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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Idee der Humanität und die Freimaurer

Stein dauernden Anstoßes bilden wie die ethischen, monistischen, theosophischen
und anderen Vereinigungen der Vergangenheit und der Gegenwart, die mehr
oder weniger unangefochten Versammlungen abhalten und sich ausbreiten konnten,
obwohl sie sich ebenfalls die Ausbildung einer selbständigen Weltanschauung
zum Ziele zu setzen pflegen.

Die intime Gegnerschaft, deren sich die Anschauungswelt der Humanität
seit Jahrhunderte:: seitens aller Kirchen rühmen kann, beruht auf den: erwähnten
doppelten Charakter der Freimaurerei. Sie ist zwar für viele, die außerhalb der
Organisation stehen, ebenfalls nur eine Richtung oder eine Schule, sie ist aber
zugleich eine festgefügte Genossenschaft, eine Organisation, die von den Kirchen
stets als eine Art von Konkurrenz und sozusagen als eine "Nebenkirche" betrachtet
und behandelt worden ist, die man für äußerst gefährlich gehalten hat.

Die Kennzeichnung der Freimaurerei als einer Nebenkirche ist ja freilich
durchaus unzutreffend. Es fehlen der genannten Brüderschaft nicht weniger als
alle wesentlichen Merkmale der Kirche, ja sie steht zu den Eigenschaften, die die
Kirche zur Kirche machen, nämlich zu den für jede Kirche wesentlichen Glaubens¬
bekenntnissen und Dogmen, zu den: Grundsatze des Glaubenszwanges, wie er
in der Zuführung Unmündiger und der Proklamierung des Grundsatzes der
Rechtsgemeinschaft liegt, ja selbst zur Idee der Hierarchie, die berufsmäßige
Stellvertreter Gottes und Verkünder des göttlichen Willens zur Voraussetzung
hat, sowie endlich zu dem kirchlichen Gottesbegriff und der Offenbarungslehre
in einem sehr bestimmten Gegensatz. Dennoch hat der Scharfblick der kirchlichen
Autoritäten richtig erkannt, daß das bekämpfte System in der Tat mit den:
ihrigen in einen: gewissen Wettbewerb steht: die Emporführung der Menschen¬
seele zum Ewigen, wie sie von den Religionsgemeinschaften erstrebt wird, ist
auch das Ziel der "echten und währen Kunst", nämlich der Kunst des Lebens,
wie sie die Freimaurerei lehrt. Die Idee der Brüderlichkeit, die in der
ganzen Welt als Basis der Freimaurerei anerkannt wird, hat sür jeden folge¬
richtig denkenden Maurer den Gedanken zur Voraussetzung, daß alle Menschen
Glieder einer großen, die Welt umspannenden Familie und gleichsam Kinder
des Ewigen sind, und daß mithin die "Gotteskindschaft", wie das Christentum
diesen Gedanken bezeichnet, das Ziel jedes echten Maurers sein muß.

Der katholische Verfasser der obenerwähnten interessanten Aufsätze, von
denen die Zeitungspolemik ihren Ausgang genommen hat, hat das Wesen der
Sache und die trotz aller durch die Verschiedenheit der Nationen und ihrer
Eigenart bestimmten Differenzen tatsächlich vorhandene Einheit der Freimaurerei
der ganzen Welt ganz richtig erkannt und mit Nachdruck hervorgehoben. "In:
Freimaurerbunde", sagt der Verfasser mit Recht, "bilden grundsätzlich alle
Mitglieder anerkannter Logen nur eine Loge und eine einzige, die ganze Welt
umspannende Brüderschaft." So bildet der Bund, fährt der Verfasser fort,
indem er gegen manche Jnkonsequenzen, wie sie in einer großen Gemeinschaft
unvermeidlich sind, Duldung übt, einen ungeheure:: internationalen Block aller


Die Idee der Humanität und die Freimaurer

Stein dauernden Anstoßes bilden wie die ethischen, monistischen, theosophischen
und anderen Vereinigungen der Vergangenheit und der Gegenwart, die mehr
oder weniger unangefochten Versammlungen abhalten und sich ausbreiten konnten,
obwohl sie sich ebenfalls die Ausbildung einer selbständigen Weltanschauung
zum Ziele zu setzen pflegen.

Die intime Gegnerschaft, deren sich die Anschauungswelt der Humanität
seit Jahrhunderte:: seitens aller Kirchen rühmen kann, beruht auf den: erwähnten
doppelten Charakter der Freimaurerei. Sie ist zwar für viele, die außerhalb der
Organisation stehen, ebenfalls nur eine Richtung oder eine Schule, sie ist aber
zugleich eine festgefügte Genossenschaft, eine Organisation, die von den Kirchen
stets als eine Art von Konkurrenz und sozusagen als eine „Nebenkirche" betrachtet
und behandelt worden ist, die man für äußerst gefährlich gehalten hat.

