Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Idee der Humanität und die Freimaurer

ragenden Vertretern des freimaurerischen Gedankens lebte, ließ sich mit der
Lehre von der Verderbtheit der sichtbaren Welt, die doch auch den Menschen
umfaßt, in keiner Weise vereinigen. Der Dualismus der Kirchenlehre, die die
sichtbare Welt als Materie und als Sitz und Werk des bösen Prinzips bezeichnet,
neben der sie einen außerweltlichen Geist als unsichtbaren Gott konstruiert,
stand und steht schon deshalb in einem unversöhnlichen Widerstreit mit der
Humanitätslehre, weil für die letztere die wirkliche Welt als eine Offenbarungs¬
stätte Gottes und die Natur, um mit Goethe zu reden, als der Gottheit ewiges
Kleid gilt, und weil der Glaube an die Jnnerweltlichkeit Gottes ein unauslös-
barer Bestandteil dieses Systems ist.

Der Verfasser der mehrfach erwähnten Aufsätze in der "Germania" hat
die springenden Punkte sehr richtig erkannt. "Ein Gott," sagt er, "der als
absoluter über der Menschheit stehender Herr und Schöpfer, höchster Gesetzgeber
und Richter auch tatsächlich theokratisch beanspruchte, die Menschheit zu regieren,
würde der Freimaurerei ihr ganzes Spiel verderben" und kennzeichnet damit
treffend den Gegensatz, der in Sachen des Gottesbegriffes, also des Zentral¬
begriffes eines jeden Denksnstems, zwischen den beiderseitigen Anschauungen
herrscht.

Es ist klar, daß das Bild des Herrschers, Regenten und Richters, unter
dem sich die Kirchenlehre die Gottesidee anschaulich zu machen sucht, eine
anthropomorphe Fassung des Begriffs notwendig und unausweichlich macht. Die
Idee des Weltregenten hat die Idee des Untertanen, die Idee der Regierung
die Vorstellung des Gehorsams und die Idee der Herrschaft die Vorstellung der
Gebundenheit zur notwendigen Folge. Den? Herrn entspricht der Knecht. Mithin
kann auf diesem Boden weder die Idee der Freiheit und der Freiwilligkeit noch
die Idee der Brüderlichkeit zur Entfaltung kommen, die die Grundlage der
Humanitätslehre bilden.

Aus diesen Erwägungen heraus haben die Wortführer des freimaurerischen
Humanitätsgedankens selbst das Wort "Gott" gern vermieden und sie pflegen,
wenn sie das höchste Wesen bezeichnen wollen, von dem ewigen Baumeister der
Welt zu sprechen. Diese Idee des Weltbildners oder Baumeisters, der
nach seinen: Plane das All zu einer Welt des Gleichmaßes, der Harmonie und
der Freiheit leitet, läßt die Idee des unendlichen Wertes der Menschenseele und
den Grundsatz der Freiheit und der Freiwilligkeit offen. Auf Grund dieser
Vorstellungsweise, die ja ebenfalls nur einen tastenden Versuch darstellt, sich das
Bild des höchsten Wesens nach den Analogien zu machen, die uns Menschen
geläufig sind, bleibt es möglich, sich das Verhältnis der Menschen zu diesem
Wesen wie das der Kinder zum Vater zu denken, und es schließt die Vorstellung,
daß der Mensch lediglich Diener und'Knecht oder gleichsam Untertan des Welt¬
regenten sei, mehr oder weniger aus.

Die Lehre der Humanität ist stets von der Überzeugung ausgegangen,
daß der Glaube an einen außerhalb der Welt thronenden Gott und an eine


Die Idee der Humanität und die Freimaurer

ragenden Vertretern des freimaurerischen Gedankens lebte, ließ sich mit der
Lehre von der Verderbtheit der sichtbaren Welt, die doch auch den Menschen
umfaßt, in keiner Weise vereinigen. Der Dualismus der Kirchenlehre, die die
sichtbare Welt als Materie und als Sitz und Werk des bösen Prinzips bezeichnet,
neben der sie einen außerweltlichen Geist als unsichtbaren Gott konstruiert,
stand und steht schon deshalb in einem unversöhnlichen Widerstreit mit der
Humanitätslehre, weil für die letztere die wirkliche Welt als eine Offenbarungs¬
stätte Gottes und die Natur, um mit Goethe zu reden, als der Gottheit ewiges
Kleid gilt, und weil der Glaube an die Jnnerweltlichkeit Gottes ein unauslös-
barer Bestandteil dieses Systems ist.

Der Verfasser der mehrfach erwähnten Aufsätze in der „Germania" hat
die springenden Punkte sehr richtig erkannt. „Ein Gott," sagt er, „der als
absoluter über der Menschheit stehender Herr und Schöpfer, höchster Gesetzgeber
und Richter auch tatsächlich theokratisch beanspruchte, die Menschheit zu regieren,
würde der Freimaurerei ihr ganzes Spiel verderben" und kennzeichnet damit
treffend den Gegensatz, der in Sachen des Gottesbegriffes, also des Zentral¬
begriffes eines jeden Denksnstems, zwischen den beiderseitigen Anschauungen
herrscht.

