Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Kampf gegen die Übermacht

Die Männer arbeiteten stumm mit ihren Rudern. Stunde auf Stunde.

Im Achtersteven, unter Fellen und Decken begraben, jammerte der Pfarrer
hörbar.

Als die Nacht hereinbrach und die Klage des Pfarrers kein Ende nahm, zog
der erste Bootsmann Jonas Bersvendsen die Ruder ein und kletterte nach achterm.
Vorsichtig hob er die wärmenden Hüllen in die Höhe und beugte sich nieder.

"Ist der Herr Pfarrer krank?" fragte er.

Und der Pfarrer schlug die Augen auf und sah ihn lange wie in Fieber-
Phantasien an.

"Ja, Jonas," sagte er endlich, "jetzt ist der Pfarrer krank."
"

"Könnten wir nicht irgendwie helfen. ..?

"Nein, Jonas Bersvendsen, es gibt keine Hilfe. Außer bei Gott. Sehen
wir, daß wir nach Hanse kommen."

Seither lag der Pfarrer ruhiger. Ein paar Stunden nach Mitternacht
langten sie in der Maasvärer Bucht an.

Sie wollten ihm helfen. Aber Sören Römer ging allein hinauf.

In: Studierzimmer zündete er ein Licht an und setzte sich auf seinen Stuhl.
Es war still im Hause. Thorborg und das Kind schliefen nebenan.

Und er saß zusammengekauert, mit geschlossenen Angen da.




Er hatte Gott getrotzt.

Aber der Herr hatte sich erhoben -- im Grausen des Todes -- hatte sich
gegen ihn erhoben.

Seine Seele war zerschmettert,

Aber in der äußersten Tiefe der Zerschmetterung redete eine Stimme zu ihm.
Er hörte Gottes Stimme. Und nach dieser Stimme hatte er solange, solange
vergebens gelauscht.

Wenn auch in Tod und Grauen -- es war doch Gott, der bei ihm war!
Durch die Finsternis der Seele mußte er sich vorwärts tasten, um den lebendigen
Gott wiederzufinden. Denn ohne ihn war die ewige Verdammnis.

Und er kauerte sich zusammen über seinem ringenden Gedanken. -- -- --

Thorborg trat leise an ihn heran. Er merkte es nicht, als bis sie die Hand
aus seinen Kopf legte.

"Willst du nicht zu Bett gehen?"

Er sah auf.

Und sie vergaß niemals seinen Blick.

"BaldI" flüsterte er. Und Thorborg kehrte zurück.

Aber Sören Römer stand unruhig auf; seine Augen schweiften im Zimmer
umher -- blieben an der Tür hängen, die sich geschlossen hatte.

Er konnte nicht hier sein... Er suchte Gott. . . und mußte allein sein.

Er ging hinaus unter die Sterne. Unten vom Strande her hörte er die
Stimmen der Männer. Und er wandte seine Schritte den gewohnten Weg hinaus
nach der Fischerspitze.

Bei der Kirche blieb er stehen.

Da drinnen war es still und einsam. Da war Gott.

Und er ging in die dunkle Sakristei hinein.

Wie ein Nachtwandler legte er ruhig und langsam seinen Rock ab und zog
den Talar an. Dann holte er den Kragen heraus und band auch den um. Und
dann ging er in die Kirche hinein.


Im Kampf gegen die Übermacht

Die Männer arbeiteten stumm mit ihren Rudern. Stunde auf Stunde.

Im Achtersteven, unter Fellen und Decken begraben, jammerte der Pfarrer
hörbar.

Als die Nacht hereinbrach und die Klage des Pfarrers kein Ende nahm, zog
der erste Bootsmann Jonas Bersvendsen die Ruder ein und kletterte nach achterm.
Vorsichtig hob er die wärmenden Hüllen in die Höhe und beugte sich nieder.

„Ist der Herr Pfarrer krank?" fragte er.

Und der Pfarrer schlug die Augen auf und sah ihn lange wie in Fieber-
Phantasien an.

„Ja, Jonas," sagte er endlich, „jetzt ist der Pfarrer krank."
"

„Könnten wir nicht irgendwie helfen. ..?

„Nein, Jonas Bersvendsen, es gibt keine Hilfe. Außer bei Gott. Sehen
wir, daß wir nach Hanse kommen."

Seither lag der Pfarrer ruhiger. Ein paar Stunden nach Mitternacht
langten sie in der Maasvärer Bucht an.

Sie wollten ihm helfen. Aber Sören Römer ging allein hinauf.

