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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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diese Manier auf derselben Grundlage: auf dem Boden des romantischen Glaubens
an die mystische Kraft der Sprache, an die in den Worten verborgene Offenbarung,

Und da Rostand ein verstcmdcsklarer Romantiker ist wie Cyro.no, aber ein
Romantiker doch, der durch seinen Gesang eine neue Morgenröte heraufzaubern
möchte -- "es gibt so viele Morgenröten, die noch nie geleuchtet haben," sagt
Nietzsche --, so klingt sein Drama oft wie eine halb absichtliche, halb unbewußte
Parodie des ratioimlistischen Romantikers, der die neuere französische Poesie in sich
verkörpert: Victor Hugos, Metaphern wie die Bezeichnung eines Baumes, in
dem ein Vogel sitzt, als eines singenden Baumes; Verse von allgemein scntenziöser
Ausprägung eines Einzelfalls: II mut un rossiZnol, toujours, äans la ivröt! --;
hält Reden, wie Chantecler sie der Amsel, die die echte Ironie des Pariser
Sperlings provinziell kopiert -- all das ist reinster Victor Hugo. Und auch jene
Virtuosität der Versbehandluug, die schon im "Cyrcmo" verblüffte, stammt aus der
Schule des größten aller französischen Verskünstler. Nur würde Victor Hugo bei
aller Kühnheit in der Brechung des Verses doch nie so weit sich vorgewagt haben,
wie dieser Verächter des freien Verses, der das Kunststück liebt, die unbetontesten
Enklitika in den Reim zu setzen, vor allem um den Stimmenwirrwarr des
morgendlichen t^ive o'clock beim Perlhuhn anzudeuten: leomel je. . . im Reim
auf LelZe. it a im Reim auf a la. . . Überhaupt treibt er die Lautsymbolik,
man darf es wohl sagen, bis zur Abgeschmacktheit; etwa bei dem Gemälde des
wilden Hohngelächters:

Aber auch die Lautsymbolik quillt ja aus jener Andacht zur Sprache hervor --
die freilich ein gelegentliches Mißhandeln der Geliebten nicht ausschließt. ..

Aber dieser Stil der Wortbedienung muß sich allem anpassen. Seine Höhe
erreicht er in der höchst witzigen Schilderung des ästhetischen Tees bei Mine. Pintade,
die von boshaften Anspielungen so dicht erfüllt ist wie von kühnen Wortspielen.
Man müßte nicht nur mit der französischen Sprache, sondern auch Mit dem Ton
der literarischen Salons recht sehr vertraut sein, um hier jedes Wort zu verstehn;
so mischt sich die fortwährende Bezugnahme auf Tageserscheinungen mit der Dar¬
stellung typischer Züge: wie der Nachtwächter in den "Meistersingern von Nürn¬
berg" kommt die Schildkröte glücklich an, als alles vorbei ist. .. Man muß
wissen (was man freilich aus dem Journal des Goncourts wissen kann!), daß bei
Bing japanische Kunstgegenstnnde zu kaufe" sind; man muß Ruskiu gelesen haben;
man muß die ganze Parade der Spitznamen abnehmen können' man muß alle
Finessen des Vers- und Sprachkünstlers beobachten:

Und hat man das alles getan, so überrascht doppelt mitten in all den
Kleinlichkeiten die groß angelegte Szene des Kampfes selbst, der Verrat an
Chanteclers Schützlingen, die mit heißer Blutgier seiner Niederlage zusehen -- ach!
hier spricht wieder, wie in der Furcht vor dem Verlust des eigenen Liedes, die
bitterste Erfahrung eines edlen Dichterherzens ...

Weniger glaubt man ihm die allgemein menschlichen Züge. Die Liebesidylle
im Walde wird nicht nur durch das heillose Hineinpicken des Akademikers Grün-


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diese Manier auf derselben Grundlage: auf dem Boden des romantischen Glaubens
an die mystische Kraft der Sprache, an die in den Worten verborgene Offenbarung,

Und da Rostand ein verstcmdcsklarer Romantiker ist wie Cyro.no, aber ein
Romantiker doch, der durch seinen Gesang eine neue Morgenröte heraufzaubern
möchte — „es gibt so viele Morgenröten, die noch nie geleuchtet haben," sagt
Nietzsche —, so klingt sein Drama oft wie eine halb absichtliche, halb unbewußte
Parodie des ratioimlistischen Romantikers, der die neuere französische Poesie in sich
verkörpert: Victor Hugos, Metaphern wie die Bezeichnung eines Baumes, in
dem ein Vogel sitzt, als eines singenden Baumes; Verse von allgemein scntenziöser
Ausprägung eines Einzelfalls: II mut un rossiZnol, toujours, äans la ivröt! —;
hält Reden, wie Chantecler sie der Amsel, die die echte Ironie des Pariser
Sperlings provinziell kopiert — all das ist reinster Victor Hugo. Und auch jene
Virtuosität der Versbehandluug, die schon im „Cyrcmo" verblüffte, stammt aus der
Schule des größten aller französischen Verskünstler. Nur würde Victor Hugo bei
aller Kühnheit in der Brechung des Verses doch nie so weit sich vorgewagt haben,
wie dieser Verächter des freien Verses, der das Kunststück liebt, die unbetontesten
Enklitika in den Reim zu setzen, vor allem um den Stimmenwirrwarr des
morgendlichen t^ive o'clock beim Perlhuhn anzudeuten: leomel je. . . im Reim
auf LelZe. it a im Reim auf a la. . . Überhaupt treibt er die Lautsymbolik,
man darf es wohl sagen, bis zur Abgeschmacktheit; etwa bei dem Gemälde des
wilden Hohngelächters:

Aber auch die Lautsymbolik quillt ja aus jener Andacht zur Sprache hervor —
die freilich ein gelegentliches Mißhandeln der Geliebten nicht ausschließt. ..