Es ist klar, daß das Bild des Herrschers, Regenten und Richters, unter
dem sich die Kirchenlehre die Gottesidee anschaulich zu machen sucht, eine
anthropomorphe Fassung des Begriffs notwendig und unausweichlich macht. Die
Idee des Weltregenten hat die Idee des Untertanen, die Idee der Regierung
die Vorstellung des Gehorsams und die Idee der Herrschaft die Vorstellung der
Gebundenheit zur notwendigen Folge. Den? Herrn entspricht der Knecht. Mithin
kann auf diesem Boden weder die Idee der Freiheit und der Freiwilligkeit noch
die Idee der Brüderlichkeit zur Entfaltung kommen, die die Grundlage der
Humanitätslehre bilden.

Aus diesen Erwägungen heraus haben die Wortführer des freimaurerischen
Humanitätsgedankens selbst das Wort „Gott" gern vermieden und sie pflegen,
wenn sie das höchste Wesen bezeichnen wollen, von dem ewigen Baumeister der
Welt zu sprechen. Diese Idee des Weltbildners oder Baumeisters, der
nach seinen: Plane das All zu einer Welt des Gleichmaßes, der Harmonie und
der Freiheit leitet, läßt die Idee des unendlichen Wertes der Menschenseele und
den Grundsatz der Freiheit und der Freiwilligkeit offen. Auf Grund dieser
Vorstellungsweise, die ja ebenfalls nur einen tastenden Versuch darstellt, sich das
Bild des höchsten Wesens nach den Analogien zu machen, die uns Menschen
geläufig sind, bleibt es möglich, sich das Verhältnis der Menschen zu diesem
Wesen wie das der Kinder zum Vater zu denken, und es schließt die Vorstellung,
daß der Mensch lediglich Diener und'Knecht oder gleichsam Untertan des Welt¬
regenten sei, mehr oder weniger aus.

