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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gesellschaft, Sitten und Salons nnter dein Direktorium

den Umrissen wiedergaben. Viele der Damen taten ihre Trauer über die ver¬
lorene Monarchie in schwarzseidenen Gazekleidern kund.

Konzerte, Theater und besonders die unzähligen ,,^aräin8 et'ces" kamen
wieder in Mode. Frascati war eins der elegantesten dieser Art Konzert-, Spiel-
und Ballokale. Die acht prächtig in antikem Stile und mit Wandgemälden
von Callet geschmückten Säle sahen jeden Abend ein äußerst elegantes, aller¬
dings weniger vornehmes Publikum in ihren Hallen. Verdächtige Politiker,
Lebemänner, Theaterdamen, Kokotten lind Weltdame:: mit mehr oder weniger
stürmischer Vergangenheit bildeten die Gesellschaft bei Frascati. Man speiste
und trank unter Glucinien- und Weinlauben und hörte dazu eine sinnberauschende
Musik. Sehr beliebt, jedoch von einem ernsteren Publikum besucht, waren
die Gartenkonzerte Marbosuf in den Tuilerien und in dem Palais Egalitö
(Palais Royal), ferner das "Loricert ä'aveuAleZ", das "Loncert ein la
Köpubliqus" und andere.

Von jeher ist der Franzose ein großer Freund der darstellenden Kunst
gewesen. Selbst während der Revolution, inmitten des Elends und Schreckens,
besuchte er die Theater, soweit sie geöffnet waren. Sie hatten jeden Abend
volle Häuser. Wie viel mehr noch, als man wieder frei atmen, frei genieße::
konnte! Täglich war Vorstellung in der "Opüra comique", im "TlMtre Feydeau";
dieses wurde jedoch schon Ende 1796 aus politischen Gründen wieder geschlossen.
Im "TlMtre des Arts", der großen Oper, im "TlMtre des Vaudevilles",
im "TlMtre patriotique", im "TlMtre Montanster" und wie sie alle hießen,
spielte man stets vor ausverkauftem Hause. Viele dieser Kuusttempel fristeten
jedoch als "Brutstätten der Unzucht und Liederlichkeit" nur ein kurzes Dasein.
Am 24. März 1796 eröffnete auch das "TlMtre Fran?ais" seine Pforten
wieder von neuem.

In den Logen zeigten sich die Berühmtheiten des Tages in antiker Nacktheit,
und die Schauspielerinnen erschienen mehr entkleidet als angekleidet auf der
Bühne. Frauenschönheit und der Glanz der Diamanten machten sich den Rang
streitig; sie interessierten mehr als der Inhalt der Stücke. Eines Abends erschien
Theresia Tallien, die Löwin der Mode, zu einer Opernpremiere als Diana
gekleidet in ihrer Loge. Ihr ganzer Anzug bestand aus einen: antik um Schulter
und Hüften geschlungenen, kaum bis zu den Knien reichenden Tigerfell. Ihre
nackten Füße ruhten in vergoldeten, mit roten Schnürbändern versehenen Sandalen.
Von der einen entblößten Schulter hing ein mit Brillanten übersäter Köcher
herab. Als die Vorstellung zu Ende war, ging sie durch die gaffende Menge
bis zu ihrem Wagen, ohne in: geringsten verlegen zu sein.

Die Leichtfertigkeit der Sitten machte sich natürlich auch in den Stücken
bemerkbar, die zur Aufführung gelangten. Seit dem 9. Thermidor hatte sich
ein antirevolutionärer oder besser antijakobinischer Geist in die Theater ein¬
geschlichen. Die Franzosen rächten sich an der Revolution, die solange ihre
strenge Zensur über alles ausgeübt hatte, dadurch, daß sie Stücke auf die Bühne


Gesellschaft, Sitten und Salons nnter dein Direktorium

den Umrissen wiedergaben. Viele der Damen taten ihre Trauer über die ver¬
lorene Monarchie in schwarzseidenen Gazekleidern kund.

Konzerte, Theater und besonders die unzähligen ,,^aräin8 et'ces" kamen
wieder in Mode. Frascati war eins der elegantesten dieser Art Konzert-, Spiel-
und Ballokale. Die acht prächtig in antikem Stile und mit Wandgemälden
von Callet geschmückten Säle sahen jeden Abend ein äußerst elegantes, aller¬
dings weniger vornehmes Publikum in ihren Hallen. Verdächtige Politiker,
Lebemänner, Theaterdamen, Kokotten lind Weltdame:: mit mehr oder weniger
stürmischer Vergangenheit bildeten die Gesellschaft bei Frascati. Man speiste
und trank unter Glucinien- und Weinlauben und hörte dazu eine sinnberauschende
Musik. Sehr beliebt, jedoch von einem ernsteren Publikum besucht, waren
die Gartenkonzerte Marbosuf in den Tuilerien und in dem Palais Egalitö
(Palais Royal), ferner das „Loricert ä'aveuAleZ", das „Loncert ein la
Köpubliqus" und andere.

Von jeher ist der Franzose ein großer Freund der darstellenden Kunst
gewesen. Selbst während der Revolution, inmitten des Elends und Schreckens,
besuchte er die Theater, soweit sie geöffnet waren. Sie hatten jeden Abend
volle Häuser. Wie viel mehr noch, als man wieder frei atmen, frei genieße::
konnte! Täglich war Vorstellung in der „Opüra comique", im „TlMtre Feydeau";
dieses wurde jedoch schon Ende 1796 aus politischen Gründen wieder geschlossen.
Im „TlMtre des Arts", der großen Oper, im „TlMtre des Vaudevilles",
im „TlMtre patriotique", im „TlMtre Montanster" und wie sie alle hießen,
spielte man stets vor ausverkauftem Hause. Viele dieser Kuusttempel fristeten
jedoch als „Brutstätten der Unzucht und Liederlichkeit" nur ein kurzes Dasein.
Am 24. März 1796 eröffnete auch das „TlMtre Fran?ais" seine Pforten
wieder von neuem.

