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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Der schwache Schimmer der Sternennacht schien zu den Fenstern hinein, lag
über dem leeren Kirchenraum,

Er öffnete die Tür, die zum Altar führte, und stieg die Stufen hinan. Auf
dem Betschemel kniete er nieder und beugte den Kopf über den gefalteten Händen
auf der Altardecke. -- -- --

Friede senkte sich auf seine Seele hinab.

Sein gemartertes Herz löste sich in stillen, warmen Tränen auf. Und er
fühlte, wie der Geist des Herrn in der Stille über ihn kam, und eine namenlose
Glückseligkeit durchschauerte ihn.

Endlich stand er auf und ging mit gefalteten Händen die Altarstufen hinunter.

Sein Antlitz leuchtete. Er hatte Gott gefunden.

Durch die geöffnete Sakristeitür schritt er in den Schnee hinaus. Aber als
er sich dem Pfarrhause näherte, wo das Licht im Fenster des Arbeitszimmers
schimmerte, wandte er sich jäh um."

"Nein --nein! Nicht dahin! Nicht dahin! Nicht zu Menschen! Jetzt durste
er Gott nicht wieder verlieren. . .

Und er schlug die entgegengesetzte Richtung ein. An allen Häusern vorüber,
hinaus zu dem großen Stein auf der Landzunge.

Nie wieder durfte er seinen Gott verlieren.

Und er ließ sich in die schwarzblanke Tiefe hinabgleiten, in der sich die Sterne
spiegelten.

Ende.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(König Eduard f -- König Georg der Fünfte -- Verstimmungen.)

Selbst in unsrer haftenden Zeit, in der die Gedanken Millionen verschiednen
Zielen nachjagen, treten Augenblicke der Sammlung ein, die das Denken aller
auf ein einziges Ereignis vereinigen. Es bildet sich der Eindruck, als stünde plötzlich
alles Getriebe der Welt still. Solch eine Pause atemloser Spannung ist eingetreten,
als die Welt die Nachricht durcheilte, König Eduard der Siebente von England
habe sein Erdenwerk beendet. Wäre uns die Bedeutung dieses Königs nicht stets
gegenwärtig gewesen, die Art, wie sein Hinscheiden die gesamte Welt erfaßte,
hätte uns das Bekenntnis abringen müssen, daß hier ein Gewaltiger, ein Großer
im weitesten Sinne vom Kampfplatz abgetreten ist.

Was bedeutete uns König Eduard? Selbst seine Gegner, gestehen an seiner
Bahre, daß er kein Feind des deutschen Volkes als solchem war, ja, sie erklären
seine dem Deutschen Reich feindliche Politik sogar aus der anerkennenden
Bewertung der deutschen Nation als arbeitsame, Kultur erzeugende, aber grade
deshalb dem britischen Reiche unbequeme Macht. Sein Argwohn gegen diese
Macht wurde angeblich geweckt durch den jungen Führer der Deutschen, seinen
Neffen Wilhelm von Hohenzollern, der zum Soldaten erzogen auch im Kreise von
seinesgleichen den preußischen Soldaten stets hervorzukehren liebt und dessen
impulsive Art den zwei Dezennien ältern Oheim zu stören wohl geeignet war.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Der schwache Schimmer der Sternennacht schien zu den Fenstern hinein, lag
über dem leeren Kirchenraum,

Er öffnete die Tür, die zum Altar führte, und stieg die Stufen hinan. Auf
dem Betschemel kniete er nieder und beugte den Kopf über den gefalteten Händen
auf der Altardecke. — — —

Friede senkte sich auf seine Seele hinab.

Sein gemartertes Herz löste sich in stillen, warmen Tränen auf. Und er
fühlte, wie der Geist des Herrn in der Stille über ihn kam, und eine namenlose
Glückseligkeit durchschauerte ihn.

Endlich stand er auf und ging mit gefalteten Händen die Altarstufen hinunter.

Sein Antlitz leuchtete. Er hatte Gott gefunden.

Durch die geöffnete Sakristeitür schritt er in den Schnee hinaus. Aber als
er sich dem Pfarrhause näherte, wo das Licht im Fenster des Arbeitszimmers
schimmerte, wandte er sich jäh um."

„Nein —nein! Nicht dahin! Nicht dahin! Nicht zu Menschen! Jetzt durste
er Gott nicht wieder verlieren. . .

Und er schlug die entgegengesetzte Richtung ein. An allen Häusern vorüber,
hinaus zu dem großen Stein auf der Landzunge.

Nie wieder durfte er seinen Gott verlieren.

Und er ließ sich in die schwarzblanke Tiefe hinabgleiten, in der sich die Sterne
spiegelten.

Ende.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(König Eduard f — König Georg der Fünfte — Verstimmungen.)