Die Lehre der Humanität ist stets von der Überzeugung ausgegangen,
daß der Glaube an einen außerhalb der Welt thronenden Gott und an eine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315952"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Idee der Humanität und die Freimaurer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1807" prev="#ID_1806"> ragenden Vertretern des freimaurerischen Gedankens lebte, ließ sich mit der<lb/>
Lehre von der Verderbtheit der sichtbaren Welt, die doch auch den Menschen<lb/>
umfaßt, in keiner Weise vereinigen. Der Dualismus der Kirchenlehre, die die<lb/>
sichtbare Welt als Materie und als Sitz und Werk des bösen Prinzips bezeichnet,<lb/>
neben der sie einen außerweltlichen Geist als unsichtbaren Gott konstruiert,<lb/>
stand und steht schon deshalb in einem unversöhnlichen Widerstreit mit der<lb/>
Humanitätslehre, weil für die letztere die wirkliche Welt als eine Offenbarungs¬<lb/>
stätte Gottes und die Natur, um mit Goethe zu reden, als der Gottheit ewiges<lb/>
Kleid gilt, und weil der Glaube an die Jnnerweltlichkeit Gottes ein unauslös-<lb/>
barer Bestandteil dieses Systems ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1808"> Der Verfasser der mehrfach erwähnten Aufsätze in der &#x201E;Germania" hat<lb/>
die springenden Punkte sehr richtig erkannt. &#x201E;Ein Gott," sagt er, &#x201E;der als<lb/>
absoluter über der Menschheit stehender Herr und Schöpfer, höchster Gesetzgeber<lb/>
und Richter auch tatsächlich theokratisch beanspruchte, die Menschheit zu regieren,<lb/>
würde der Freimaurerei ihr ganzes Spiel verderben" und kennzeichnet damit<lb/>
treffend den Gegensatz, der in Sachen des Gottesbegriffes, also des Zentral¬<lb/>
begriffes eines jeden Denksnstems, zwischen den beiderseitigen Anschauungen<lb/>
herrscht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1809"> Es ist klar, daß das Bild des Herrschers, Regenten und Richters, unter<lb/>
dem sich die Kirchenlehre die Gottesidee anschaulich zu machen sucht, eine<lb/>
anthropomorphe Fassung des Begriffs notwendig und unausweichlich macht. Die<lb/>
Idee des Weltregenten hat die Idee des Untertanen, die Idee der Regierung<lb/>
die Vorstellung des Gehorsams und die Idee der Herrschaft die Vorstellung der<lb/>
Gebundenheit zur notwendigen Folge. Den? Herrn entspricht der Knecht. Mithin<lb/>
kann auf diesem Boden weder die Idee der Freiheit und der Freiwilligkeit noch<lb/>
die Idee der Brüderlichkeit zur Entfaltung kommen, die die Grundlage der<lb/>
Humanitätslehre bilden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1810"> Aus diesen Erwägungen heraus haben die Wortführer des freimaurerischen<lb/>
Humanitätsgedankens selbst das Wort &#x201E;Gott" gern vermieden und sie pflegen,<lb/>
wenn sie das höchste Wesen bezeichnen wollen, von dem ewigen Baumeister der<lb/>
Welt zu sprechen. Diese Idee des Weltbildners oder Baumeisters, der<lb/>
nach seinen: Plane das All zu einer Welt des Gleichmaßes, der Harmonie und<lb/>
der Freiheit leitet, läßt die Idee des unendlichen Wertes der Menschenseele und<lb/>
den Grundsatz der Freiheit und der Freiwilligkeit offen. Auf Grund dieser<lb/>
Vorstellungsweise, die ja ebenfalls nur einen tastenden Versuch darstellt, sich das<lb/>
Bild des höchsten Wesens nach den Analogien zu machen, die uns Menschen<lb/>
geläufig sind, bleibt es möglich, sich das Verhältnis der Menschen zu diesem<lb/>
Wesen wie das der Kinder zum Vater zu denken, und es schließt die Vorstellung,<lb/>
daß der Mensch lediglich Diener und'Knecht oder gleichsam Untertan des Welt¬<lb/>
regenten sei, mehr oder weniger aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1811" next="#ID_1812"> Die Lehre der Humanität ist stets von der Überzeugung ausgegangen,<lb/>
daß der Glaube an einen außerhalb der Welt thronenden Gott und an eine</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0313] Die Idee der Humanität und die Freimaurer ragenden Vertretern des freimaurerischen Gedankens lebte, ließ sich mit der Lehre von der Verderbtheit der sichtbaren Welt, die doch auch den Menschen umfaßt, in keiner Weise vereinigen. Der Dualismus der Kirchenlehre, die die sichtbare Welt als Materie und als Sitz und Werk des bösen Prinzips bezeichnet, neben der sie einen außerweltlichen Geist als unsichtbaren Gott konstruiert, stand und steht schon deshalb in einem unversöhnlichen Widerstreit mit der Humanitätslehre, weil für die letztere die wirkliche Welt als eine Offenbarungs¬ stätte Gottes und die Natur, um mit Goethe zu reden, als der Gottheit ewiges Kleid gilt, und weil der Glaube an die Jnnerweltlichkeit Gottes ein unauslös- barer Bestandteil dieses Systems ist. Der Verfasser der mehrfach erwähnten Aufsätze in der „Germania" hat die springenden Punkte sehr richtig erkannt. „Ein Gott," sagt er, „der als absoluter über der Menschheit stehender Herr und Schöpfer, höchster Gesetzgeber und Richter auch tatsächlich theokratisch beanspruchte, die Menschheit zu regieren, würde der Freimaurerei ihr ganzes Spiel verderben" und kennzeichnet damit treffend den Gegensatz, der in Sachen des Gottesbegriffes, also des Zentral¬ begriffes eines jeden Denksnstems, zwischen den beiderseitigen Anschauungen herrscht. Es ist klar, daß das Bild des Herrschers, Regenten und Richters, unter dem sich die Kirchenlehre die Gottesidee anschaulich zu machen sucht, eine anthropomorphe Fassung des Begriffs notwendig und unausweichlich macht. Die Idee des Weltregenten hat die Idee des Untertanen, die Idee der Regierung die Vorstellung des Gehorsams und die Idee der Herrschaft die Vorstellung der Gebundenheit zur notwendigen Folge. Den? Herrn entspricht der Knecht. Mithin kann auf diesem Boden weder die Idee der Freiheit und der Freiwilligkeit noch die Idee der Brüderlichkeit zur Entfaltung kommen, die die Grundlage der Humanitätslehre bilden. Aus diesen Erwägungen heraus haben die Wortführer des freimaurerischen Humanitätsgedankens selbst das Wort „Gott" gern vermieden und sie pflegen, wenn sie das höchste Wesen bezeichnen wollen, von dem ewigen Baumeister der Welt zu sprechen. Diese Idee des Weltbildners oder Baumeisters, der nach seinen: Plane das All zu einer Welt des Gleichmaßes, der Harmonie und der Freiheit leitet, läßt die Idee des unendlichen Wertes der Menschenseele und den Grundsatz der Freiheit und der Freiwilligkeit offen. Auf Grund dieser Vorstellungsweise, die ja ebenfalls nur einen tastenden Versuch darstellt, sich das Bild des höchsten Wesens nach den Analogien zu machen, die uns Menschen geläufig sind, bleibt es möglich, sich das Verhältnis der Menschen zu diesem Wesen wie das der Kinder zum Vater zu denken, und es schließt die Vorstellung, daß der Mensch lediglich Diener und'Knecht oder gleichsam Untertan des Welt¬ regenten sei, mehr oder weniger aus. Die Lehre der Humanität ist stets von der Überzeugung ausgegangen, daß der Glaube an einen außerhalb der Welt thronenden Gott und an eine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/313
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/313>, abgerufen am 29.06.2024.