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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Idee der Humanität und die Freimaurer

buntes sein, der seit fast zwei Jahrhunderten bestehe, der Millionen Menschen
aller Länder und Stände umfasse, und der das Vorbild von Hunderten von
anderen Verbindungen und Vereinet! geworden sei. "In jeder einigermaßen den
wissenschaftlichen Anforderungen genügenden Besprechung der Freimaurerei",
fährt die "Germania" fort, "kann man bewiesen finden, daß das Grundprinzip
derselben der Humanitätsgedanke ist und daß dieses Prinzip grundsätzlich nicht
den religiösen Indifferentismus, sondern vielmehr den Antagonismus gegen
Dogmatismus und Offenbarungsreligion bildet." Die "Germania" beruft sich
mit Recht auf die Tatsache, daß die Ideen Lessings, des "Fürsten der deutschen
Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts", noch heute die leitenden Grundsätze
der Freimaurer sind. Sie hätte hinzufügen können, daß die gleiche Stellung
wie Lessing, Herder und Goethe in der Gedankenwelt der Freimaurer einnehmen.

Es ist zu bedauern, daß im Verlaufe dieses literarischen oder journalistischen
Kampfes die Staubwolken, die sich erhoben haben, die eigentlichen Kampfziele
stark verdunkelt und verhüllt haben. Jetzt, wo sich diese Wolken allmählich
wieder verziehen, scheint es Zeit zu sein, sich darauf zu besinnen, worauf
eigentlich der tiefe Gegensatz der beiderseitigen Weltanschauungen und der nun
seit Jahrhunderten dauernde Kampf der Kirche, richtiger der Kirchen gegen die
Gesellschaft der Freimaurer beruht.

Man kann denjenigen, die niemals Gelegenheit gehabt haben, sich mit
der Weltanschauung der Humanität näher zu beschäftiget!, den Inhalt dieses
Gedankensvstems nicht einfacher nahe bringen, als durch den Hinweis auf
die Tatsache, die wir bereits gestreift haben, daß Lessing, Herder und
Goethe Maurer waren und daß ihre Autorität bis auf diesen Tag unter den
Freimaurern unerschüttert dasteht. Zahllose Personen, die unter dem geistigen
Einfluß jener großen Männer heranwuchsen, sind, ohne daß es ihnen klar
bewußt ist, Gesinnungsgenossen der Freimaurer und werden von ihnen
auch gern als solche in Anspruch genommen, auch dann, wenn sie nicht als
Glieder in der großen Kette stehen, die die ganze Welt umspannt. Das
ist eben das Eigenartige und das Wichtige an dieser Weltanschauung, daß sie
sich nicht bloß in der Form einer geistigen Richtung, einer Geistesströmung
oder einer Schule fortgepflanzt hat und noch heute existiert, daß sie vielmehr
eine fest geschlossene Organisation besitzt und als solche keineswegs allein
den Charakter einer ethischen Gesellschaft oder einer sozialen Vereinigung, sondern
die Eigenschaften einer kultischen Vergesellschaftung besitzt, die auf dem Grund¬
satze der Brüderlichkeit aufgebaut ist und den ganzen Menschen, nicht aber
nur einzelne berufliche, sachliche oder sonstige Interessen gewisser Gruppen umfaßt.

Die Kirche und die Kirchen -- die griechische Kirche und die protestantischen
Staatskirchen nehmen hier im wesentlichen die gleiche Haltung wie die römisch¬
katholische Kirche ein -- würden gegen eine bloße Geistesrichtung oder Schule
ebenso tolerant sein, wie sie es gegen die Schulen zahlreicher berühmter Philo¬
sophen und Weltweisen waren und sind, die für die Kirchen ebensowenig einen


Die Idee der Humanität und die Freimaurer

buntes sein, der seit fast zwei Jahrhunderten bestehe, der Millionen Menschen
aller Länder und Stände umfasse, und der das Vorbild von Hunderten von
anderen Verbindungen und Vereinet! geworden sei. „In jeder einigermaßen den
wissenschaftlichen Anforderungen genügenden Besprechung der Freimaurerei",
fährt die „Germania" fort, „kann man bewiesen finden, daß das Grundprinzip
derselben der Humanitätsgedanke ist und daß dieses Prinzip grundsätzlich nicht
den religiösen Indifferentismus, sondern vielmehr den Antagonismus gegen
Dogmatismus und Offenbarungsreligion bildet." Die „Germania" beruft sich
mit Recht auf die Tatsache, daß die Ideen Lessings, des „Fürsten der deutschen
Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts", noch heute die leitenden Grundsätze
der Freimaurer sind. Sie hätte hinzufügen können, daß die gleiche Stellung
wie Lessing, Herder und Goethe in der Gedankenwelt der Freimaurer einnehmen.

Es ist zu bedauern, daß im Verlaufe dieses literarischen oder journalistischen
Kampfes die Staubwolken, die sich erhoben haben, die eigentlichen Kampfziele
stark verdunkelt und verhüllt haben. Jetzt, wo sich diese Wolken allmählich
wieder verziehen, scheint es Zeit zu sein, sich darauf zu besinnen, worauf
eigentlich der tiefe Gegensatz der beiderseitigen Weltanschauungen und der nun
seit Jahrhunderten dauernde Kampf der Kirche, richtiger der Kirchen gegen die
Gesellschaft der Freimaurer beruht.

