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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktoriuni

Der eleganteste und beliebteste aber aller dieser Bälle war der im Hotel
Richelieu. Dort versammelte sich die Auslese der modernen Aristokratie und
Lebewelt. Uuter den Damen in durchsichtige:! Gazekleidern, mit den von Spitzen,
Brillanten und Gold überladenen Frisuren, den entblößten Armen und Schultern,
unter all den Nymphen und Sirenen der in einem Meere von Licht schimmernden
Säle bemerkte man "La belle Tallien"; ferner ihre gute Freundin, die Marquise
vou Beauharnais und die in griechischer Einfachheit unvergleichliche Julie Recamier,
sowie die höchst überspannte Madame Hamelin.

Die Männer bildeten auf diesen Bällen einen scharfen Kontrast zu all der
glänzenden Frauenschönheit, zu diesen: frischen, duftenden Fleisch, diesen: ver¬
schwenderischen Luxus. Ihr Anzug war gesucht nachlässig. Und während die
Frauen sich mit allen Fasern ihres Herzens dem Tanze Hingaben, tanzten die
Männer steif, eckig und stumm, als dächten sie dabei an die nächste Umwälzung;
so wollte es der gute Ton!

Das Straßeubild hatte sich vollkommen verändert. In: Garten des
Palais Royal -- unter der Revolution Gleichheitsgarten genannt -- suchte
man vergebens die vornehme Gesellschaft, die vor der Revolution aus¬
schließlich dort zu finden war. Es war die Kloake von Paris geworden.
Wucherer, zerlumpte Frauen und Männer, Spitzbuben, Zuhälter und Dirnen
der niedrigsten Sorte, hier und da bisweilen ein neugieriger Fremder, aber
auch der oder jener anständig gekleidete Einheimische bildeten jetzt das tägliche
Publikum.

Auch der Tuileriengarten wurde nach dem 9. Thermidor weniger besucht.
Nur der Mittelstand wählte ihn zu seinen täglichen Spaziergängen. Die elegante
Welt traf man in den Chcmrps Elysöes oder im Bois de Boulogne. Die Creme
der Gesellschaft aber, das heißt die Erzaristokratie, die Muscadins mit den
grünen oder schwarzen Kragen kamen auf den Boulevards zwischen der Rue
Grange-Bateliöre und der Rue du Montblanc zusammen, einen: kurzen, engen
Straßenzug. Zur Kennzeichnung der sich dort einführenden Gesellschaftsklasse
nannte man ihn "Le petit Coblentz". Hierher zogen sich für ein paar Abend¬
stunden die alten Pariser Aristokraten zurück, denen alles, was an die Revolution
erinnerte, der Pöbel und die Bürger, gründlich verhaßt waren. Wer von dieser
Kaste nicht gegen den guten Ton verstoßen wollte, mußte sich wenigstens einigemal
in der Woche im "Petit Coblentz" zeigen. Man sprach sich hier mit seines¬
gleichen aus, saß auf den in sechs Reihen aufgestellten Stühlen und ließ seiner
Ironie gegen die bestehenden Zustände freien Lauf. Hier kam die Elite von
Tivoli. Italia, Elnsöe, Biron, Corazza und wie die Stelldicheins des vornehmen
Paris alle hießen, auf de.l Kriegsruf zusammen "On^rs aux terrori8te8!"
Ihr Benehmen, ihr Gmkg, ihr Anzug, alles deutete auf Widerspruch! Ein
Fächer, ein Schal, ein Taschentuch kennzeichneten die Richtung der politischen
Meinung. Auf den:> einen waren Lilien gemalt, auf den: andern Trauerweiden,
deren Blätter deutlich alle Mitglieder der ehemaligen königlichen. Familie in
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Grenzboten II 1910 39
Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktoriuni

Der eleganteste und beliebteste aber aller dieser Bälle war der im Hotel
Richelieu. Dort versammelte sich die Auslese der modernen Aristokratie und
Lebewelt. Uuter den Damen in durchsichtige:! Gazekleidern, mit den von Spitzen,
Brillanten und Gold überladenen Frisuren, den entblößten Armen und Schultern,
unter all den Nymphen und Sirenen der in einem Meere von Licht schimmernden
Säle bemerkte man „La belle Tallien"; ferner ihre gute Freundin, die Marquise
vou Beauharnais und die in griechischer Einfachheit unvergleichliche Julie Recamier,
sowie die höchst überspannte Madame Hamelin.

Die Männer bildeten auf diesen Bällen einen scharfen Kontrast zu all der
glänzenden Frauenschönheit, zu diesen: frischen, duftenden Fleisch, diesen: ver¬
schwenderischen Luxus. Ihr Anzug war gesucht nachlässig. Und während die
Frauen sich mit allen Fasern ihres Herzens dem Tanze Hingaben, tanzten die
Männer steif, eckig und stumm, als dächten sie dabei an die nächste Umwälzung;
so wollte es der gute Ton!

Das Straßeubild hatte sich vollkommen verändert. In: Garten des
Palais Royal — unter der Revolution Gleichheitsgarten genannt — suchte
man vergebens die vornehme Gesellschaft, die vor der Revolution aus¬
schließlich dort zu finden war. Es war die Kloake von Paris geworden.
Wucherer, zerlumpte Frauen und Männer, Spitzbuben, Zuhälter und Dirnen
der niedrigsten Sorte, hier und da bisweilen ein neugieriger Fremder, aber
auch der oder jener anständig gekleidete Einheimische bildeten jetzt das tägliche
Publikum.

