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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Hie Idee der Humanität und die Freimaurer

Parteien, soweit sich diese in den Ideen der Freiheit und der Humanität
begegnen. Wenn der Verfasser die organisierte Macht auf etwa zwei Millionen
selbständiger Männer beziffert, so hat er mit seiner Schätzung allerdings wohl
etwas zu niedrig gegriffen, ganz abgesehen davon, daß er unbetont läßt, daß
die Mitglieder des Bundes sich durchweg aus den gebildeten und besitzenden
Gesellschaftsschichten ergänzen.

Wenn man die kirchliche oder kirchlich beeinflußte Literatur über die
Freimaurer liest, so begegnet man stets der Behauptung, daß dieselben
einem "rückständigen Humauitätsbegriff" huldigen, und es begegnen vielfach
Wendungen wie die, daß es sich lediglich um einen "Humanitätsdusel" oder
gar um einen "Humanitätsschwindel" handele. Aber auch diejenigen Kreise,
die mit mehr Achtung von der Weltanschauung der Humanität reden, die in
den großen Vertretern unserer klassischen Dichtung sowie in Männern wie
Stein, Scharnhorst und Fichte doch sehr hervorragende Führer besessen hat,
pflegen zu behaupten, daß dieses Gedankensystem gegenüber dem System
der kirchlichen Lehre oder der Religion, wie man kurz zu sagen pflegt, minder¬
wertig und nicht imstande sei, das Ziel der Emporführung des Menschen und
der Erhebung und Vereinigung der Seele mit dem Göttlichen, die sie als Inhalt
der Religion betrachten, zu erreichen.

Es handle sich hier, so sagen diese Gelehrten und Philosophen, lediglich
um eine Weltweisheit, nicht aber um eine Gottcsweisheit, die allein in der
geoffenbarten Religion und in deren durch die Kirchenlehre fixierten: Gottes¬
begriff enthalten sei. In dieser liege das alleinige Heil und die alleinige
Rettung der durch die Sünde verunstalteten Menschenseele und der alleinige
Weg zur Vereinigung mit Gott, wie er durch den stellvertretenden Tod Christi
den Menschen geöffnet worden sei. In der Auffassung vom Menschen und der
Menschennatur, wie sie die beiden großen Systeme kennzeichnet, liegt einer der
tiefsten Gegensätze, von denen sie beherrscht werden. Die Lehre von der seit
Adams Fall eingetretenen Erbschuld des Menschen, wie sie die Kirchen ans der
jüdischen Religion entnommen haben, und der Glaube an die Verderbtheit der
Menschennatur steht zur Lebensweisheit der Humanität in einem Gegensatze,
der eine unüberbrückbare Kluft schafft und der auch solche Gebiete beeinflußt,
die anscheinend abseits von dieser Grundlage liegen. Die Lehre von dem
unendlichen Wert der Menschenseele bildet im System der Freimaurerei einen
Eckstein, dessen Bedeutung durch die praktischen Folgen, die gerade dieser Satz
mit sich bringt, den Anhängern wie den Gegnern scharf entgegenzutreten pflegt.
Den Vertretern dieser Lehre erschien von je der rechtverstandene "Menschendienst"
zugleich als echteste Form des Gottesdienstes. Daher ist es gekommen, daß
man dieses System des Gottesdienstes, das sich auf der Menschenachtung auf¬
baute, im Unterschiede von anderen Systemen des Gottesdienstes eben nach
dein Menschen nannte und in dem Worte Humanität zusammenfaßte. Die
Auffassung vou dem Menschen und der Menschenseele, wie sie in den hervor-


Hie Idee der Humanität und die Freimaurer

Parteien, soweit sich diese in den Ideen der Freiheit und der Humanität
begegnen. Wenn der Verfasser die organisierte Macht auf etwa zwei Millionen
selbständiger Männer beziffert, so hat er mit seiner Schätzung allerdings wohl
etwas zu niedrig gegriffen, ganz abgesehen davon, daß er unbetont läßt, daß
die Mitglieder des Bundes sich durchweg aus den gebildeten und besitzenden
Gesellschaftsschichten ergänzen.

Wenn man die kirchliche oder kirchlich beeinflußte Literatur über die
Freimaurer liest, so begegnet man stets der Behauptung, daß dieselben
einem „rückständigen Humauitätsbegriff" huldigen, und es begegnen vielfach
Wendungen wie die, daß es sich lediglich um einen „Humanitätsdusel" oder
gar um einen „Humanitätsschwindel" handele. Aber auch diejenigen Kreise,
die mit mehr Achtung von der Weltanschauung der Humanität reden, die in
den großen Vertretern unserer klassischen Dichtung sowie in Männern wie
Stein, Scharnhorst und Fichte doch sehr hervorragende Führer besessen hat,
pflegen zu behaupten, daß dieses Gedankensystem gegenüber dem System
der kirchlichen Lehre oder der Religion, wie man kurz zu sagen pflegt, minder¬
wertig und nicht imstande sei, das Ziel der Emporführung des Menschen und
der Erhebung und Vereinigung der Seele mit dem Göttlichen, die sie als Inhalt
der Religion betrachten, zu erreichen.

