nachher Republikanerin wurde und am
9. Thermidor das Schicksal Tausender in Händen hatte. Sie war die Retterin
aus Not und Schrecken. Man nannte sie „Notre Dame de Thermidor" und
jubelte ihr wie einer Göttin zu. In Chaillot, am Ende der Champs Elnsöes,
hatte sich die verwöhnte Dame, die Freundin des Direktors Barras und später
des Bankiers Ouvrard, eine Art Bauernhütte zum Tempel der Schönheit und
Anmut eingerichtet. Vor ihr war die berühmte Schauspielerin Raucourt Besitzerin
der Hütte gewesen, ein Grund mehr, daß die eitle Theresia sie für sich erwerben
mußte. Hier empfing sie alle berühmten Persönlichkeiten, und ganz Paris lenkte
trotz der Entfernung seine Schritte zu der verführerischen Circe in ihrer mit
aller Eleganz und aller Berechnung eingerichteten „Chcmmiöre".

Alle Räume dieser wie auf der Bühne anzusehenden „Hütte" waren im
antiken Stile nach den zuletzt aufgefundenen Gegenständen von Herkulanum
eingerichtet. In dem pompejanischen Hausflur stand eine wundervolle Neptun¬
gruppe aus dünnem Sevresporzellan, für die der galante Barras 30000 Francs
bezahlt hatte. Dreifüßige Lampen, griechische Ruhebetten, etruskische Vasen,
Gemälde mit Szenen aus der griechischem Mythologie, antike Statuen erfreuten
das An ge des Eintretenden. In einem kleinen Boudoir schienen sich alle Musen
und Künste Stelldichein gegeben zu haben. Da stand das aufgeklappte Forte¬
piano mit einer Menge Noten auf dem Stünder. Auf Stühlen und Sesseln
lagen ebenfalls Noten. Eine Gitarre schien eben von der Spielerin nachlässig
auf den Diwan geworfen worden zu sein; die Harfe stand vor einem antiken
Sessel, als wenn eben die schlanken Finger der Besitzerin darüber geglitten
wären. Dort in der Ecke lehnte eine Staffelei mit einer angefangenen Landschaft
darauf; am Boden lagen Palette, Pinsel und Malkasten. Sogar ein Zeichentisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/322>, abgerufen am 29.06.2024.