Auch der Tuileriengarten wurde nach dem 9. Thermidor weniger besucht.
Nur der Mittelstand wählte ihn zu seinen täglichen Spaziergängen. Die elegante
Welt traf man in den Chcmrps Elysöes oder im Bois de Boulogne. Die Creme
der Gesellschaft aber, das heißt die Erzaristokratie, die Muscadins mit den
grünen oder schwarzen Kragen kamen auf den Boulevards zwischen der Rue
Grange-Bateliöre und der Rue du Montblanc zusammen, einen: kurzen, engen
Straßenzug. Zur Kennzeichnung der sich dort einführenden Gesellschaftsklasse
nannte man ihn „Le petit Coblentz". Hierher zogen sich für ein paar Abend¬
stunden die alten Pariser Aristokraten zurück, denen alles, was an die Revolution
erinnerte, der Pöbel und die Bürger, gründlich verhaßt waren. Wer von dieser
Kaste nicht gegen den guten Ton verstoßen wollte, mußte sich wenigstens einigemal
in der Woche im „Petit Coblentz" zeigen. Man sprach sich hier mit seines¬
gleichen aus, saß auf den in sechs Reihen aufgestellten Stühlen und ließ seiner
Ironie gegen die bestehenden Zustände freien Lauf. Hier kam die Elite von
Tivoli. Italia, Elnsöe, Biron, Corazza und wie die Stelldicheins des vornehmen
Paris alle hießen, auf de.l Kriegsruf zusammen „On^rs aux terrori8te8!"
Ihr Benehmen, ihr Gmkg, ihr Anzug, alles deutete auf Widerspruch! Ein
Fächer, ein Schal, ein Taschentuch kennzeichneten die Richtung der politischen
Meinung. Auf den:> einen waren Lilien gemalt, auf den: andern Trauerweiden,
deren Blätter deutlich alle Mitglieder der ehemaligen königlichen. Familie in
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[0317] Gesellschaft, Sitten und Salons unter dem Direktoriuni Der eleganteste und beliebteste aber aller dieser Bälle war der im Hotel Richelieu. Dort versammelte sich die Auslese der modernen Aristokratie und Lebewelt. Uuter den Damen in durchsichtige:! Gazekleidern, mit den von Spitzen, Brillanten und Gold überladenen Frisuren, den entblößten Armen und Schultern, unter all den Nymphen und Sirenen der in einem Meere von Licht schimmernden Säle bemerkte man „La belle Tallien"; ferner ihre gute Freundin, die Marquise vou Beauharnais und die in griechischer Einfachheit unvergleichliche Julie Recamier, sowie die höchst überspannte Madame Hamelin. Die Männer bildeten auf diesen Bällen einen scharfen Kontrast zu all der glänzenden Frauenschönheit, zu diesen: frischen, duftenden Fleisch, diesen: ver¬ schwenderischen Luxus. Ihr Anzug war gesucht nachlässig. Und während die Frauen sich mit allen Fasern ihres Herzens dem Tanze Hingaben, tanzten die Männer steif, eckig und stumm, als dächten sie dabei an die nächste Umwälzung; so wollte es der gute Ton! Das Straßeubild hatte sich vollkommen verändert. In: Garten des Palais Royal — unter der Revolution Gleichheitsgarten genannt — suchte man vergebens die vornehme Gesellschaft, die vor der Revolution aus¬ schließlich dort zu finden war. Es war die Kloake von Paris geworden. Wucherer, zerlumpte Frauen und Männer, Spitzbuben, Zuhälter und Dirnen der niedrigsten Sorte, hier und da bisweilen ein neugieriger Fremder, aber auch der oder jener anständig gekleidete Einheimische bildeten jetzt das tägliche Publikum. Auch der Tuileriengarten wurde nach dem 9. Thermidor weniger besucht. Nur der Mittelstand wählte ihn zu seinen täglichen Spaziergängen. Die elegante Welt traf man in den Chcmrps Elysöes oder im Bois de Boulogne. Die Creme der Gesellschaft aber, das heißt die Erzaristokratie, die Muscadins mit den grünen oder schwarzen Kragen kamen auf den Boulevards zwischen der Rue Grange-Bateliöre und der Rue du Montblanc zusammen, einen: kurzen, engen Straßenzug. Zur Kennzeichnung der sich dort einführenden Gesellschaftsklasse nannte man ihn „Le petit Coblentz". Hierher zogen sich für ein paar Abend¬ stunden die alten Pariser Aristokraten zurück, denen alles, was an die Revolution erinnerte, der Pöbel und die Bürger, gründlich verhaßt waren. Wer von dieser Kaste nicht gegen den guten Ton verstoßen wollte, mußte sich wenigstens einigemal in der Woche im „Petit Coblentz" zeigen. Man sprach sich hier mit seines¬ gleichen aus, saß auf den in sechs Reihen aufgestellten Stühlen und ließ seiner Ironie gegen die bestehenden Zustände freien Lauf. Hier kam die Elite von Tivoli. Italia, Elnsöe, Biron, Corazza und wie die Stelldicheins des vornehmen Paris alle hießen, auf de.l Kriegsruf zusammen „On^rs aux terrori8te8!" Ihr Benehmen, ihr Gmkg, ihr Anzug, alles deutete auf Widerspruch! Ein Fächer, ein Schal, ein Taschentuch kennzeichneten die Richtung der politischen Meinung. Auf den:> einen waren Lilien gemalt, auf den: andern Trauerweiden, deren Blätter deutlich alle Mitglieder der ehemaligen königlichen. Familie in ' Grenzboten II 1910 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/317>, abgerufen am 26.06.2024.