Aber dieser Stil der Wortbedienung muß sich allem anpassen. Seine Höhe
erreicht er in der höchst witzigen Schilderung des ästhetischen Tees bei Mine. Pintade,
die von boshaften Anspielungen so dicht erfüllt ist wie von kühnen Wortspielen.
Man müßte nicht nur mit der französischen Sprache, sondern auch Mit dem Ton
der literarischen Salons recht sehr vertraut sein, um hier jedes Wort zu verstehn;
so mischt sich die fortwährende Bezugnahme auf Tageserscheinungen mit der Dar¬
stellung typischer Züge: wie der Nachtwächter in den „Meistersingern von Nürn¬
berg" kommt die Schildkröte glücklich an, als alles vorbei ist. .. Man muß
wissen (was man freilich aus dem Journal des Goncourts wissen kann!), daß bei
Bing japanische Kunstgegenstnnde zu kaufe» sind; man muß Ruskiu gelesen haben;
man muß die ganze Parade der Spitznamen abnehmen können' man muß alle
Finessen des Vers- und Sprachkünstlers beobachten:

Und hat man das alles getan, so überrascht doppelt mitten in all den
Kleinlichkeiten die groß angelegte Szene des Kampfes selbst, der Verrat an
Chanteclers Schützlingen, die mit heißer Blutgier seiner Niederlage zusehen — ach!
hier spricht wieder, wie in der Furcht vor dem Verlust des eigenen Liedes, die
bitterste Erfahrung eines edlen Dichterherzens ...

Weniger glaubt man ihm die allgemein menschlichen Züge. Die Liebesidylle
im Walde wird nicht nur durch das heillose Hineinpicken des Akademikers Grün-


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[0304] Lhcmteclcr diese Manier auf derselben Grundlage: auf dem Boden des romantischen Glaubens an die mystische Kraft der Sprache, an die in den Worten verborgene Offenbarung, Und da Rostand ein verstcmdcsklarer Romantiker ist wie Cyro.no, aber ein Romantiker doch, der durch seinen Gesang eine neue Morgenröte heraufzaubern möchte — „es gibt so viele Morgenröten, die noch nie geleuchtet haben," sagt Nietzsche —, so klingt sein Drama oft wie eine halb absichtliche, halb unbewußte Parodie des ratioimlistischen Romantikers, der die neuere französische Poesie in sich verkörpert: Victor Hugos, Metaphern wie die Bezeichnung eines Baumes, in dem ein Vogel sitzt, als eines singenden Baumes; Verse von allgemein scntenziöser Ausprägung eines Einzelfalls: II mut un rossiZnol, toujours, äans la ivröt! —; hält Reden, wie Chantecler sie der Amsel, die die echte Ironie des Pariser Sperlings provinziell kopiert — all das ist reinster Victor Hugo. Und auch jene Virtuosität der Versbehandluug, die schon im „Cyrcmo" verblüffte, stammt aus der Schule des größten aller französischen Verskünstler. Nur würde Victor Hugo bei aller Kühnheit in der Brechung des Verses doch nie so weit sich vorgewagt haben, wie dieser Verächter des freien Verses, der das Kunststück liebt, die unbetontesten Enklitika in den Reim zu setzen, vor allem um den Stimmenwirrwarr des morgendlichen t^ive o'clock beim Perlhuhn anzudeuten: leomel je. . . im Reim auf LelZe. it a im Reim auf a la. . . Überhaupt treibt er die Lautsymbolik, man darf es wohl sagen, bis zur Abgeschmacktheit; etwa bei dem Gemälde des wilden Hohngelächters: Aber auch die Lautsymbolik quillt ja aus jener Andacht zur Sprache hervor — die freilich ein gelegentliches Mißhandeln der Geliebten nicht ausschließt. .. Aber dieser Stil der Wortbedienung muß sich allem anpassen. Seine Höhe erreicht er in der höchst witzigen Schilderung des ästhetischen Tees bei Mine. Pintade, die von boshaften Anspielungen so dicht erfüllt ist wie von kühnen Wortspielen. Man müßte nicht nur mit der französischen Sprache, sondern auch Mit dem Ton der literarischen Salons recht sehr vertraut sein, um hier jedes Wort zu verstehn; so mischt sich die fortwährende Bezugnahme auf Tageserscheinungen mit der Dar¬ stellung typischer Züge: wie der Nachtwächter in den „Meistersingern von Nürn¬ berg" kommt die Schildkröte glücklich an, als alles vorbei ist. .. Man muß wissen (was man freilich aus dem Journal des Goncourts wissen kann!), daß bei Bing japanische Kunstgegenstnnde zu kaufe» sind; man muß Ruskiu gelesen haben; man muß die ganze Parade der Spitznamen abnehmen können' man muß alle Finessen des Vers- und Sprachkünstlers beobachten: Und hat man das alles getan, so überrascht doppelt mitten in all den Kleinlichkeiten die groß angelegte Szene des Kampfes selbst, der Verrat an Chanteclers Schützlingen, die mit heißer Blutgier seiner Niederlage zusehen — ach! hier spricht wieder, wie in der Furcht vor dem Verlust des eigenen Liedes, die bitterste Erfahrung eines edlen Dichterherzens ... Weniger glaubt man ihm die allgemein menschlichen Züge. Die Liebesidylle im Walde wird nicht nur durch das heillose Hineinpicken des Akademikers Grün-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/304>, abgerufen am 29.06.2024.