Man kann denjenigen, die niemals Gelegenheit gehabt haben, sich mit
der Weltanschauung der Humanität näher zu beschäftiget!, den Inhalt dieses
Gedankensvstems nicht einfacher nahe bringen, als durch den Hinweis auf
die Tatsache, die wir bereits gestreift haben, daß Lessing, Herder und
Goethe Maurer waren und daß ihre Autorität bis auf diesen Tag unter den
Freimaurern unerschüttert dasteht. Zahllose Personen, die unter dem geistigen
Einfluß jener großen Männer heranwuchsen, sind, ohne daß es ihnen klar
bewußt ist, Gesinnungsgenossen der Freimaurer und werden von ihnen
auch gern als solche in Anspruch genommen, auch dann, wenn sie nicht als
Glieder in der großen Kette stehen, die die ganze Welt umspannt. Das
ist eben das Eigenartige und das Wichtige an dieser Weltanschauung, daß sie
sich nicht bloß in der Form einer geistigen Richtung, einer Geistesströmung
oder einer Schule fortgepflanzt hat und noch heute existiert, daß sie vielmehr
eine fest geschlossene Organisation besitzt und als solche keineswegs allein
den Charakter einer ethischen Gesellschaft oder einer sozialen Vereinigung, sondern
die Eigenschaften einer kultischen Vergesellschaftung besitzt, die auf dem Grund¬
satze der Brüderlichkeit aufgebaut ist und den ganzen Menschen, nicht aber
nur einzelne berufliche, sachliche oder sonstige Interessen gewisser Gruppen umfaßt.

Die Kirche und die Kirchen — die griechische Kirche und die protestantischen
Staatskirchen nehmen hier im wesentlichen die gleiche Haltung wie die römisch¬
katholische Kirche ein — würden gegen eine bloße Geistesrichtung oder Schule
ebenso tolerant sein, wie sie es gegen die Schulen zahlreicher berühmter Philo¬
sophen und Weltweisen waren und sind, die für die Kirchen ebensowenig einen


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[0310] Die Idee der Humanität und die Freimaurer buntes sein, der seit fast zwei Jahrhunderten bestehe, der Millionen Menschen aller Länder und Stände umfasse, und der das Vorbild von Hunderten von anderen Verbindungen und Vereinet! geworden sei. „In jeder einigermaßen den wissenschaftlichen Anforderungen genügenden Besprechung der Freimaurerei", fährt die „Germania" fort, „kann man bewiesen finden, daß das Grundprinzip derselben der Humanitätsgedanke ist und daß dieses Prinzip grundsätzlich nicht den religiösen Indifferentismus, sondern vielmehr den Antagonismus gegen Dogmatismus und Offenbarungsreligion bildet." Die „Germania" beruft sich mit Recht auf die Tatsache, daß die Ideen Lessings, des „Fürsten der deutschen Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts", noch heute die leitenden Grundsätze der Freimaurer sind. Sie hätte hinzufügen können, daß die gleiche Stellung wie Lessing, Herder und Goethe in der Gedankenwelt der Freimaurer einnehmen. Es ist zu bedauern, daß im Verlaufe dieses literarischen oder journalistischen Kampfes die Staubwolken, die sich erhoben haben, die eigentlichen Kampfziele stark verdunkelt und verhüllt haben. Jetzt, wo sich diese Wolken allmählich wieder verziehen, scheint es Zeit zu sein, sich darauf zu besinnen, worauf eigentlich der tiefe Gegensatz der beiderseitigen Weltanschauungen und der nun seit Jahrhunderten dauernde Kampf der Kirche, richtiger der Kirchen gegen die Gesellschaft der Freimaurer beruht. Man kann denjenigen, die niemals Gelegenheit gehabt haben, sich mit der Weltanschauung der Humanität näher zu beschäftiget!, den Inhalt dieses Gedankensvstems nicht einfacher nahe bringen, als durch den Hinweis auf die Tatsache, die wir bereits gestreift haben, daß Lessing, Herder und Goethe Maurer waren und daß ihre Autorität bis auf diesen Tag unter den Freimaurern unerschüttert dasteht. Zahllose Personen, die unter dem geistigen Einfluß jener großen Männer heranwuchsen, sind, ohne daß es ihnen klar bewußt ist, Gesinnungsgenossen der Freimaurer und werden von ihnen auch gern als solche in Anspruch genommen, auch dann, wenn sie nicht als Glieder in der großen Kette stehen, die die ganze Welt umspannt. Das ist eben das Eigenartige und das Wichtige an dieser Weltanschauung, daß sie sich nicht bloß in der Form einer geistigen Richtung, einer Geistesströmung oder einer Schule fortgepflanzt hat und noch heute existiert, daß sie vielmehr eine fest geschlossene Organisation besitzt und als solche keineswegs allein den Charakter einer ethischen Gesellschaft oder einer sozialen Vereinigung, sondern die Eigenschaften einer kultischen Vergesellschaftung besitzt, die auf dem Grund¬ satze der Brüderlichkeit aufgebaut ist und den ganzen Menschen, nicht aber nur einzelne berufliche, sachliche oder sonstige Interessen gewisser Gruppen umfaßt. Die Kirche und die Kirchen — die griechische Kirche und die protestantischen Staatskirchen nehmen hier im wesentlichen die gleiche Haltung wie die römisch¬ katholische Kirche ein — würden gegen eine bloße Geistesrichtung oder Schule ebenso tolerant sein, wie sie es gegen die Schulen zahlreicher berühmter Philo¬ sophen und Weltweisen waren und sind, die für die Kirchen ebensowenig einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/310>, abgerufen am 29.06.2024.