Selbst in unsrer haftenden Zeit, in der die Gedanken Millionen verschiednen
Zielen nachjagen, treten Augenblicke der Sammlung ein, die das Denken aller
auf ein einziges Ereignis vereinigen. Es bildet sich der Eindruck, als stünde plötzlich
alles Getriebe der Welt still. Solch eine Pause atemloser Spannung ist eingetreten,
als die Welt die Nachricht durcheilte, König Eduard der Siebente von England
habe sein Erdenwerk beendet. Wäre uns die Bedeutung dieses Königs nicht stets
gegenwärtig gewesen, die Art, wie sein Hinscheiden die gesamte Welt erfaßte,
hätte uns das Bekenntnis abringen müssen, daß hier ein Gewaltiger, ein Großer
im weitesten Sinne vom Kampfplatz abgetreten ist.

Was bedeutete uns König Eduard? Selbst seine Gegner, gestehen an seiner
Bahre, daß er kein Feind des deutschen Volkes als solchem war, ja, sie erklären
seine dem Deutschen Reich feindliche Politik sogar aus der anerkennenden
Bewertung der deutschen Nation als arbeitsame, Kultur erzeugende, aber grade
deshalb dem britischen Reiche unbequeme Macht. Sein Argwohn gegen diese
Macht wurde angeblich geweckt durch den jungen Führer der Deutschen, seinen
Neffen Wilhelm von Hohenzollern, der zum Soldaten erzogen auch im Kreise von
seinesgleichen den preußischen Soldaten stets hervorzukehren liebt und dessen
impulsive Art den zwei Dezennien ältern Oheim zu stören wohl geeignet war.


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[0291] Maßgebliches und Unmaßgebliches Der schwache Schimmer der Sternennacht schien zu den Fenstern hinein, lag über dem leeren Kirchenraum, Er öffnete die Tür, die zum Altar führte, und stieg die Stufen hinan. Auf dem Betschemel kniete er nieder und beugte den Kopf über den gefalteten Händen auf der Altardecke. — — — Friede senkte sich auf seine Seele hinab. Sein gemartertes Herz löste sich in stillen, warmen Tränen auf. Und er fühlte, wie der Geist des Herrn in der Stille über ihn kam, und eine namenlose Glückseligkeit durchschauerte ihn. Endlich stand er auf und ging mit gefalteten Händen die Altarstufen hinunter. Sein Antlitz leuchtete. Er hatte Gott gefunden. Durch die geöffnete Sakristeitür schritt er in den Schnee hinaus. Aber als er sich dem Pfarrhause näherte, wo das Licht im Fenster des Arbeitszimmers schimmerte, wandte er sich jäh um." „Nein —nein! Nicht dahin! Nicht dahin! Nicht zu Menschen! Jetzt durste er Gott nicht wieder verlieren. . . Und er schlug die entgegengesetzte Richtung ein. An allen Häusern vorüber, hinaus zu dem großen Stein auf der Landzunge. Nie wieder durfte er seinen Gott verlieren. Und er ließ sich in die schwarzblanke Tiefe hinabgleiten, in der sich die Sterne spiegelten. Ende. Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel (König Eduard f — König Georg der Fünfte — Verstimmungen.) Selbst in unsrer haftenden Zeit, in der die Gedanken Millionen verschiednen Zielen nachjagen, treten Augenblicke der Sammlung ein, die das Denken aller auf ein einziges Ereignis vereinigen. Es bildet sich der Eindruck, als stünde plötzlich alles Getriebe der Welt still. Solch eine Pause atemloser Spannung ist eingetreten, als die Welt die Nachricht durcheilte, König Eduard der Siebente von England habe sein Erdenwerk beendet. Wäre uns die Bedeutung dieses Königs nicht stets gegenwärtig gewesen, die Art, wie sein Hinscheiden die gesamte Welt erfaßte, hätte uns das Bekenntnis abringen müssen, daß hier ein Gewaltiger, ein Großer im weitesten Sinne vom Kampfplatz abgetreten ist. Was bedeutete uns König Eduard? Selbst seine Gegner, gestehen an seiner Bahre, daß er kein Feind des deutschen Volkes als solchem war, ja, sie erklären seine dem Deutschen Reich feindliche Politik sogar aus der anerkennenden Bewertung der deutschen Nation als arbeitsame, Kultur erzeugende, aber grade deshalb dem britischen Reiche unbequeme Macht. Sein Argwohn gegen diese Macht wurde angeblich geweckt durch den jungen Führer der Deutschen, seinen Neffen Wilhelm von Hohenzollern, der zum Soldaten erzogen auch im Kreise von seinesgleichen den preußischen Soldaten stets hervorzukehren liebt und dessen impulsive Art den zwei Dezennien ältern Oheim zu stören wohl geeignet war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/291>, abgerufen am 26.06.2024.