In: Studierzimmer zündete er ein Licht an und setzte sich auf seinen Stuhl.
Es war still im Hause. Thorborg und das Kind schliefen nebenan.

Und er saß zusammengekauert, mit geschlossenen Angen da.




Er hatte Gott getrotzt.

Aber der Herr hatte sich erhoben — im Grausen des Todes — hatte sich
gegen ihn erhoben.

Seine Seele war zerschmettert,

Aber in der äußersten Tiefe der Zerschmetterung redete eine Stimme zu ihm.
Er hörte Gottes Stimme. Und nach dieser Stimme hatte er solange, solange
vergebens gelauscht.

Wenn auch in Tod und Grauen — es war doch Gott, der bei ihm war!
Durch die Finsternis der Seele mußte er sich vorwärts tasten, um den lebendigen
Gott wiederzufinden. Denn ohne ihn war die ewige Verdammnis.

Und er kauerte sich zusammen über seinem ringenden Gedanken. — — —

Thorborg trat leise an ihn heran. Er merkte es nicht, als bis sie die Hand
aus seinen Kopf legte.

„Willst du nicht zu Bett gehen?"

Er sah auf.

Und sie vergaß niemals seinen Blick.

„BaldI" flüsterte er. Und Thorborg kehrte zurück.

Aber Sören Römer stand unruhig auf; seine Augen schweiften im Zimmer
umher — blieben an der Tür hängen, die sich geschlossen hatte.

Er konnte nicht hier sein... Er suchte Gott. . . und mußte allein sein.

Er ging hinaus unter die Sterne. Unten vom Strande her hörte er die
Stimmen der Männer. Und er wandte seine Schritte den gewohnten Weg hinaus
nach der Fischerspitze.

Bei der Kirche blieb er stehen.

Da drinnen war es still und einsam. Da war Gott.

Und er ging in die dunkle Sakristei hinein.

