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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium

Die gastronomischen Freuden des alten Frankreich waren also durch die
Revolution nicht verschwunden, sondern im Gegenteil zu noch viel höherem
Ansehen gelangt. Sie schienen jedoch nach einer so stürmischen Zeit, mitten
in dem grenzenlosen Elend der unteren Klassen, unangebracht und roh. Allen
diesen reichen, verschwenderischen Schmausereien fehlte es auch an jener vor¬
nehmen Eleganz, welche die alte Gesellschaft ihren nicht minder lukullischen
Gastmählern aufzudrücken verstand. Die der neuen Gesellschaft hatten stets
etwas Aufdringliches, Protzenhaftes an sich; es lag in ihnen jene Ubertrieben-
heit, welche die ganze Epoche des Direktoriums zu einer höchst gewöhnlichen
stempelte.

Der treue Begleiter dieser Gastmähler war das Spiel. Trotz aller Polizei¬
maßnahmen hatte sich die unter der Revolution zu einem wahren Laster aus¬
geartete Spielwut der Franzosen wenig vermindert. Außer den geduldeten
Spielsälen gab es unzählige geheime Spielhöllen. Ihre Besitzer waren meist
Privatpersonen und nicht selten von den höchsten Persönlichkeiten der Negierung
begünstigt. Das Palais Roral und die umliegenden Gegenden bildeten das
Dorado der Spieler. Barras führt in seinen Memoiren mehrere solcher Häuser
an. Sie alle hatten keine öffentliche Erlaubnis zum Hasardspiel. Mitunter
waren sie auch die Zufluchtsstätte anderer Laster.

"Rue Saint-Honorö 58", erzählt Barras, "hielt eine Frau Nayal, die
vom Direktor Frau?vis de NeufckMeau begünstigt wurde, ein Spielhaus. Man
beschuldigte sie außerdem, daß sie den bei ihr verkehrenden Abgeordneten junge
Mädchen zuführe. Morgens bestand ihr Publikum meist aus Emigranten und
Geschäftsleuten; abends spielte man. Die nicht Spielenden gingen in das zweite
Stockwerk hinauf, um -- Politik zu treiben! Was das zu bedeuten hatte,
wußte man."

Auf derselben Straße befand sich noch eine andere Spielhölle. Besitzerin
war die Geliebte des Dichters Andrö ClMier, Madame la Boucharderie. Dort
verkehrten Offiziere und Diplomaten. Man behauptete, die Baronin von Stael
schösse einem gewissen Violen die nötigen Gelder zu dem Spielsalon vor.
Dieser Violen war ein vollkommen unmoralischer Mensch. Er stand mit der
la Boucharderie in engen Beziehungen, seine eigentliche Mätresse aber war eine
gewisse Madame Cauchois . . . Rue Basse-du-Rempart 337 hielt eine Frau
de la Fare, die Nichte des Marschalls de Biron, einen Spielsalon. Der General
Schörer, ein leidenschaftlicher Spieler, gehörte zu ihren Stammgästen. In all
diesen Häusern spielte man Biribi, Einunddreißig und Creps, ein Würfelspiel.
Die Roulette arbeitete die ganze Nacht. Ende 1795 erzählte man sich ganz
öffentlich, daß der Abgeordnete Lariviöre in: Palais Royal an einem Abend
40000 Francs verspielt hatte.

Auch in Privatgesellschaften gaben sich die Herren nach dem Essen leiden¬
schaftlich dem hohen Spiele hin. Pharao, Whist und Einundzwanzig hielten
hier die Gäste bis zum frühen Morgen an: grünen Tische fest, und am nächsten


Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium

Die gastronomischen Freuden des alten Frankreich waren also durch die
Revolution nicht verschwunden, sondern im Gegenteil zu noch viel höherem
Ansehen gelangt. Sie schienen jedoch nach einer so stürmischen Zeit, mitten
in dem grenzenlosen Elend der unteren Klassen, unangebracht und roh. Allen
diesen reichen, verschwenderischen Schmausereien fehlte es auch an jener vor¬
nehmen Eleganz, welche die alte Gesellschaft ihren nicht minder lukullischen
Gastmählern aufzudrücken verstand. Die der neuen Gesellschaft hatten stets
etwas Aufdringliches, Protzenhaftes an sich; es lag in ihnen jene Ubertrieben-
heit, welche die ganze Epoche des Direktoriums zu einer höchst gewöhnlichen
stempelte.

Der treue Begleiter dieser Gastmähler war das Spiel. Trotz aller Polizei¬
maßnahmen hatte sich die unter der Revolution zu einem wahren Laster aus¬
geartete Spielwut der Franzosen wenig vermindert. Außer den geduldeten
Spielsälen gab es unzählige geheime Spielhöllen. Ihre Besitzer waren meist
Privatpersonen und nicht selten von den höchsten Persönlichkeiten der Negierung
begünstigt. Das Palais Roral und die umliegenden Gegenden bildeten das
Dorado der Spieler. Barras führt in seinen Memoiren mehrere solcher Häuser
an. Sie alle hatten keine öffentliche Erlaubnis zum Hasardspiel. Mitunter
waren sie auch die Zufluchtsstätte anderer Laster.