Die Kennzeichnung der Freimaurerei als einer Nebenkirche ist ja freilich
durchaus unzutreffend. Es fehlen der genannten Brüderschaft nicht weniger als
alle wesentlichen Merkmale der Kirche, ja sie steht zu den Eigenschaften, die die
Kirche zur Kirche machen, nämlich zu den für jede Kirche wesentlichen Glaubens¬
bekenntnissen und Dogmen, zu den: Grundsatze des Glaubenszwanges, wie er
in der Zuführung Unmündiger und der Proklamierung des Grundsatzes der
Rechtsgemeinschaft liegt, ja selbst zur Idee der Hierarchie, die berufsmäßige
Stellvertreter Gottes und Verkünder des göttlichen Willens zur Voraussetzung
hat, sowie endlich zu dem kirchlichen Gottesbegriff und der Offenbarungslehre
in einem sehr bestimmten Gegensatz. Dennoch hat der Scharfblick der kirchlichen
Autoritäten richtig erkannt, daß das bekämpfte System in der Tat mit den:
ihrigen in einen: gewissen Wettbewerb steht: die Emporführung der Menschen¬
seele zum Ewigen, wie sie von den Religionsgemeinschaften erstrebt wird, ist
auch das Ziel der „echten und währen Kunst", nämlich der Kunst des Lebens,
wie sie die Freimaurerei lehrt. Die Idee der Brüderlichkeit, die in der
ganzen Welt als Basis der Freimaurerei anerkannt wird, hat sür jeden folge¬
richtig denkenden Maurer den Gedanken zur Voraussetzung, daß alle Menschen
Glieder einer großen, die Welt umspannenden Familie und gleichsam Kinder
des Ewigen sind, und daß mithin die „Gotteskindschaft", wie das Christentum
diesen Gedanken bezeichnet, das Ziel jedes echten Maurers sein muß.

Der katholische Verfasser der obenerwähnten interessanten Aufsätze, von
denen die Zeitungspolemik ihren Ausgang genommen hat, hat das Wesen der
Sache und die trotz aller durch die Verschiedenheit der Nationen und ihrer
Eigenart bestimmten Differenzen tatsächlich vorhandene Einheit der Freimaurerei
der ganzen Welt ganz richtig erkannt und mit Nachdruck hervorgehoben. „In:
Freimaurerbunde", sagt der Verfasser mit Recht, „bilden grundsätzlich alle
Mitglieder anerkannter Logen nur eine Loge und eine einzige, die ganze Welt
umspannende Brüderschaft." So bildet der Bund, fährt der Verfasser fort,
indem er gegen manche Jnkonsequenzen, wie sie in einer großen Gemeinschaft
unvermeidlich sind, Duldung übt, einen ungeheure:: internationalen Block aller


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[0311] Die Idee der Humanität und die Freimaurer Stein dauernden Anstoßes bilden wie die ethischen, monistischen, theosophischen und anderen Vereinigungen der Vergangenheit und der Gegenwart, die mehr oder weniger unangefochten Versammlungen abhalten und sich ausbreiten konnten, obwohl sie sich ebenfalls die Ausbildung einer selbständigen Weltanschauung zum Ziele zu setzen pflegen. Die intime Gegnerschaft, deren sich die Anschauungswelt der Humanität seit Jahrhunderte:: seitens aller Kirchen rühmen kann, beruht auf den: erwähnten doppelten Charakter der Freimaurerei. Sie ist zwar für viele, die außerhalb der Organisation stehen, ebenfalls nur eine Richtung oder eine Schule, sie ist aber zugleich eine festgefügte Genossenschaft, eine Organisation, die von den Kirchen stets als eine Art von Konkurrenz und sozusagen als eine „Nebenkirche" betrachtet und behandelt worden ist, die man für äußerst gefährlich gehalten hat. Die Kennzeichnung der Freimaurerei als einer Nebenkirche ist ja freilich durchaus unzutreffend. Es fehlen der genannten Brüderschaft nicht weniger als alle wesentlichen Merkmale der Kirche, ja sie steht zu den Eigenschaften, die die Kirche zur Kirche machen, nämlich zu den für jede Kirche wesentlichen Glaubens¬ bekenntnissen und Dogmen, zu den: Grundsatze des Glaubenszwanges, wie er in der Zuführung Unmündiger und der Proklamierung des Grundsatzes der Rechtsgemeinschaft liegt, ja selbst zur Idee der Hierarchie, die berufsmäßige Stellvertreter Gottes und Verkünder des göttlichen Willens zur Voraussetzung hat, sowie endlich zu dem kirchlichen Gottesbegriff und der Offenbarungslehre in einem sehr bestimmten Gegensatz. Dennoch hat der Scharfblick der kirchlichen Autoritäten richtig erkannt, daß das bekämpfte System in der Tat mit den: ihrigen in einen: gewissen Wettbewerb steht: die Emporführung der Menschen¬ seele zum Ewigen, wie sie von den Religionsgemeinschaften erstrebt wird, ist auch das Ziel der „echten und währen Kunst", nämlich der Kunst des Lebens, wie sie die Freimaurerei lehrt. Die Idee der Brüderlichkeit, die in der ganzen Welt als Basis der Freimaurerei anerkannt wird, hat sür jeden folge¬ richtig denkenden Maurer den Gedanken zur Voraussetzung, daß alle Menschen Glieder einer großen, die Welt umspannenden Familie und gleichsam Kinder des Ewigen sind, und daß mithin die „Gotteskindschaft", wie das Christentum diesen Gedanken bezeichnet, das Ziel jedes echten Maurers sein muß. Der katholische Verfasser der obenerwähnten interessanten Aufsätze, von denen die Zeitungspolemik ihren Ausgang genommen hat, hat das Wesen der Sache und die trotz aller durch die Verschiedenheit der Nationen und ihrer Eigenart bestimmten Differenzen tatsächlich vorhandene Einheit der Freimaurerei der ganzen Welt ganz richtig erkannt und mit Nachdruck hervorgehoben. „In: Freimaurerbunde", sagt der Verfasser mit Recht, „bilden grundsätzlich alle Mitglieder anerkannter Logen nur eine Loge und eine einzige, die ganze Welt umspannende Brüderschaft." So bildet der Bund, fährt der Verfasser fort, indem er gegen manche Jnkonsequenzen, wie sie in einer großen Gemeinschaft unvermeidlich sind, Duldung übt, einen ungeheure:: internationalen Block aller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/311>, abgerufen am 29.06.2024.