Wie ein Nachtwandler legte er ruhig und langsam seinen Rock ab und zog
den Talar an. Dann holte er den Kragen heraus und band auch den um. Und
dann ging er in die Kirche hinein.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315929"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Kampf gegen die Übermacht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1691"> Die Männer arbeiteten stumm mit ihren Rudern. Stunde auf Stunde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1692"> Im Achtersteven, unter Fellen und Decken begraben, jammerte der Pfarrer<lb/>
hörbar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1693"> Als die Nacht hereinbrach und die Klage des Pfarrers kein Ende nahm, zog<lb/>
der erste Bootsmann Jonas Bersvendsen die Ruder ein und kletterte nach achterm.<lb/>
Vorsichtig hob er die wärmenden Hüllen in die Höhe und beugte sich nieder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1694"> &#x201E;Ist der Herr Pfarrer krank?" fragte er.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1695"> Und der Pfarrer schlug die Augen auf und sah ihn lange wie in Fieber-<lb/>
Phantasien an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1696"> &#x201E;Ja, Jonas," sagte er endlich, &#x201E;jetzt ist der Pfarrer krank."<lb/>
"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1697"> &#x201E;Könnten wir nicht irgendwie helfen. ..?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1698"> &#x201E;Nein, Jonas Bersvendsen, es gibt keine Hilfe. Außer bei Gott. Sehen<lb/>
wir, daß wir nach Hanse kommen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1699"> Seither lag der Pfarrer ruhiger. Ein paar Stunden nach Mitternacht<lb/>
langten sie in der Maasvärer Bucht an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1700"> Sie wollten ihm helfen. Aber Sören Römer ging allein hinauf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1701"> In: Studierzimmer zündete er ein Licht an und setzte sich auf seinen Stuhl.<lb/>
Es war still im Hause. Thorborg und das Kind schliefen nebenan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1702"> Und er saß zusammengekauert, mit geschlossenen Angen da.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1703"> Er hatte Gott getrotzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1704"> Aber der Herr hatte sich erhoben &#x2014; im Grausen des Todes &#x2014; hatte sich<lb/>
gegen ihn erhoben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1705"> Seine Seele war zerschmettert,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1706"> Aber in der äußersten Tiefe der Zerschmetterung redete eine Stimme zu ihm.<lb/>
Er hörte Gottes Stimme. Und nach dieser Stimme hatte er solange, solange<lb/>
vergebens gelauscht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1707"> Wenn auch in Tod und Grauen &#x2014; es war doch Gott, der bei ihm war!<lb/>
Durch die Finsternis der Seele mußte er sich vorwärts tasten, um den lebendigen<lb/>
Gott wiederzufinden. Denn ohne ihn war die ewige Verdammnis.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1708"> Und er kauerte sich zusammen über seinem ringenden Gedanken. &#x2014; &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1709"> Thorborg trat leise an ihn heran. Er merkte es nicht, als bis sie die Hand<lb/>
aus seinen Kopf legte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1710"> &#x201E;Willst du nicht zu Bett gehen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1711"> Er sah auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1712"> Und sie vergaß niemals seinen Blick.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1713"> &#x201E;BaldI" flüsterte er. Und Thorborg kehrte zurück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1714"> Aber Sören Römer stand unruhig auf; seine Augen schweiften im Zimmer<lb/>
umher &#x2014; blieben an der Tür hängen, die sich geschlossen hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1715"> Er konnte nicht hier sein... Er suchte Gott. . . und mußte allein sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1716"> Er ging hinaus unter die Sterne. Unten vom Strande her hörte er die<lb/>
Stimmen der Männer. Und er wandte seine Schritte den gewohnten Weg hinaus<lb/>
nach der Fischerspitze.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1717"> Bei der Kirche blieb er stehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1718"> Da drinnen war es still und einsam. Da war Gott.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1719"> Und er ging in die dunkle Sakristei hinein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1720"> Wie ein Nachtwandler legte er ruhig und langsam seinen Rock ab und zog<lb/>
den Talar an. Dann holte er den Kragen heraus und band auch den um. Und<lb/>
dann ging er in die Kirche hinein.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0290] Im Kampf gegen die Übermacht Die Männer arbeiteten stumm mit ihren Rudern. Stunde auf Stunde. Im Achtersteven, unter Fellen und Decken begraben, jammerte der Pfarrer hörbar. Als die Nacht hereinbrach und die Klage des Pfarrers kein Ende nahm, zog der erste Bootsmann Jonas Bersvendsen die Ruder ein und kletterte nach achterm. Vorsichtig hob er die wärmenden Hüllen in die Höhe und beugte sich nieder. „Ist der Herr Pfarrer krank?" fragte er. Und der Pfarrer schlug die Augen auf und sah ihn lange wie in Fieber- Phantasien an. „Ja, Jonas," sagte er endlich, „jetzt ist der Pfarrer krank." " „Könnten wir nicht irgendwie helfen. ..? „Nein, Jonas Bersvendsen, es gibt keine Hilfe. Außer bei Gott. Sehen wir, daß wir nach Hanse kommen." Seither lag der Pfarrer ruhiger. Ein paar Stunden nach Mitternacht langten sie in der Maasvärer Bucht an. Sie wollten ihm helfen. Aber Sören Römer ging allein hinauf. In: Studierzimmer zündete er ein Licht an und setzte sich auf seinen Stuhl. Es war still im Hause. Thorborg und das Kind schliefen nebenan. Und er saß zusammengekauert, mit geschlossenen Angen da. Er hatte Gott getrotzt. Aber der Herr hatte sich erhoben — im Grausen des Todes — hatte sich gegen ihn erhoben. Seine Seele war zerschmettert, Aber in der äußersten Tiefe der Zerschmetterung redete eine Stimme zu ihm. Er hörte Gottes Stimme. Und nach dieser Stimme hatte er solange, solange vergebens gelauscht. Wenn auch in Tod und Grauen — es war doch Gott, der bei ihm war! Durch die Finsternis der Seele mußte er sich vorwärts tasten, um den lebendigen Gott wiederzufinden. Denn ohne ihn war die ewige Verdammnis. Und er kauerte sich zusammen über seinem ringenden Gedanken. — — — Thorborg trat leise an ihn heran. Er merkte es nicht, als bis sie die Hand aus seinen Kopf legte. „Willst du nicht zu Bett gehen?" Er sah auf. Und sie vergaß niemals seinen Blick. „BaldI" flüsterte er. Und Thorborg kehrte zurück. Aber Sören Römer stand unruhig auf; seine Augen schweiften im Zimmer umher — blieben an der Tür hängen, die sich geschlossen hatte. Er konnte nicht hier sein... Er suchte Gott. . . und mußte allein sein. Er ging hinaus unter die Sterne. Unten vom Strande her hörte er die Stimmen der Männer. Und er wandte seine Schritte den gewohnten Weg hinaus nach der Fischerspitze. Bei der Kirche blieb er stehen. Da drinnen war es still und einsam. Da war Gott. Und er ging in die dunkle Sakristei hinein. Wie ein Nachtwandler legte er ruhig und langsam seinen Rock ab und zog den Talar an. Dann holte er den Kragen heraus und band auch den um. Und dann ging er in die Kirche hinein.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/290
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/290>, abgerufen am 26.06.2024.