„Rue Saint-Honorö 58", erzählt Barras, „hielt eine Frau Nayal, die
vom Direktor Frau?vis de NeufckMeau begünstigt wurde, ein Spielhaus. Man
beschuldigte sie außerdem, daß sie den bei ihr verkehrenden Abgeordneten junge
Mädchen zuführe. Morgens bestand ihr Publikum meist aus Emigranten und
Geschäftsleuten; abends spielte man. Die nicht Spielenden gingen in das zweite
Stockwerk hinauf, um — Politik zu treiben! Was das zu bedeuten hatte,
wußte man."

Auf derselben Straße befand sich noch eine andere Spielhölle. Besitzerin
war die Geliebte des Dichters Andrö ClMier, Madame la Boucharderie. Dort
verkehrten Offiziere und Diplomaten. Man behauptete, die Baronin von Stael
schösse einem gewissen Violen die nötigen Gelder zu dem Spielsalon vor.
Dieser Violen war ein vollkommen unmoralischer Mensch. Er stand mit der
la Boucharderie in engen Beziehungen, seine eigentliche Mätresse aber war eine
gewisse Madame Cauchois . . . Rue Basse-du-Rempart 337 hielt eine Frau
de la Fare, die Nichte des Marschalls de Biron, einen Spielsalon. Der General
Schörer, ein leidenschaftlicher Spieler, gehörte zu ihren Stammgästen. In all
diesen Häusern spielte man Biribi, Einunddreißig und Creps, ein Würfelspiel.
Die Roulette arbeitete die ganze Nacht. Ende 1795 erzählte man sich ganz
öffentlich, daß der Abgeordnete Lariviöre in: Palais Royal an einem Abend
40000 Francs verspielt hatte.

Auch in Privatgesellschaften gaben sich die Herren nach dem Essen leiden¬
schaftlich dem hohen Spiele hin. Pharao, Whist und Einundzwanzig hielten
hier die Gäste bis zum frühen Morgen an: grünen Tische fest, und am nächsten


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[0321] Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktorium Die gastronomischen Freuden des alten Frankreich waren also durch die Revolution nicht verschwunden, sondern im Gegenteil zu noch viel höherem Ansehen gelangt. Sie schienen jedoch nach einer so stürmischen Zeit, mitten in dem grenzenlosen Elend der unteren Klassen, unangebracht und roh. Allen diesen reichen, verschwenderischen Schmausereien fehlte es auch an jener vor¬ nehmen Eleganz, welche die alte Gesellschaft ihren nicht minder lukullischen Gastmählern aufzudrücken verstand. Die der neuen Gesellschaft hatten stets etwas Aufdringliches, Protzenhaftes an sich; es lag in ihnen jene Ubertrieben- heit, welche die ganze Epoche des Direktoriums zu einer höchst gewöhnlichen stempelte. Der treue Begleiter dieser Gastmähler war das Spiel. Trotz aller Polizei¬ maßnahmen hatte sich die unter der Revolution zu einem wahren Laster aus¬ geartete Spielwut der Franzosen wenig vermindert. Außer den geduldeten Spielsälen gab es unzählige geheime Spielhöllen. Ihre Besitzer waren meist Privatpersonen und nicht selten von den höchsten Persönlichkeiten der Negierung begünstigt. Das Palais Roral und die umliegenden Gegenden bildeten das Dorado der Spieler. Barras führt in seinen Memoiren mehrere solcher Häuser an. Sie alle hatten keine öffentliche Erlaubnis zum Hasardspiel. Mitunter waren sie auch die Zufluchtsstätte anderer Laster. „Rue Saint-Honorö 58", erzählt Barras, „hielt eine Frau Nayal, die vom Direktor Frau?vis de NeufckMeau begünstigt wurde, ein Spielhaus. Man beschuldigte sie außerdem, daß sie den bei ihr verkehrenden Abgeordneten junge Mädchen zuführe. Morgens bestand ihr Publikum meist aus Emigranten und Geschäftsleuten; abends spielte man. Die nicht Spielenden gingen in das zweite Stockwerk hinauf, um — Politik zu treiben! Was das zu bedeuten hatte, wußte man." Auf derselben Straße befand sich noch eine andere Spielhölle. Besitzerin war die Geliebte des Dichters Andrö ClMier, Madame la Boucharderie. Dort verkehrten Offiziere und Diplomaten. Man behauptete, die Baronin von Stael schösse einem gewissen Violen die nötigen Gelder zu dem Spielsalon vor. Dieser Violen war ein vollkommen unmoralischer Mensch. Er stand mit der la Boucharderie in engen Beziehungen, seine eigentliche Mätresse aber war eine gewisse Madame Cauchois . . . Rue Basse-du-Rempart 337 hielt eine Frau de la Fare, die Nichte des Marschalls de Biron, einen Spielsalon. Der General Schörer, ein leidenschaftlicher Spieler, gehörte zu ihren Stammgästen. In all diesen Häusern spielte man Biribi, Einunddreißig und Creps, ein Würfelspiel. Die Roulette arbeitete die ganze Nacht. Ende 1795 erzählte man sich ganz öffentlich, daß der Abgeordnete Lariviöre in: Palais Royal an einem Abend 40000 Francs verspielt hatte. Auch in Privatgesellschaften gaben sich die Herren nach dem Essen leiden¬ schaftlich dem hohen Spiele hin. Pharao, Whist und Einundzwanzig hielten hier die Gäste bis zum frühen Morgen an: grünen Tische fest, und am nächsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/321>, abgerufen am 28.09.2024.