In den Logen zeigten sich die Berühmtheiten des Tages in antiker Nacktheit,
und die Schauspielerinnen erschienen mehr entkleidet als angekleidet auf der
Bühne. Frauenschönheit und der Glanz der Diamanten machten sich den Rang
streitig; sie interessierten mehr als der Inhalt der Stücke. Eines Abends erschien
Theresia Tallien, die Löwin der Mode, zu einer Opernpremiere als Diana
gekleidet in ihrer Loge. Ihr ganzer Anzug bestand aus einen: antik um Schulter
und Hüften geschlungenen, kaum bis zu den Knien reichenden Tigerfell. Ihre
nackten Füße ruhten in vergoldeten, mit roten Schnürbändern versehenen Sandalen.
Von der einen entblößten Schulter hing ein mit Brillanten übersäter Köcher
herab. Als die Vorstellung zu Ende war, ging sie durch die gaffende Menge
bis zu ihrem Wagen, ohne in: geringsten verlegen zu sein.

Die Leichtfertigkeit der Sitten machte sich natürlich auch in den Stücken
bemerkbar, die zur Aufführung gelangten. Seit dem 9. Thermidor hatte sich
ein antirevolutionärer oder besser antijakobinischer Geist in die Theater ein¬
geschlichen. Die Franzosen rächten sich an der Revolution, die solange ihre
strenge Zensur über alles ausgeübt hatte, dadurch, daß sie Stücke auf die Bühne


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[0318] Gesellschaft, Sitten und Salons nnter dein Direktorium den Umrissen wiedergaben. Viele der Damen taten ihre Trauer über die ver¬ lorene Monarchie in schwarzseidenen Gazekleidern kund. Konzerte, Theater und besonders die unzähligen ,,^aräin8 et'ces" kamen wieder in Mode. Frascati war eins der elegantesten dieser Art Konzert-, Spiel- und Ballokale. Die acht prächtig in antikem Stile und mit Wandgemälden von Callet geschmückten Säle sahen jeden Abend ein äußerst elegantes, aller¬ dings weniger vornehmes Publikum in ihren Hallen. Verdächtige Politiker, Lebemänner, Theaterdamen, Kokotten lind Weltdame:: mit mehr oder weniger stürmischer Vergangenheit bildeten die Gesellschaft bei Frascati. Man speiste und trank unter Glucinien- und Weinlauben und hörte dazu eine sinnberauschende Musik. Sehr beliebt, jedoch von einem ernsteren Publikum besucht, waren die Gartenkonzerte Marbosuf in den Tuilerien und in dem Palais Egalitö (Palais Royal), ferner das „Loricert ä'aveuAleZ", das „Loncert ein la Köpubliqus" und andere. Von jeher ist der Franzose ein großer Freund der darstellenden Kunst gewesen. Selbst während der Revolution, inmitten des Elends und Schreckens, besuchte er die Theater, soweit sie geöffnet waren. Sie hatten jeden Abend volle Häuser. Wie viel mehr noch, als man wieder frei atmen, frei genieße:: konnte! Täglich war Vorstellung in der „Opüra comique", im „TlMtre Feydeau"; dieses wurde jedoch schon Ende 1796 aus politischen Gründen wieder geschlossen. Im „TlMtre des Arts", der großen Oper, im „TlMtre des Vaudevilles", im „TlMtre patriotique", im „TlMtre Montanster" und wie sie alle hießen, spielte man stets vor ausverkauftem Hause. Viele dieser Kuusttempel fristeten jedoch als „Brutstätten der Unzucht und Liederlichkeit" nur ein kurzes Dasein. Am 24. März 1796 eröffnete auch das „TlMtre Fran?ais" seine Pforten wieder von neuem. In den Logen zeigten sich die Berühmtheiten des Tages in antiker Nacktheit, und die Schauspielerinnen erschienen mehr entkleidet als angekleidet auf der Bühne. Frauenschönheit und der Glanz der Diamanten machten sich den Rang streitig; sie interessierten mehr als der Inhalt der Stücke. Eines Abends erschien Theresia Tallien, die Löwin der Mode, zu einer Opernpremiere als Diana gekleidet in ihrer Loge. Ihr ganzer Anzug bestand aus einen: antik um Schulter und Hüften geschlungenen, kaum bis zu den Knien reichenden Tigerfell. Ihre nackten Füße ruhten in vergoldeten, mit roten Schnürbändern versehenen Sandalen. Von der einen entblößten Schulter hing ein mit Brillanten übersäter Köcher herab. Als die Vorstellung zu Ende war, ging sie durch die gaffende Menge bis zu ihrem Wagen, ohne in: geringsten verlegen zu sein. Die Leichtfertigkeit der Sitten machte sich natürlich auch in den Stücken bemerkbar, die zur Aufführung gelangten. Seit dem 9. Thermidor hatte sich ein antirevolutionärer oder besser antijakobinischer Geist in die Theater ein¬ geschlichen. Die Franzosen rächten sich an der Revolution, die solange ihre strenge Zensur über alles ausgeübt hatte, dadurch, daß sie Stücke auf die Bühne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/318>, abgerufen am 28.09.2024.