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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gesellschaft, Sitte" und Salons unter dem Direktorium

großen Schlund verwandelt gewesen. Barras und andere einflußreiche Männer
gingen mit ihren glänzenden Gastmählern als Beispiel voran. Seit 1796 taten
sich allerhand Gesellschaften auf, deren einziges Ziel eine wohlbesetzte Tafel war;
nur wenige verbanden damit noch einen gewissen künstlerischen Zweck. Die erste
dieser "Freßgesellschaften" nannte sich "Socistö des diners du Vaudeville".
Der Hauptartikel ihrer in Versen verfaßten Statuten lautete:

Ihre Mitglieder bestanden, wie schon aus dem Namen hervorgeht, aus
Schauspielern, und zwar aus solchen, die bereits mindestens zwei Erfolge am
"TlMtre des Vaudevilles" zu verzeichnen hatten.

Andere derartige Gesellschaften, wie die "Sociötö des Sols", die "Societö
des Fons", die "Sociötö des Paresseux. die "Sociötö des Ours", deren Teil¬
nehmer bei den Tischgesängen das Brummen des Bären nachahmten, und die
"Sociötö des Betes", bei der ein jedes Mitglied den Namen eines Tieres erhielt,
folgten der ersten. Die "Sociöt6 de la Fourchette" kam alle vierzehn Tage
zusammen, um einen ganzen Tag lang, von früh bis abends, zu "dejeunieren".

Bei Privatgesellschaften wurden Diners von raffiniertester Eleganz gegeben.
Die auserlesensten Gerichte, alles, was Paris an seltenen einheimischen und
ausländischen Leckerbissen, an teuren Weinen, kostbaren Likören besaß, bedeckte
die mit fast orientalischem Luxus geschmückte Tafel der Reichen. Die Zeiten,
in denen man sein eigenes Brot und seine eigenen Gerichte zu einen: Essen
mitbrachte, waren für die neue Gesellschaft vorbei. Man schwelgte in den
von den Gastgebern gebotenen Genüssen, und der in Strömen fließende Wein
löste die Zunge zur Ausgelassenheit. Und ein jeder war bestrebt, den andern
noch an Reichtum und Glanz zu übertreffen.

Ouvrard, der reiche Bankier und freigebige Liebhaber Theresia Talliens,
gab zur Feier, daß er diese launenhafte aber schöne Mätresse aus den Händen
des Direktors Barras empfangen hatte, auf seinem Schlosse Raincy ein Essen,
das an Pracht und Auserlesenheit nicht seinesgleichen fand. Auf dem mit dem
allerfeinsten Tafelzeug gedeckten Tisch prangte in der Mitte ein mit Wasser
gefülltes Becken aus reinem Marmor. Sein Boden war mit feinem Goldstaub
bedeckt, und es enthielt die seltensten Arten von Fischen. In den vier Ecken
des pomphaft geschmückten Speisesaals sprangen Fontänen von Punsch, Orange¬
blütenwasser und Mandelmilch, die ihr köstliches Naß in große, flache Marmor¬
becken fließen ließen. Das Tischgerät war aus Gold und Silber, die Gläser
waren vom herrlichsten Kristall. Die Gerichte bestanden nur aus den aus¬
erlesensten Leckerbissen. Der Wein war unübertroffen, und die Früchte stamnrten
aus allen Gegenden der Welt.


Gesellschaft, Sitte» und Salons unter dem Direktorium

großen Schlund verwandelt gewesen. Barras und andere einflußreiche Männer
gingen mit ihren glänzenden Gastmählern als Beispiel voran. Seit 1796 taten
sich allerhand Gesellschaften auf, deren einziges Ziel eine wohlbesetzte Tafel war;
nur wenige verbanden damit noch einen gewissen künstlerischen Zweck. Die erste
dieser „Freßgesellschaften" nannte sich „Socistö des diners du Vaudeville".
Der Hauptartikel ihrer in Versen verfaßten Statuten lautete:

Ihre Mitglieder bestanden, wie schon aus dem Namen hervorgeht, aus
Schauspielern, und zwar aus solchen, die bereits mindestens zwei Erfolge am
„TlMtre des Vaudevilles" zu verzeichnen hatten.

Andere derartige Gesellschaften, wie die „Sociötö des Sols", die „Societö
des Fons", die „Sociötö des Paresseux. die „Sociötö des Ours", deren Teil¬
nehmer bei den Tischgesängen das Brummen des Bären nachahmten, und die
„Sociötö des Betes", bei der ein jedes Mitglied den Namen eines Tieres erhielt,
folgten der ersten. Die „Sociöt6 de la Fourchette" kam alle vierzehn Tage
zusammen, um einen ganzen Tag lang, von früh bis abends, zu „dejeunieren".

Bei Privatgesellschaften wurden Diners von raffiniertester Eleganz gegeben.
Die auserlesensten Gerichte, alles, was Paris an seltenen einheimischen und
ausländischen Leckerbissen, an teuren Weinen, kostbaren Likören besaß, bedeckte
die mit fast orientalischem Luxus geschmückte Tafel der Reichen. Die Zeiten,
in denen man sein eigenes Brot und seine eigenen Gerichte zu einen: Essen
mitbrachte, waren für die neue Gesellschaft vorbei. Man schwelgte in den
von den Gastgebern gebotenen Genüssen, und der in Strömen fließende Wein
löste die Zunge zur Ausgelassenheit. Und ein jeder war bestrebt, den andern
noch an Reichtum und Glanz zu übertreffen.

Ouvrard, der reiche Bankier und freigebige Liebhaber Theresia Talliens,
gab zur Feier, daß er diese launenhafte aber schöne Mätresse aus den Händen
des Direktors Barras empfangen hatte, auf seinem Schlosse Raincy ein Essen,
das an Pracht und Auserlesenheit nicht seinesgleichen fand. Auf dem mit dem
allerfeinsten Tafelzeug gedeckten Tisch prangte in der Mitte ein mit Wasser
gefülltes Becken aus reinem Marmor. Sein Boden war mit feinem Goldstaub
bedeckt, und es enthielt die seltensten Arten von Fischen. In den vier Ecken
des pomphaft geschmückten Speisesaals sprangen Fontänen von Punsch, Orange¬
blütenwasser und Mandelmilch, die ihr köstliches Naß in große, flache Marmor¬
becken fließen ließen. Das Tischgerät war aus Gold und Silber, die Gläser
waren vom herrlichsten Kristall. Die Gerichte bestanden nur aus den aus¬
erlesensten Leckerbissen. Der Wein war unübertroffen, und die Früchte stamnrten
aus allen Gegenden der Welt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/320>, abgerufen am 29.06.2024.