Es handle sich hier, so sagen diese Gelehrten und Philosophen, lediglich
um eine Weltweisheit, nicht aber um eine Gottcsweisheit, die allein in der
geoffenbarten Religion und in deren durch die Kirchenlehre fixierten: Gottes¬
begriff enthalten sei. In dieser liege das alleinige Heil und die alleinige
Rettung der durch die Sünde verunstalteten Menschenseele und der alleinige
Weg zur Vereinigung mit Gott, wie er durch den stellvertretenden Tod Christi
den Menschen geöffnet worden sei. In der Auffassung vom Menschen und der
Menschennatur, wie sie die beiden großen Systeme kennzeichnet, liegt einer der
tiefsten Gegensätze, von denen sie beherrscht werden. Die Lehre von der seit
Adams Fall eingetretenen Erbschuld des Menschen, wie sie die Kirchen ans der
jüdischen Religion entnommen haben, und der Glaube an die Verderbtheit der
Menschennatur steht zur Lebensweisheit der Humanität in einem Gegensatze,
der eine unüberbrückbare Kluft schafft und der auch solche Gebiete beeinflußt,
die anscheinend abseits von dieser Grundlage liegen. Die Lehre von dem
unendlichen Wert der Menschenseele bildet im System der Freimaurerei einen
Eckstein, dessen Bedeutung durch die praktischen Folgen, die gerade dieser Satz
mit sich bringt, den Anhängern wie den Gegnern scharf entgegenzutreten pflegt.
Den Vertretern dieser Lehre erschien von je der rechtverstandene „Menschendienst"
zugleich als echteste Form des Gottesdienstes. Daher ist es gekommen, daß
man dieses System des Gottesdienstes, das sich auf der Menschenachtung auf¬
baute, im Unterschiede von anderen Systemen des Gottesdienstes eben nach
dein Menschen nannte und in dem Worte Humanität zusammenfaßte. Die
Auffassung vou dem Menschen und der Menschenseele, wie sie in den hervor-


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[0312] Hie Idee der Humanität und die Freimaurer Parteien, soweit sich diese in den Ideen der Freiheit und der Humanität begegnen. Wenn der Verfasser die organisierte Macht auf etwa zwei Millionen selbständiger Männer beziffert, so hat er mit seiner Schätzung allerdings wohl etwas zu niedrig gegriffen, ganz abgesehen davon, daß er unbetont läßt, daß die Mitglieder des Bundes sich durchweg aus den gebildeten und besitzenden Gesellschaftsschichten ergänzen. Wenn man die kirchliche oder kirchlich beeinflußte Literatur über die Freimaurer liest, so begegnet man stets der Behauptung, daß dieselben einem „rückständigen Humauitätsbegriff" huldigen, und es begegnen vielfach Wendungen wie die, daß es sich lediglich um einen „Humanitätsdusel" oder gar um einen „Humanitätsschwindel" handele. Aber auch diejenigen Kreise, die mit mehr Achtung von der Weltanschauung der Humanität reden, die in den großen Vertretern unserer klassischen Dichtung sowie in Männern wie Stein, Scharnhorst und Fichte doch sehr hervorragende Führer besessen hat, pflegen zu behaupten, daß dieses Gedankensystem gegenüber dem System der kirchlichen Lehre oder der Religion, wie man kurz zu sagen pflegt, minder¬ wertig und nicht imstande sei, das Ziel der Emporführung des Menschen und der Erhebung und Vereinigung der Seele mit dem Göttlichen, die sie als Inhalt der Religion betrachten, zu erreichen. Es handle sich hier, so sagen diese Gelehrten und Philosophen, lediglich um eine Weltweisheit, nicht aber um eine Gottcsweisheit, die allein in der geoffenbarten Religion und in deren durch die Kirchenlehre fixierten: Gottes¬ begriff enthalten sei. In dieser liege das alleinige Heil und die alleinige Rettung der durch die Sünde verunstalteten Menschenseele und der alleinige Weg zur Vereinigung mit Gott, wie er durch den stellvertretenden Tod Christi den Menschen geöffnet worden sei. In der Auffassung vom Menschen und der Menschennatur, wie sie die beiden großen Systeme kennzeichnet, liegt einer der tiefsten Gegensätze, von denen sie beherrscht werden. Die Lehre von der seit Adams Fall eingetretenen Erbschuld des Menschen, wie sie die Kirchen ans der jüdischen Religion entnommen haben, und der Glaube an die Verderbtheit der Menschennatur steht zur Lebensweisheit der Humanität in einem Gegensatze, der eine unüberbrückbare Kluft schafft und der auch solche Gebiete beeinflußt, die anscheinend abseits von dieser Grundlage liegen. Die Lehre von dem unendlichen Wert der Menschenseele bildet im System der Freimaurerei einen Eckstein, dessen Bedeutung durch die praktischen Folgen, die gerade dieser Satz mit sich bringt, den Anhängern wie den Gegnern scharf entgegenzutreten pflegt. Den Vertretern dieser Lehre erschien von je der rechtverstandene „Menschendienst" zugleich als echteste Form des Gottesdienstes. Daher ist es gekommen, daß man dieses System des Gottesdienstes, das sich auf der Menschenachtung auf¬ baute, im Unterschiede von anderen Systemen des Gottesdienstes eben nach dein Menschen nannte und in dem Worte Humanität zusammenfaßte. Die Auffassung vou dem Menschen und der Menschenseele, wie sie in den hervor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/312>, abgerufen am 29.06.2024.